Notversorgung an Magdeburger Schulen / Viele Kinder bleiben während der ersten drei Unterrichtsstunden zu Hause Warnstreik: Lehrer hellwach, Schüler schlafen aus
In Sachsen-Anhalt gab es den ersten Warnstreik der angestellten Lehrer. Mehr als 700 Magdeburger trafen sich gestern im Haus der Gewerkschaften, während fast alle 70 Schulen der Stadt in den ersten drei Stunden eine Notversorgung anboten. Viele Kinder blieben gleich zu Hause.
Magdeburg l Die Stimmung ist kämpferisch im großen Saal des Hauses der Gewerkschaften. Die Uhr zeigt 7.15 Uhr an. Über die Lautsprecher hämmert Herbert Grönemeyers Hit "Kinder an die Macht!".
Wenn es so wäre, dann müsste Sekundarschullehrerin Manuela Bartel aus Neu-Olvenstedt nach ihrer Meinung gar nicht hier sein: "Wir machen das hier ja auch im Interesse der Schüler und nicht wegen der 6,5 Prozent mehr Gehalt. Wir brauchen zum Beispiel eine neue Ruhestandsregelung. Es kann doch nicht im Sinne der Kinder sein, dass wir bis zum bitteren Ende vor der Klasse stehen müssen."
Jutta Buchheim, Lehrerin für Mathematik, Physik und Astronomie vom Schollgymnasium, ergänzt: "Es fehlen seit Jahren auch richtige Eingruppierungen für viele von uns, es werden auch zu wenig neue Lehrer eingestellt, obwohl viele in der nächsten Zeit in Rente gehen. Und unter all diesen Umständen zeigt sich die Landesregierung nicht einmal ansatzweise verhandlungsbereit."
Michael Schulze, Berufsschullehrer an der BbS "Otto von Guericke", meint: "Der sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Es geht hier um 6,5 Prozent mehr Geld. Als die Landespolitiker ihre Diäten beschlossen haben, waren ihre 18 Prozent in 14 Tagen durch. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass Finanzminister Bullerjahn dagegen Sturm gelaufen ist. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen."
Während die Lehrer ihrem Unmut Luft machen, sind auch manche Eltern nicht weniger sauer. Allerdings über den Warnstreik. Andrea Schrumpf, Mutter einer achtjährigen Schülerin an einer Stadtfelder Grundschule: "Von der Gewerkschaft wurden am Montag Zettel verteilt, auf denen stand, dass der Unterricht und die Betreuung nicht gewährleistet werden kann." Erst auf Nachfrage in der Schule erfuhr sie, dass es sich um eine "unglückliche Formulierung" handele. Natürlich werde eine Betreuung gewährleistet, sagte man ihr.
Stellvertretender Schulleiter der Grundschule Annastraße, Rainer Schniebel: "50 Prozent der Kinder sind heute nicht zum Unterricht gekommen." Der Rest sehe sich gerade den Film die "Reise der Pinguine" an.
Ein ähnliches Bild auch an der Grundschule Hegelstraße: Während sich an normalen Schultagen morgens Hunderte Kinder auf dem gemeinsamen Schulhof mit der benachbarten Leibniz-Sekundarschule tummeln, herrscht am Streiktag Beschaulichkeit. Ein paar Grundschüler schlendern im Schneeregen dem roten Backstein-Schulgebäude entgegen. So haben auch die Verkehrslotsen an der engen, unübersichtlichen Straße weniger zu tun. Auf dem Schulhof spielen ein paar Kinder Fußball.
In der Leibniz-Sekundarschule werden 300 Schüler von knapp 30 Lehrern unterrichtet. Normalerweise. Aber nicht an diesem Mittwoch. Im Lehrerzimmer sitzen zwei Kollegen und sind in den Aufmacher der Volksstimme vertieft. "Sachsen-Anhalt streitet übers Sitzenbleiben" steht da. Die Zeitung hätte wohl kein besseres Thema an diesem Tag setzen können. Das sieht zumindest Jürgen Stein so. Der Klassenlehrer der 5c kam vor knapp zwei Jahren aus Niedersachsen an die Magdeburger Schule. "Uns geht es bei dem Streik doch nicht vordergründig ums Geld. Uns sollen zwei Stunden Unterricht mehr pro Woche aufgebrummt werden. Das hört sich vielleicht für Außenstehende nicht viel an. Aber es ist der falsche Weg. Die Kinder brauchen doch stattdessen eine viel bessere Betreuung. Das Thema Sitzenbleiben bestätigt dies doch einmal mehr."
Auch am Hegel-Gymnasium müssen die Pädagogen mit den Streikfolgen umgehen. Ganz ungewohnt sitzt von Schülern und Lehrern verlassen Schulleiter Konrad Woitag in den Räumen der Schulleitung. Von den knapp 1000 Schülern sind an diesem Morgen genau sechs in die Schule gekommen. "Wir haben die Schüler und Eltern über Hinweiszettel informiert. Deshalb sind die meisten Schüler zu Hause geblieben. Aber ich wollte nichts dem Zufall überlassen und habe eine Betreuung organisiert." Im Raum 315 oben unterm Dach läuft daher der einzige "Unterricht" an diesem Morgen. Die verbeamtete Kunstlehrerin Marion Töpel kümmert sich um sechs Schüler.
Schulleiter Konrad Woitag muss indes festhalten, welche Lehrer sich an dem Streik beteiligen. "Den Kollegen wird das Geld für die Streikzeit abgezogen." Die Liste dürfte lang geworden sein. Von den 70 Lehrern sind nur sechs verbeamtet. Der Rest hatte sich weitgehend dem Streik angeschlossen.
Der Unterricht selbst wird übrigens nicht nachgeholt. Glück, oder der Ansicht nach auch Pech, hatten die Schüler der zwölften Klassen. Sie sollten gestern das Deutsch-Vorabitur schreiben - eine der wichtigsten Klassenarbeiten vor dem Abitur. Es wurde wegen des Streiks um einen Tag verschoben.