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Antijüdisches Kirchenrelief: OLG weist Berufungsklage zurück

Der juristische Streit um die Entfernung der als "Judensau" bezeichneten Schmähplastik in Wittenberg geht möglicherweise weiter. Ein Mitglied einer jüdischen Gemeinde hatte bisher jedoch keinen Erfolg mit seiner Klage in Sachsen-Anhalt.

04.02.2020, 17:41
Hendrik Schmidt
Hendrik Schmidt dpa-Zentralbild

Naumburg (dpa/sa) - Das antijüdische Relief an der Wittenberger Stadtkirche muss vorerst nicht entfernt werden. Das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) wies am Dienstag die Berufungsklage eines Mannes gegen ein Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau zurück. Die als "Judensau" bezeichnete Sandsteinplastik, die im 13. Jahrhundert entstanden ist, stelle isoliert betrachtet eine Beleidigung dar, sagte der Vorsitzende Richter des 9. Zivilsenats des OLG, Volker Buchloh. Es hatte zur Zeit der Entstehung das Ziel, Juden verächtlich zu machen, wie er sagte. Die Skulptur sei aber heute in Wittenberg Teil eines Mahnmals und habe daher in ihrem aktuellen Kontext keinen beleidigenden Charakter mehr, hieß es in der Urteilsbegründung. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Beseitigung des Reliefs.

Der Text auf einer Tafel bringe zudem unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich die beklagte evangelische Stadtkirchengemeinde von der Judenverfolgung, den antijudaistischen Schriften Martin Luthers und der verhöhnenden Schmähplastik distanziere. Der Kläger war nicht zur Urteilsverkündung erschienen, auch nicht die Vertreter der evangelischen Stadtkirchengemeinde. Der Zivilsenat ließ eine Revision vor dem Bundesgerichtshof zu. Damit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Der Kläger Michael Dietrich Düllmann ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Er argumentierte, die Schmähplastik sei eine Beleidigung von Menschen jüdischen Glaubens, diffamiere das Judentum und symbolisiere täglich den Antisemitismus in der Kirche und in der Gesellschaft. Er hatte zu Beginn des Berufungsverfahrens vor dem OLG vor zwei Wochen angekündigt, im Falle einer Zurückweisung seiner Klage vor den Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu wollen.

Das Relief ist höchst umstritten. Vor dem Hintergrund des antisemitischen und rechtsextremistischen Anschlags 2019 auf die Synagoge in Halle sind Stimmen deutlicher geworden, die fordern, die Plastik zu entfernen oder auch nicht so wie bisher zu belassen. Der Kläger hatte sich dafür ausgesprochen, es stattdessen in einem Museum wie in Martin Luthers (1483-1546) Wohnhaus in Wittenberg und damit in einen historischen Zusammenhang zu bringen. Das OLG argumentierte, auch in einem Museum müsste die Plastik in einen historischen Kontext gebracht werden.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte zu dem Urteil: "Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass das "Judensau"-Relief an der Stadtkirche in Wittenberg hängen bleiben darf. Umso mehr bedarf es der Anbringung einer Tafel, die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet. Dies gilt in gleicher Form für "Judensau"-Reliefs an anderen Kirchen."

Das 700 Jahre alte Relief an der Stadtkirche zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz schaut, und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Zudem wurde das Relief im Lauf der Geschichte um eine antijüdische Inschrift ergänzt. Derartige Plastiken gibt es in Deutschland an mehreren Kirchen, unter anderem auch am Kölner Dom.

Die Berufung vor dem OLG Naumburg richtete sich gegen ein Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. Mai 2019, das Relief an der denkmalgeschützten Wittenberger Kirche zu belassen. Der Mann hatte die evangelische Stadtkirchengemeinde verklagt und von ihr verlangt, das Relief zu entfernen. Sie ist die heutige Eigentümerin der Plastik.

Die Gemeinde hatte sich in dem langen Streit um das Relief - wie auch die Stadt - dafür entschieden, das Relief an der Kirche zu belassen, und an Ort und Stelle über die Geschichte aufzuklären. Die Plastik sei seit 1988 Teil einer Mahnstätte, mit der an den Tod von sechs Millionen Juden erinnert werde, so der Richter.

In der Stadtkirche hat Martin Luther gepredigt. Sie gilt als Mutterkirche der Reformation. Wegen seiner antijüdischen Äußerungen geriet der Theologe in die Kritik.

Mitteilung Oberlandesgericht Naumburg

Position der Stadtkirchengemeinde Wittenberg zum Relief

Das Oberlandesgericht Naumburg mit seinen Senaten

Erklärung der Stadtkirchengemeinde zur Stätte der Mahnung

Die Stadtkirche St. Marien in Wittenberg