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Politische Ränkespiele um die Besetzung des Landesbeauftragten führten zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen Vom Rücktritt Rudens bis zum Gang zum Bundesverfassungsgericht

Von Silke Janko 05.04.2013, 03:10

Magdeburg. Das Ringen um einen neuen Stasi-Landesbeauftragten ist eine Geschichte mit vielen Facetten: Sie reicht von persönlicher Schuld im Umgang mit der eigenen Vergangenheit bis hin zu Postengeschacher und politischem Einfluss bei der Auswahl der Bewerber:

In einem am 31. März 2010 veröffentlichten Volksstimme-Interview äußert sich der damalige Landesbeauftragte Gerhard Ruden zu aufgetauchten Unterlagen. Sie belegen, dass der CDU-Politiker 1968 als 22-jähriger Student bei einem Stasi-Verhör in Magdeburg einen seiner besten Freunde angeschwärzt hat. Der war später wegen staatsfeindlicher Hetze sowie wegen versuchter Republikflucht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, von denen er gut zwei Jahre absaß, ehe er in die Bundesrepublik freigekauft wurde. Für Entsetzen sorgt die Interview-Aussage Rudens: "Wenn einer verhaftet wird, hat er selbst schuld." Der frühere Bürgerrechtler hatte seit 2005 das Amt des Landesbeauftragten inne.

Wegen des öffentlichen Drucks übergibt Ruden am 1. April 2010 Justizministerin Angela Kolb (SPD) sein Rücktrittsgesuch. Seine fünfjährige Amtszeit würde regulär im Juni 2010 enden. Ruden widerruft wenige Tage später seinen Rücktritt, das Justizministeriums stellt ihn vom Dienst frei. Am 14. Juni 2010 erhält er von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) seine Entlassungsurkunde. Mitte April bringt das Justizministerium eine Ausschreibung auf den Weg. Im Mai liegen 100 Bewerbungen vor.

Die Regierungskoalition CDU und SPD können sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen: Die CDU favorisiert den Chef der Birthler-Behörde in Frankfurt/Oder, Rüdiger Sielaff, die SPD den ehemaligen SPD-Europaabgeordneten Ulrich Stockmann. Beide Fraktionen einigen sich in einer Personalrochade auf Stockmann, im Gegenzug unterstützt die SPD CDU-Wunschkandidaten bei anderen Personalentscheidungen. Am 11. November 2010 wird Stockmann vom Landtag gewählt - allerdings erst im zweiten Anlauf, nachdem er im ersten Wahlgang die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlt hatte.

Ministerpräsident Böhmer legt die Ernennung Stockmanns auf Eis, weil zwei unterlegene Bewerber gegen die Wahl Stockmanns Klage bei den Verwaltungsgerichten in Halle und Magdeburg eingereicht hatten. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle kommt zu Tage, dass das Justizministerium eine nachteilige Bewertung Stockmanns vernichtet und durch eine günstigere ersetzt hatte. Das Gericht stellte fest, dass der Stockmann-Konkurrent Sven Gratzik, ein Kriminalist aus Halle, in seinen Rechten verletzt worden sei und untersagt im Eilverfahren schließlich die Ernennung Stockmanns. Der andere Kläger, Söhnke Streckel aus Wernigerode, seit 2005 Mitarbeiter bei der Behörde des Stasi-Landesbeauftragten, zieht bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Ende November 2011 erklärt der 60-jährige Stockmann seinen Rückzug, um das Amt nicht weiter zu beschädigen. Das Amt ist wegen der juristischen Auseinandersetzungen um die Auswahl der Bewerber seit eineinhalb Jahren nicht besetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat indes, wenige Tage vor Stockmanns Rückzug, die Landesregierung schriftlich um Stellungnahme gebeten.

Der Landtag ändert im April 2012 das Gesetz zum Besetzungsverfahren für das Amt des Stasi-Landesbeauftragten. Er soll nicht mehr auf Vorschlag der Landesregierung vom Landtag gewählt werden. Das Auswahlverfahren beginnt neu.

Die Merseburger Theologin Birgit Neumann-Becker wird am 12. Juli 2012 vom Landtag zur neuen Stasi-Landesbeauftragten gewählt. Auch ihre Ernennung wird vorerst auf Eis gelegt, weil zwei unterlegene Bewerber gegen ihre Wahl Klage eingereicht hatten. Der Wernigeröder Söhnke Streckel reicht wieder Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg ein. Er sieht seine Rechte unter anderem dadurch verletzt, dass von 41 Bewerbern nur Neumann-Becker zu einer Vorstellung im Landtag eingeladen worden war. Weiterer Kläger ist der Weißenfelser Bodo Walther, der als 19-Jähriger nach einem Fluchtversuch über die ungarisch-österreichische Grenze inhaftiert wurde, ehe er 1985 von der BRD freigekauft wurde. Er klagte gegen jene Regel des Landesgesetzes, nach der nur zum Landesbeauftragten gewählt werden kann, wer bis zum 9. November 1989 in der DDR wohnte.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte nun entschieden, beide Klagen nicht zur Entscheidung anzunehmen.