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1. FC Magdeburg Achim Streich zum runden Geburtstag: 70 Jahre und kein bisschen leise

Warum Fußball-Rekordnationalspieler und Rekordtorschütze der DDR am Dienstag zu seinem Geburtstag auf eine große Party verzichten muss.

Von Klaus Renner Aktualisiert: 16:51

Magdeburg. Es ist relativ ruhig geworden um Joachim Streich, was nicht allein den widrigen Corona-Umständen geschuldet ist. Sein gesamtes und von vielen Rekorden geprägtes Fußballer-Leben zeichnete den in Wismar geborenen Blondschopf durch seine sprichwörtliche Ruhe und Bescheidenheit aus. Ob die von nur wenigen Aktiven erreichten mehr als 100 Länderspiele, in denen er 55-mal ins Schwarze traf, der beachtliche sechste Platz bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 oder Olympiabronze 1972 – Joachim Streich gehörte nie zu den schrillen Typen, die durch besondere Allüren oder Skandale auf sich aufmerksam machen mussten. Vielmehr prägte er sich ins Gedächtnis der Fans im Osten der Republik durch seine mehrfachen hohen Freudensprünge nach oftmals spektakulären Toren ein.

Ob der Jubilar allerdings seinen 70. Geburtstag (und die bevorstehende Goldene Hochzeit) mit seiner Ehefrau Marita im engsten Kreise der Familie im Ostseebad Kühlungsborn feiern wird, war bis zuletzt offen. „Mich zieht es immer noch ein wenig an die Küste, eine gewisse Sehnsucht ist schon da“, gesteht er, der im Hansestädtchen Wismar das Licht der Welt erblickte und dort auch im zarten Alter von sechs Jahren bei der Betriebssportgemeinschaft Anker (später TSG) Wismar begann, die Töppen zu schnüren.

Seine Frau und er hätten vor Jahren mit dem Gedanken gespielt, ihren Lebensmittelpunkt zurück an die Ostsee zu verlagern, „doch die Küste hat sich finanziell ganz weit von uns entfernt. Außerdem fühlen wir uns in Möckern sehr wohl. Wir haben hier viele Freunde, tolle Nachbarn und ein schönes Grundstück“.

Streichs Beinahe-Wechsel zu Carl Zeiss Jena

Die Annahme, dass das Häuschen Streichs ungezählte Erinnerungsstücke beherbergt, führt in die Irre. „Lediglich die silberne Schale, die mit Englands Torhüter Peter Shilton einst im Londoner Wembley-Stadion vor meinem 100.?Länderspiel als Anerkennung des englischen Fußball-Verbandes überreichte, bewahre ich zu Hause auf“, berichtet der „Hunderter“. Übrigens alle Pokale, Medaillen, Urkunden, Trikots und weitere Andenken an seine einmalige Sportler-Karriere haben einen Ehrenplatz in einem eigens dafür bestimmten Raum bei Streichs Neffen in Wismar gefunden.

Obwohl Joachim Streich schon als Angreifer bei Hansa Rostock zu den treffsichersten Kickern zählte, feierte er erst nach dem Wechsel 1975 seine größten Erfolge. Doch beinahe wäre alles anders gekommen. Mit den Ostseestädtern im Oberliga-Mittelfeld dahindümpelnd, stellte sich für Streich Mitte der 70er Jahre die Frage nach einem Vereinswechsel: „Das Beispiel war Eberhard Vogel, der vom FC Karl-Marx-Stadt zum FC Carl Zeiss Jena gewechselt war, dort in der Oberliga ganz vorn dabei war und auch Europapokalspiele absolvierte.“

Jena-Trainer Hans-Meyer, der einen Nachfolger für den wegen einer schweren Verletzung zum Aufhören gezwungenen Peter Ducke suchte, brachte den Wechsel in trockene Tücher, eine Anstellung für Ehefrau Marita inklusive. Der Wunsch-Stürmer unterschrieb, doch die Spitze des DDR-Fußballverbandes hatte – unterstützt von der Magdeburger SED-Bezirksleitung – etwas dagegen. Streichs unterschriebener Vertrag bei den Thüringern wurde für null und nichtig erklärt. Entweder er bliebe bei Hansa oder er solle sich dem seinerzeit international bekannten FCM anschließen.

