1. FC Magdeburg Christian Titz und der 1. FC Magdeburg: Im Zeichen der Rettung
Er kam, sah und siegte: Mit seiner Idee von Fußball brachte Trainer Christian Titz den Erfolg des 1.FC Magdeburg zurück. Die Inspiration dazu fand er einst bei Johan Cruyff.

Christian Titz musste sich noch nie entlang eines fliegenden Flugzeugs hangeln, er musste noch nicht das höchste Hochhaus der Welt an der glatten Fensterfassade besteigen, er musste sich auch noch nicht auf dem Dach eines Zuges des Angriffs eines Hubschraubers erwehren. Mitten im Tunnel. All das hat der Schauspieler Tom Cruise fürs Kino in der Filmreihe „Mission Impossible“ erledigt, die Titz nicht nur gut kennt, sondern die er tatsächlich „sehr gerne gesehen“ hat, sagt der Trainer des 1. FC Magdeburg.
Eine gewisse Neigung zum Unmöglichen darf man ja auch dem 50-Jährigen durchaus bescheinigen. Oder wie Titz über seinen ersten Blick auf sein Engagement bei den Blau-Weißen berichtet: „Bei näherer Betrachtung der Mannschaft war es eine schwierige Aufgabe.“
Übernommen hat er die Aufgabe in den Abendstunden des 12. Februar dieses Jahres, als Nachfolger des erfolglosen Thomas Hoßmang. Er hat sich noch in der folgenden Nacht aus dem beschaulichen Meerbusch bei Düsseldorf, dem Anker der Familie Titz, auf den Weg zur Mission nach Magdeburg begeben. Mit den besten Wünschen seiner Frau und der beiden Kinder. Allesamt so fußballbegeistert wie er selbst.
Er hatte zwei Tage Zeit, sich jenes nähere Bild von einer Mannschaft zu machen, die in den Wochen und Monaten zuvor vor allem eines gewonnen hatte: Verunsicherung. Und die nun eines gewinnen musste: Selbstvertrauen. Und so schwierig sich die Aufgabe im ersten Moment auch darstellte, „sie war nicht unmöglich“, sagt Titz. „Wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass wir den Klassenerhalt schaffen können, hätte ich sie auch nicht angenommen.“
Den Klassenerhalt in der dritten Liga haben die Blau-Weißen letztlich geschafft. Mit dem neunten Spiel ohne Niederlage in Serie. Mit dem 3:0-Sieg am 5. Mai in Saarbrücken.
Wenn ich aus dem Haus bin, stand ich bereits auf dem Platz.
Sieben Tage später steht Christian Titz in Loge zehn der MDCC-Arena. Hier unter dem Stadiondach hat er einen wundervollen Blick in das Rund. Er sieht die Banner der Fans, auf die sie ihre Glaubensbekenntnisse notiert haben, er sieht das satte Grün des Rasens, der einige Wochen zuvor noch eine recht holprige Spielwiese gewesen ist. Der Regen setzt ein, Titz sagt lächelnd: „Ich mag den Duft der Natur, wenn es regnet. Das war schon früher als Spieler so.“ Zum Beispiel als Spieler der Viktoria Neckarhausen.
Hier ist Christian Titz groß geworden. Hier, nördlich von Heidelberg. Das Elternhaus stand direkt am Sportplatz. „Wenn ich aus dem Haus raus bin, stand ich quasi auf dem Platz“, erzählt er lächelnd. Heute wird, soweit die Corona-Lockerungen es wieder zulassen, in der Clubgaststätte von Viktoria mittwochs das Schnitzel und freitags der Backfisch gereicht. In jener Straße am Neckar haben außerdem der Breitensportverein DJK und der Gesangsverein 1859 ihr Domizil gefunden.
Aber Titz hat allenfalls die Erfolge auf dem Platz besungen, Titz ist vornehmlich dem runden Leder nachgejagt. Und: „Es ließ sich gar nicht verhindern, Trainer zu werden“, sagt er. „Ich stamme aus einer fußballbegeisterten Familie. Mein Vater war mein erster Trainer. Auch mein Opa war in das Vereinsleben involviert. Und ich war 15 Jahre alt, als ich erstmals eine Mannschaft übernommen habe.“ Die D-Junioren der Viktoria waren sein Anfang als Coach. Ein Anfang, der „mir sehr gut gefallen hat“.
Solche Aufgabe hat er als aktiver Spieler auch in anderen Gemeinschaften ab und an übernommen. Titz selbst war mal ein Manndecker, mal ein Libero. Und als das System der Ketten Einzug in den Fußball hielt, besetzte er auch der Position des „Sechsers“. Eher strategisch im Mittelfeld also. Wie er es mag. Aber wie er es nicht so konsequent ausleben durfte, wie er es gerne ausgelebt hätte.
