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Vor 100 Jahren Schiffsunglück in Magdeburg

August 1919, die Nachkriegszeit hatte begonnen. Magdeburgs Domplatz erlebte einen besonderen Abschied und es gab ein Unglück auf der Elbe.

Von Manfred Zander 01.09.2019, 01:01

Magdeburg l Für die dem Kaiserreich folgende Republik wurde es ein prägender Monat. Am 11. August unterzeichnete der im Februar durch die Nationalversammlung zum Reichspräsidenten bestimmte Sozialdemokrat Friedrich Ebert die neue Verfassung. Drei Tage später trat sie in Kraft. Und noch einmal sieben Tage später wurde Ebert als Reichspräsident auf eben diese Verfassung vereidigt. Er wiederum ließ am selben Tage die Reichsminister auf die Weimarer Verfassung schwören.

Damit war Deutschland mit Brief und Siegel eine Republik, und das Kaiserreich hatte die Sterbeurkunde erhalten. Allerdings sollte sich bald zeigen, dass es seinen Geist noch lange nicht aufgegeben hatte. Eine Zeit zwischen Gestern und Heute brach an.

Am 4. August erlebte der Magdeburger Domplatz eine Abschiedsszene der besonderen Art. Zwischen Dom und barocker Herrlichkeit an der Nord- und Ostseite des Platzes reihten sich die Fahnen aller Regimenter des 4. Armeekorps aneinander. Sie sollten in ein noch zu schaffendes Berliner Armeemuseum kommen. Einige der mehr als 50 Feldzeichen hatten einen kürzeren Weg. Er führte an die nordwestliche Ecke des Domplatzes in die 1824 zum Zeughaus umgewandelte Nikolaikirche. Die in Magdeburg erscheinende sozialdemokratische Volksstimme verfolgte den Fahnenabschied mit einer gewissen seherischen Gabe: „So haben sich die Friedensfreunde das Ende des Völkerschreckens gedacht, aber der wäre ein Illusionär höchsten Grades, der da wähnen wollte, nun wäre der letzte Schuß gefallen, nun gäbe es keine Mütter mehr, die für ihre Söhne zittern müssen“.

Es war Zufall, dass am selben Tag auch im Dessauer Ständehaus eine Stunde des Abschieds vom Gestern schlug. Die 36 Abgeordneten des Anhaltischen Landtages genehmigten mehrheitlich eine Abfindung in Höhe von 6,5 Millionen Mark für das im November 1918 gestürzte Herzoghaus. Dafür verzichtete Prinz Aribert im Namen des noch minderjährigen Herzogs Joachim Ernst auf Grundbesitz in Höhe von 30 Millionen Mark. Er wurde wie verschiedene Stiftungen, Kunstgegenstände, Gemälde und Sammlungen Staatsbesitz.

Manches im Leben der Bewohner Anhalts und der preußischen Provinz Sachsen kehrte allmählich zu früher Üblichem zurück, allerlei Vergnüglichkeiten inbegriffen: Die Künstlervereinigung „Kugel“ eröffnete in der Magdeburger Kunstgewerbeschule eine Ausstellung, der Schwimmverein Elbe lud zum Schwimmfest ein, in der Radrennbahn Magdeburg wurde die Meisterschaft von Preußen ausgefahren und die Rennbahn Herrenkrug erlebte eine Flugschau mit Loopings und Sturzflügen „von ehemaligen Kampfeinsitzern“.

Der Volksstimme-Berichterstatter bemerkte den Wandel zum Besseren am 17. August auch auf dem Magdeburger Wochenmarkt am Rathaus an der größeren Zahl der Markttage und am Umfang des Angebotes: „Jetzt hat man ... den ganzen Platz eingeräumt mit ,Freilichtverkaufsstellen‘. Es bleibt jetzt nicht mehr bei Obst und Gemüse, jetzt findet man im friedlichen Beieinander: Schmierseife, Fettseife, Schuhcreme, Schokolade, Konfekt, Hosenträger, Schnürsenkel und noch vieles andere“.

Auch die Volksstimme selbst feierte am 3. Oktober eine Rückkehr zu Gewohntem aus der Vorkriegszeit. An diesem ersten Sonntag überraschte sie ihre rund 60 000 Abonnenten und Käufer mit der Wiederauferstehung der Unterhaltungsbeilage „Die Rast“, die nun immer sonntags und donnerstags erscheinen sollte. Die erste „Rast“ bot einen Auszug aus Leonhard Franks Roman „Der Mensch ist gut“, Auskünfte darüber, ob sich Tiere auch waschen, was das beste Heiratsalter ist, ob Frauen sich für den Schwimmsport eigneten oder wie sich Kohlenvorräte rationell nutzen lassen.

