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Wohnen Magdeburgs Chance als Schwarmstadt

Mieten steigen und Wohnraum wird knapp - in Metropolen wie Berlin. Davon können Städte wie Magdeburg profitieren. Ein Gastbeitrag.

Von Holger Neumann* 28.08.2019, 23:01

Magdeburg l Kein anderes Thema bewegt derzeit so intensiv wie das Problem des bezahlbaren Wohnraums. Die Wohnungswirtschaft, insbesondere die Vermieter werden kritisiert, Kapitalanleger suchen Anlagen in Immobilien, Mieter fordern Enteignung von Immobilienbesitzern und Politiker entdecken den Mietendeckel. Was bedeutet das für Sachsen–Anhalt?

Die Metropolen wachsen. Berlin hat pro Jahr 20-30.000 Menschen mehr, Hamburg, Stuttgart und München erwarten ähnliche Zuwächse. Hinzu kommen Ansprüche an immer mehr Wohnraum und eine wachsende Anzahl von Single-Haushalten. Da der Wohnungsbau nicht hinterherkommt und Neubau teuer ist, steigen die Mieten und preiswerter Wohnraum wird knapp. Aber der Markt reagiert: Das Institut empirica hat schon 2015 gezeigt, dass von der Überteuerung der Metropolen andere Städte profitieren: Die „Schwarmstädte“, zu denen auch Magdeburg und Halle gehören. Diese Oberzentren profitieren auch vom direkten Umland, weil gute Infrastruktur Haushalte von älteren Menschen anlockt.

Der Boom in den „Schwarmstädten“ ist aber einerseits kein dauerhafter, stabiler Trend, zum anderen werden auch hier bei Neubau und Sanierung zumeist nur hochpreisige Wohnräume erzeugt. Ursache für die hohen Preise sind zum einen stark gestiegene Baukosten, auf der anderen Seite immer höhere technische Anforderungen an Sicherheit, Brandschutz und Energieeinsparung. Es wird auch nicht gern für die Zielgruppe Hartz IV gebaut, weil hier das Mietausfallrisiko höher ist. In Magdeburg bauen zum Beispiel städtische Wohnungsbaugesellschaft und Genossenschaften gemeinsam mit den Investoren hauptsächlich im hochpreisigen Bereich. Man hofft auf eine Sickerungswirkung, also dass beim Bezug von neuem, hochpreisigem Wohnraum preiswerter Wohnraum frei und marktwirksam wird.

Nun fühlt sich Politik, auf Grund der Wohnungsknappheit, zum Handeln verpflichtet. Die Mietpreisbremse, der Mietendeckel in Berlin und der ernstzunehmende Ruf nach Enteignung haben Folgen, wirken aber langfristig eher kontraproduktiv auf die Wohnungsmärkte. Der Mietendeckel in Berlin und sozialer Wohnungsbau kommen gut an beim Wähler. Wer aber in den Metropolen Wohnraum billig hält, verstärkt zum einen wieder den Trend zur Suburbanisierung im übrigen Land. Für die Wohnungssuchenden in den Metropolen besteht kein Grund mehr zum „Ausschwärmen“ in andere Oberzentren. Dieser, für Sachsen-Anhalt positive Trend, kann sich zukünftig wieder umkehren. Wer also die Mieten in den Metropolen deckelt und undifferenziert sozialen Wohnungsbau betreibt, fördert den Wegzug von gerade jungen Menschen aus dem übrigen Bundesgebiet. Hohe Gehälter und billige Mieten in den Metropolen sind Gift für das übrige Land, besonders aber für die ohnehin schon vom Bevölkerungsrückgang betroffenen Ostregionen.

Mietpreisbremse und Mietendeckel bewirken aber auch, dass Anleger und Investoren, gelockt von der noch wirkenden „Schwarmstadttheorie“ in Städten wie Magdeburg und Halle investieren. Sie erzeugen zwar (teilweise) attraktive neue Architektur und sanieren Altbauten, erzeugen aber mittelfristig wieder ein Überangebot an Wohnraum. In Magdeburg werden in den nächsten Jahren geschätzt 6000 Neubauwohnungen auf den Markt kommen, dazu kommt ein großes Potenzial von etwa 3000-4000 Einheiten an saniertem Altbau.