Ein erster und später ein zweiter Zeckenstich sorgten für mehrfache und langwierige Ausfälle des Christian Titz, eine anhaltende Borreliose mit Fieberschüben setzte ihn außer Gefecht, schwächte seinen Körper, was Verletzungen zur Folge hatte. Die wiederum sein frühes Karriereende 2000 beim SV Idar-Oberstein und nach sechs Spielen in der Regionalliga West/Südwest bedeuteten. Er sagt im Rückblick: „Was mir wirklich wehgetan hat, war, als ich aufhören musste zu spielen.“
Es ließ sich gar nicht verhindern, dass ich Trainer wurde.
Dabei ist Titz wahrlich nicht der Mann, der seine Karriere in größte Siege und bitterste Niederlagen kategorisiert. „So ticke ich nicht“, betont er. „Für mich reduziert sich nicht der Erfolg darauf, Trainer in der ersten oder zweiten Bundesliga zu sein. Ich hatte auch im Kinder- und Jugendbereich so viele schöne Erlebnisse.“ Titz kann sich immer an dem nächsten Spiel erfreuen, bevor es überhaupt angepfiffen wurde. Titz sieht in jedem Moment seiner Arbeit eine besondere Bedeutung. Die größte Bedeutung in Magdeburg hatte der Moment der Rettung. Den Mut dafür hatte er selbst mitgebracht. Und weitergegeben. Er sagt: „Ich mag mutige Mannschaften.“
Und den offensiven Fußball: „Es ist kein Geheimnis, dass ich jemand bin, der es mag, mit meiner Mannschaft das Spiel zu gestalten“, sagt Titz nämlich. Im nächsten Detail bedeutet das: „Wenn wir unser Spiel in die gegnerische Hälfte verlagern, können wir mehr Tore erzielen. Wenn wir mehr Ballbesitz haben, können wir weniger Tore bekommen.“ So wird auch Johan Cruyff, der einstige Weltklasse-Angreifer aus den Niederlanden und der Schule von Ajax Amsterdam, gedacht haben, als er das Traineramt beim FC Barcelona 1988 übernahm und acht Jahre lang mit den Spaniern von Titel zu Titel stürmte. National wie international. „Wie er seiner Zeit voraus war, hat mich beeindruckt“, sagt Titz. „Wie er mit seinen Teams in der Raumverteidigung gespielt und gegen den Gegner kombiniert hat, wie seine Spieler angelaufen sind. Diese Art von Fußball fand ich sehr interessant.“
Eine Art von Fußball, die den Trainer Titz inspirierte. Eine Art, die er für sich bei seinen zahlreichen Hospitanzen im In- und Ausland weiterentwickelte. Über die er in seinem Online-Portal „Coaching-Zone“, das sich mit Trainingslehre beschäftigt, berichtet. Und über die er mit dem ehemaligen Bundesliga-Profi und Co-Autor Thomas Dooley, mit dem er befreundet ist, sieben Sachbücher in deutscher und fünf in englischer Sprache verfasste. Die da heißen: „Dribbeln und Finten“, „Passen und Ballkontrolle“ oder „Das 4-4-2-System“.
Wenn ich enorm emotional wäre, würde ich den Blick auf das Spiel verlieren.
Entwickelt hat er seinen Stil letztlich auch auf seinen Trainerstationen. Ob in seiner Zeit bei Alemannia Aachen (U 19), beim FC Homburg oder beim Hamburger SV, wo er von 2015 an zunächst die Jugend ausbildete und dann im März 2018 in die Mission Klassenerhalt in der Bundesliga geschickt wurde, den er damals nur knapp verpasste. Bei allen Emotionen, die auch Christian Titz mit dem Fußball verbindet, ist er in guten wie in schlechten Spielen immer der Souverän geblieben. „Wenn ich enorm emotional wäre, würde ich den Blick für das Spiel verlieren“, sagt er. „Und wenn ich da draußen zu oft wild gestikulieren würde, ist die Gefahr größer, dass ich meine Mannschaft verunsichere.“
Sicher ist, dass er nach dem heutigen letzten Punktspiel gegen Unterhaching (13.30 Uhr, MDCC-Arena) und dem Qualifikationsspiel zum DFB-Pokal am 29. Mai gegen den Halleschen FC die Sommerpause intensiv nutzen wird, um seine Zeit mit seiner Familie und im Freundeskreis zu verbringen. Um die Natur zu leben, Fahrrad zu fahren. Titz mag die Berge und das Meer. Er mag Geselligkeit, geht gern in ein Restaurant, beides hat er in Corona-Zeiten vermisst.
Doch schon am 17. Juni startet er mit der Mannschaft, es wird eine neue sein, in die Vorbereitung auf das nächste Drittliga-Abenteuer. Für das Titz wieder seinen Mut mitbringen wird. Und den Fußball, wie ihn die Kreativen und die Filigranen mögen, für den aber die Defensive immer die Basis bleibt. „Wenn wir ein reines Fehlerverhinderungsspiel machen würden“, sagt Titz, „hätten wir kein Selbstvertrauen.“ Denn um das Unmögliche zu schaffen, gehören Mut zum Risiko, Wille und Entschlossenheit dazu. Wie bei Tom Cruise in „Mission Impossible“.