Der letzte Ratschlag war trotz des Hochsommers zeitgemäß. In Staßfurt floss am 11. August kein elektrischer Strom mehr durch die Leitungen. Die beiden Lokalzeitungen konnten nicht gedruckt werden und das erste Schützenfest seit vier Jahren schloss seine Buden. Die Elektrizitätszentrale in Preußisch-Börnecke hatte die Stromversorgung wegen fehlender Kohlen eingestellt.

Kohlenmangel behinderte in vielen Städten den Strom- und Gasfluss. Besonders heftig war die Stadt Dessau betroffen, wo industrielle und private Abnehmer viele Stunden ohne Gas blieben. Am 25. August gab die Gasanstalt bekannt, „dass sie Gaslieferung sofort gänzlich eingestellt werden muß“. Mit einer Wiederaufnahme der Gaserzeugung sei erst bei Eingang neuer Kohlenlieferungen zu rechnen. Schuld seinen Streiks in den Gruben und Verkehrsprobleme.

Die Volksstimme forderte zum Sparen auf: „Bei dem immer drohender werdenden Kohlemangel wäre eine Einschränkung des Lichtverbrauchs sehr notwendig. ... In den Cafés könnte die Beleuchtung um 50 Prozent vermindert werden. In den Villen werden viele Zimmer unnötig erleuchtet. Wie muß den armen Familien zumute sein, die weder Gas noch andere Beleuchtungsmittel haben, und dann in den Cafés und Villen die feenhafte Beleuchtung sehen!“

Für Aufsehen im Magdeburger Blätterwald und für Spott von Passanten sorgte eine Siebenjährige, die in der Königsstraße von einem Fuhrwerk herabfallende Torfstücke aufsammelte, dem Wagen nachlief, ihn zum Halten brachte und seinen Fund wieder auf den Wagen warf. „Geht hin und tut desgleichen“, forderte die Volksstimme ihre Leser auf. Aber so viel Ehrlichkeit schien den Zeiten nicht angemessen.

In der Magdeburger Feldflur schlossen sich 54 Besitzer zu einer Gruppe von Ehrenfeldhütern zusammen. In Belsdorf forderte Gutsbesitzer Dr. Tangermann zum Schutz seiner Ernte heimlich Regierungstruppen an. Sie wurden von zwei Landwirten und von Fleischermeister Lüders, die ebenfalls bewaffnet die Feldmark bewachten und die Truppen im Dunkeln für Diebe hielten, beschossen. Die Soldaten erwiderten das Feuer und verletzten Lüders.

Die heißen Augusttage führten wieder zu mehreren Badeunfällen. Am 21. August ertrank der 13 Jahre alte Schüler Paul Felgenträger. Seine Leiche wurde nicht gefunden. Aber in Rogätz entdeckten Spaziergänger unterhalb der Schiffswerft eine Leiche im Wasser. Da der etwa 24 Jahre alte Tote unbekleidet war, nahm die Polizei einen Badeunfall an. In Magdeburg stürzte der zehnjährige Erich Kleine aus einem Handkahn in die Elbe und ertrank. Die Leiche wurde nicht gefunden. In Schartau ertranken die beiden Töchter der Familie Lüderitz beim Baden in der Moorslake. Dort war gerade eine Badeanstalt eingerichtet worden.

Für die Magdeburger bildete ein Schiffsunglück für einige Tage das Stadtgespräch. Ein Baggerprahm der Firma Lüdecke & Co. war in der Nacht zum 22. August vom Zufluss der Sülze aus die Elbe führerlos abwärts getrieben und gegen einen Pfeiler der Strombrücke geprallt. Vier Tage mühte man sich, den Unglückskahn abzuschleppen. Immer wieder riss er sich los und lief an anderer Stelle auf Grund. Am Dienstagmorgen schließlich konnte er geborgen werden.

Die Volksstimme kannte die Schuldige: „Jedenfalls ist das Konto der alten Strombrücke so stark belastet, dass es eine Änderung in der die Schiffahrt hindernden Verhältnisse auf die eine oder andere Art baldigst angestrebt werden muß.“ Dass die eigentlichen Verursacher des Unglücks vermutlich ein paar Angler waren, die den Kahn fahrlässig losgemacht und die Gewalt über ihn verloren hatten, blieb unerwähnt. Arme alte Strombrücke.