Begünstigt wird die Bautätigkeit durch das allgemeine Anlegerverhalten von Großinvestoren, Maklern, Bauträgern und Banken. Bauträger verkaufen die zum Teil überteuerten Eigentumswohnungen an Kleinanleger, Makler reiten auf der sich abzeichnenden Immobilienblase bis zum Schluss und für Banken ist die Baufinanzierung eine der letzten Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Geprellt wird zumeist der einfache und mittlere Anleger. Das Ganze erinnert etwas an die Situation im Jahr 1997, wo ebenfalls lange Zeit keiner die nahende Krise erkennen wollte. Denn objektiv hat sich die Bevölkerungsentwicklung wieder verlangsamt. Wirtschaftswissenschaftler kennen solche zyklischen Krisen des Wohnungsmarktes und bezeichnen ihn als „Schweinezyklus“. Erleben wir also bald den Abschwung im Schweinezyklus?

Die Zeichen mehren sich. Experten warnen unisono mit EZB-Experten und Bundesbank vor einer Immobilienblase nicht nur in den Metropolen. Auch in Magdeburg und Halle wird die Gefahr vom Institut empirica als „eher hoch“ eingeschätzt.

Die Vor- und Nachteile der Metropolbildung sind noch umstritten. Sicher ist aber, dass ein hohes Tempo in Europa zu prekären Wohnverhältnissen, in Deutschland zu überhitzten Wohnungsmärkten führt. Da in Deutschland die Umzugsbewegungen aber keine existenziellen Gründe hat, kann und muss hier gegengesteuert werden. In Sachsen-Anhalt hat das Kompetenzzentrum Stadtumbau im Konzept „Zukunftsplan Städtenetz Sachsen-Anhalt“ den Ansatz der Polyzentrizität für die Stadt- und Raumplanung entwickelt. Bundesweit angewendet, könnte es den Druck von den Metropolen nehmen, gleichzeitig die anderen Oberzentren stärken, die ihrerseits wieder die Entsiedelung in der Fläche dämpfen würden. Das bedeutet aber, durchaus in den Metropolen steigende Mieten zuzulassen, die den ungebremsten Zuzug abbremsen und sozial flankierende Maßnahmen, wie etwa Sozialwohnungen nur dem Polizisten und der Krankenschwester zu geben, die bereits in Berlin wohnen.

Und statt mit Rückkehrer-Päckchen etablierte Weggezogene wieder in die Heimat locken zu wollen, sollte sich die Marketing-Kampagne des Landes lieber auf die Leute in den Schlangen der Wohnungssuchenden in den Metropolen richten: Slogan: „Wir haben hier tolle Universitäten und dazu noch preiswerte Wohnungen!“ Nutzen und verstärken wir den Trend der Schwarmstädte!

Immer wieder hört man von dem Kostenanstieg beim Bauen durch ausufernde Vorschriften. Doch Vorsicht! Nicht alles ist schlecht. Wenn jetzt zum Beispiel die weitere Nachverdichtung durch Änderung der Bauvorschriften ermöglicht wurde, kann ein alter Nachteil neu entstehen. Denn unsere Städte sind so attraktiv geworden, weil Auflockerung, Begrünung und Gestaltung öffentlicher Räume den Traum vom Häuschen im Grünen relativiert haben. Wir können die Städte natürlich durch Verdichtung auch wieder hässlicher machen, damit das Wohnen außerhalb der Stadt attraktiver wird! Wirkliche Urbanität entsteht durch historisch langsames Wachsen und Bauen unterschiedlicher Bauherren und nicht durch profitorientierte Nachverdichtungswünsche von Bauträgern.

Und letztlich gehört auch eine Verkehrsplanung mit Augenmaß zu einer erfolgreichen Stadtentwicklung. Dabei sollte man immer den Grundsatz beachten, dass man Menschen nicht durch Architektur und Stadtplanung erziehen kann. Die Vertreter der Moderne sind in den 70zigern mit ihren Hochhausprojekten und Magistralen gescheitert, so wie die scheitern werden, die den Individualverkehr aus den Städten ganz verbannen wollen. Einfache autonom fahrende Systeme mit Routenoptimierung könnten aber Individualfahrzeuge ablösen. Der wichtigste Trend für die kommenden Jahre wird die Individualisierung des Wohnens sein. Er bietet Gefahren, aber auch Chancen für einen zukunftsorientierten Stadtumbau.

* Holger Neumann ist Landespräsident Haus & Grund Sachsen-Anhalt