„Ich wollte international spielen“, so Streich heute, und hätte mich auch Dynamo Dresden angeschlossen, wenn mir das vorgegeben worden wäre.“ Zu seinem Glück und jenem des FCM kam es anders.

In Magdeburg war der „Neue“ kein Unbekannter. Die FCM-Auswahlspieler Jürgen Pommerenke, Axel Tyll, Wolfgang Seguin, Martin Hoffmann und Jürgen Sparwasser kannte Streich von zahlreichen Einsätzen und Trainingslagern mit der Nationalmannschaft.

Eines seiner ersten Tore für die Blau-Weißen erzielte Streich unmittelbar nach seinem Wechsel in einem unvergesslichen Testspiel vor fast 3000 Zuschauern beim damaligen Bezirksligisten Kali Wolmirstedt, das 2:2 endete: „Ich erinnere mich noch genau an die tolle Kulisse in Wolmir-stedt. Wir waren noch nicht zu 100 Prozent eingespielt, und die Wolmirstedter fighteten als ginge es ums WM-Finale.“

Keine Frage, Joachim Streich sieht es auch 36 Jahre nach seinem Karriere-Ende als Spieler als selbstverständlich an, Mitglied des FCM zu sein. 15 Jahre als Spieler und sechs Jahre als Trainer haben sich ganz tief ins Streichsche Gefühlsleben eingebrannt.

Distanziertes Verhältnis zum FCM

Dennoch bezeichnet der 70-Jährige seine derzeitigen Emotionen für den Club als „eher distanziert“. Als Kolumnist für die „Volksstimme“ wie auch den „Kicker“ nimmt Streich regelmäßig kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die sportliche Lage wie auch in der Vereinsführung beim FCM kritisch zu hinterfragen.

Als „ehemaliges Mitglied des wenig einflussreichen Sportbeirates“ so Originalton Streich, betrachtet er sein Verhältnis zum FCM als eher nüchtern: „Außer, dass ich noch zu den Heimspielen ins Stadion kommen darf, ist mein Kontakt zum FCM sehr bescheiden.“ Größtes Manko sei, dass „keine Verbindung zwischen Verein und ehemaligen Spielern besteht. Außer, dass ich zu den Heimspielen ins Stadion kommen darf und einen Sitzplatz habe.“

Streich nimmt die rechte Hand ans Kinn, beginnt zu grübeln, wenn er über den wesentlichsten Unterschied zwischen dem aktuellen Fußball und dem zu seiner aktiven Zeit nachdenkt und sagt: „Wir waren eine verschworene Einheit. Man lebte hier und identifizierte sich zu hundert Prozent mit dem Verein. Heute ist es so, wenn es nicht läuft, verlässt man eben den Verein und zieht weiter. Und das sieht man auch auf dem Spielfeld. Ich sehe nicht mehr diese enge Verbundenheit und das Engagement, vermisse oftmals den letzten Willen. Ich möchte nicht erleben, dass der FCM den Bach runtergeht.“ Die aktuelle Tabellenregion sei „beängstigend“, die Fanszene hingegen „einmalig. Das hätte ich früher auch gern so gehabt“.

„Allzu viel habe ich nicht falsch gemacht“, lautet Streichs Lebensfazit in einem Satz. Und dann holt „Strich“, wie ihn engste Freunde nennen, doch noch etwas weiter aus: „Ich hatte das Glück, mein Hobby zum Beruf zu machen und diesen 15 Jahre mit recht gutem Erfolg auszuüben. Rückblickend bin ich auch mit meiner Zeit als Trainer sehr zufrieden. Als Spieler war ich nur für meine eigene Leistung verantwortlich. Der große Unterschied als Trainer bestand darin, dass man plötzlich für einen ganzen Stab an Personen und viele Dinge im Umfeld verantwortlich war. Auch wenn ich als Trainer anfangs lieber im Nachwuchs gearbeitet hätte, glaube ich, ich habe alles ganz gut hingekriegt.“