Leseranwältin Den Vorteil für sich erkennen

Ein Lkw-Fahrer schiebt einen Klima-Kleber mit seinem Truck vor sich her. Viele sind entsetzt, manche zeigen Verständnis, so wie ein Politiker, der den Fahrer verteidigt; ein Redakteur stellt dem Politiker dazu kritische Fragen, nachzulesen in einem Interview in der Volksstimme. Das wiederum finden nicht alle Leser gut: Der Reporter trage durch seine provokanten Fragen zur Polarisierung bei. Also: Wie hart dürfen Journalisten fragen?
So hart, wie es nötig ist, um für die Leserinnen und Leser die Argumente des Gesprächspartners deutlich herauszuarbeiten und seine Position im Spektrum der Meinungen einzuordnen. Genau das ist die Funktion eines gelungenen Interviews.
Politiker und Prominente, die den Umgang mit Medien gewohnt sind, stellen sich Interviews durchaus gern, weil sie den Vorteil für sich erkennen: das Recht, ihre Sicht der Dinge in eigenen Worten darzulegen. Sie haben aber keinen Anspruch darauf, dass ihnen nur genehme Fragen gestellt werden. Auch solche Gespräche, in denen die Interviewer als gefällige Stichwortgeber agieren, liest man leider bisweilen. Mit Journalismus hat das nichts zu tun, mit Hofberichterstattung und PR sehr viel. Journalistinnen und Journalisten, die ihr Handwerkszeug verstehen, konfrontieren Gesprächspartner hingegen bewusst mit Gegenargumenten. Wo es der Deutlichkeit dient, darf und muss in den Fragen zugespitzt werden. Erfahrene Politiker wissen das auch. Je streitbarer man selbst auftritt, desto mehr muss man mit Kritik leben.
Journalisten dürfen ihre Gesprächspartner also mitunter hart angehen – in der Sache. Was nicht geht: das Gegenüber als Person „fertigzumachen“. Ganz abgesehen davon, dass sich bei Angriffen unterhalb der Gürtellinie selbst der gutwilligste Befragte irgendwann verweigert. Eine bewährte Faustregel weist den richtigen Weg: Hart in der Sache, höflich in der Form.