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Debatte zu 30 Jahren Einheit: "kein Märchen mit Happy End"

Die Abgeordneten ziehen ein gemischtes Fazit aus 30 Jahren Deutscher Einheit. Viele Abgeordnete weisen auch auf enttäuschte Erwartungen hin. Der Ministerpräsident warnt davor, Legenden über die Wiedervereinigung Vorschub zu leisten.

16.10.2020, 14:20

Magdeburg (dpa/sa) - Blühen die Landschaften in Sachsen-Anhalt 30 Jahre nach der Deutschen Einheit, so wie es Helmut Kohl den Bürgern der gerade noch existierenden DDR 1990 versprach? In einer Regierungserklärung mit anschließender Landtagsdebatte am Freitag haben Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und die Fraktionen im Landtag ein insgesamt positives Fazit aus 30 Jahren Einheit gezogen - wiesen aber auch auf Fehler und vertane Chancen hin.

"Mit dem Versprechen der blühenden Landschaften verhält es sich wie mit so vielem, es ist eine Frage der Perspektive", sagte Haseloff in seiner Erklärung. "Manch einer glaubte, die deutsche Einheit sei für ihn automatisch der Fahrschein zum menschlichen Glück, und war einige Jahre später enttäuscht, als die Fahrt länger dauerte als geplant." 30 Jahre nach der Einheit müsse aber gerade die Generation, die die DDR noch miterlebt habe, der Bildung von Legenden entgegen treten.

Eine solche Legende sei etwa die Behauptung, die Treuhandgesellschaft zur Abwicklung der DDR-Betriebe sei ein "Kardinalsfehler der Einheit" gewesen. "Nicht die Treuhand war ein Kardinalfehler, sondern die sozialistische Planwirtschaft in der DDR", sagte Haseloff. Auch hätten sich viele DDR-Bürger eine neue Verfassung gewünscht, statt dem Geltungsgebiet des Grundgesetzes beizutreten. "Aber war dieses Grundgesetz nicht immer genau das, wonach wir in der DDR gestrebt haben?", fragte Haseloff?

Auch CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt ging auf Vor- und Nachteile der Einheit ein. "Es gab die Straßenbahnfahrt für 15 Pfennige, es gab die ungeheure Hilfsbereitschaft unter den Menschen", sagte Borgwardt. "Dem gegenüber standen der permanente Mangel in der Wirtschaft, der Kampf um eine brauchbare Wohnung, das Warten auf ein Auto sowie ein bankrotter Staat." Ungleich stärker habe allerdings die staatliche Bespitzelung gewogen, "in einem Ausmaß, das wir uns nicht haben vorstellen können und ein unmenschliches Grenzregime."

Alle Parteien würdigten die Verdienste der Bürgerbewegung in der DDR, einige Redner wiesen außerdem auf entsprechende Bewegungen in Polen und Ungarn hin und die beteiligten politischen Akteure. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle hob außerdem den Mut und die Verdienste derer hervor, die nach der Wende die damals neuen Länder nicht verlassen, sondern sie vor Ort aufgebaut haben.

Ein Thema mehrerer Reden waren auch die Erfolge im Umweltschutz, der in der DDR praktisch nicht stattgefunden hatte. Die Chefin der Grünen-Fraktion Cornelia Lüddemann erinnerte an giftige Schaumkronen auf der Mulde Ende der 80er Jahre. Heute könne man in dem Fluss sogar wieder baden. Lüddemann nannte den Rechtsstaat und die demokratische Ordnung des Grundgesetzes historische Errungenschaften. Dennoch sei das demokratische Gemeinwesen etwas "angestaubt". Lüddemann schlug daher vor, die Menschen künftig mit durch Auslosung besetzte Bürgerräte in die politischen Entscheidungen einzubinden.

AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner kritisierte, dass auch positive Bestandteile der DDR, wie etwa Teile der Bildungsstruktur, nicht übernommen wurden. Außerdem seien Ostdeutsche auf den Spitzenposten in Politik, Justiz und Wirtschaft noch immer unterrepräsentiert.

Die Designierte Spitzenkandidatin der Linken, Eva von Angern, bekannte sich zum Erbe ihrer Partei als Rechtsnachfolger der SED. "Wir verantworten, dass die sozialistische Idee im real existierenden Sozialismus der DDR zu einer freiheitsverachtenden sozialistischen Diktatur verkommen ist", sagte von Angern. Auch sie würdigte die Erfolge der vergangenen 30 Jahre. Viele Erwartungen hätten sich aber nicht erfüllt. "Die Erzählung von der Wiedervereinigung ist für mich deshalb bisher kein Märchen mit Happy End."