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Sachsen-Anhalts Politik diskutiert weiter Kemmerich-Wahl

Erst bekommt Thüringen überraschend einen FDP-Politiker als Ministerpräsidenten - gewählt mit Hilfe von CDU und AfD. Dann will dieser sein Amt wieder zur Verfügung stellen. Sachsen-Anhalts Parteispitzen ziehen unterschiedliche Schlüsse aus den Ereignissen.

06.02.2020, 19:14

Magdeburg (dpa) - Einen Tag nach der Kür des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Unterstützung von AfD und CDU reißt die politische Diskussion in Sachsen-Anhalt nicht ab. CDU-Chef Holger Stahlknecht forderte von seiner Partei eine klare Haltung ein, die nicht verlassen werden dürfe. FDP-Landeschef Frank Sitta kritisierte seine Parteikollegen für den Umgang mit Kemmerich. SPD, Grüne und Linke begrüßten Kemmerichs angekündigten Rückzug vom Ministerpräsidentenposten. Die AfD im Magdeburger Landtag wirft dem Erfurter FDP-Politiker hingegen vor, eingeknickt zu sein.

Der Magdeburger Politpsychologe Thomas Kliche sieht vor allem die CDU vor dem Problem eines Vertrauensverlusts bei den Wählern. "Der nehmen die Wähler den beruhigenden, seriösen Stabilitätsonkel nicht mehr so leicht ab", sagte der Professor der Hochschule Magdeburg-Stendal. Das werde langfristige Folgen haben.

CDU-Landeschef Stahlknecht sagte, das Ergebnis der Thüringer Ministerpräsidenten-Wahl habe ihn am Mittwoch betroffen gemacht. "Es ist genau der Fall eingetreten, vor dem ich immer gewarnt habe", sagte er mit Blick auf die Wahl, die nur mit großer AfD-Unterstützung möglich war. "Ich habe immer prophezeit: Derjenige, der als erster der Versuchung erliegt, der wird seines Lebens nicht mehr froh." Die Christdemokraten müssten sich auf sich selbst besinnen und ihre klaren Linien einhalten: "Auch Haltung wird gewählt."

FDP-Landeschef Sitta verteidigte Kemmerichs Vorgehen am Wahltag: "Ich bleibe dabei: Es war eine zulässige Wahl in einem demokratischen Verfahren." Der Vize der FDP im Bundestag kritisierte seine Parteikollegen. "Es wäre besser gewesen, wenn die FDP nach der Wahl Kemmerichs erst einmal zusammengestanden und die Parteifreunde grundsätzlich unterstützt hätte, statt sofort den Untergang der Demokratie herbeizureden."

Kemmerich kündigte nur einen Tag nach seiner Kür seinen Rückzug vom Amt des Ministerpräsidenten an und warb für Neuwahlen. Er hatte sich zuvor mit Bundes-Chef Christian Lindner getroffen. Lindner nannte Kemmerichs Schritt eine "einzig richtige Entscheidung". Kemmerich hatte sich mit einer Stimme Vorsprung gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durchgesetzt und bundesweit Kritik ausgelöst. Die Thüringer AfD wird vom Rechtsaußen Björn Höcke angeführt.

Zunächst sah es so aus, als ob es nicht genügend Unterstützung im Erfurter Landtag für Neuwahlen gibt. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Sollte die nicht zustande kommen, kündigte Kemmerich an, die Vertrauensfrage zu stellen. Dann könnte der Landtag versuchen, einen anderen Regierungschef zu wählen.

Diese Option forderten zunächst sowohl Thürigens CDU-Parteichef Mike Mohring als auch Sachsen-Anhalts Grünen-Chef Sebastian Striegel. "Kemmerich muss jetzt die Vertrauensfrage stellen", forderte Striegel. SPD-Landeschef Andreas Schmidt sagte: "Ich begrüße, dass irgendjemand diese Geisterfahrer da in Thüringen gestoppt hat." Er bezweifle, dass es etwas am Problem einer grundsätzlichen Bereitschaft von CDU und FDP ändere, mit der AfD zu kooperieren. Linken-Landeschef Stefan Gebhardt sieht das ähnlich. "Wer jetzt aber denkt, dass alles wieder gut ist, der täuscht sich."

Auch die AfD befürchtet, dass die Regierungsbildung in Zukunft immer schwieriger wird, allerdings aus anderen Gründen. "Es ist schon ein merkwürdiges Demokratieverständnis, wenn man eine Wahl nicht akzeptieren kann, wenn die ausschlaggebenden Stimmen von der AfD kommen", schrieb die AfD im Magdeburger Landtag bei Facebook. "Dass Kemmerich so schnell einknickt, überrascht und enttäuscht."

Ist nach all diesen Entwicklungen eine stabile Zusammenarbeit der Parteien im Thüringer Landtag möglich? "Vertrauensvoll und stabil dürfte vor allem bei der CDU erstmal gar nichts mehr sein", sagte Politpsychologe Kliche. "Da gehen die innerparteilichen Auseinandersetzungen jetzt erst richtig los." Die Kemmerich-Wahl könnte bei vielen Wählern die Erfahrung vertiefen, dass sie Politik nicht selbst steuern können, sondern undurchsichtige Verhandlungen in Hinterzimmern dominierten. Diese Erfahrung sei eine wichtige Quelle für Demokratieskepsis. "Alle Parteien sollten begreifen, dass das Vertrauen in politische Abläufe ein Gemeingut ist, das man nicht für ein wenig Karriere und Macht opfern darf."

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Post der AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag zum angekündigten Rückzug Kemmerichs