Radsport Im Kreis der Topstars: Lipowitz als deutsche Tour-Hoffnung
Die Dauphiné-Rundfahrt ist quasi die Generalprobe für die Tour de France. Die drei Superstars Pogacar, Vingegaard und Evenepoel liefern sich ein Kräftemessen - und ein junger Deutscher mischt mit.

Für Rad-Superstar Tadej Pogacar ist er eine Gefahr für die Gesamtwertung, das renommierte Sportblatt „L'Equipe“ widmete dem jungen Deutschen „mit dem großen Motor“ gleich mal eine Seite. Gut drei Wochen vor der Tour de France lässt Florian Lipowitz mit starken Leistungen bei der schweren Dauphiné-Rundfahrt die deutschen Fans von einem Radsport-Sommer träumen. Dabei ist seine Teilnahme am Jahreshöhepunkt - zumindest offiziell - noch gar nicht gesichert.
Nach seinen bemerkenswerten Auftritten im Kreis der Weltbesten dürfte sich seine Tour-Premiere geklärt haben. Der 24-Jährige war sogar zweimal ganz nah dran am Gelben Trikot und verpasste sowohl am Dienstag in einer Ausreißergruppe als auch am Mittwoch mit einem beachtlichen fünften Platz im Einzelzeitfahren den ersten Gesamtrang nur um wenige Sekunden.
„Bin wie 99 Prozent des Pelotons“
Bescheiden und zurückhaltend, wie sich Lipowitz präsentiert, will er seine Leistungen gar nicht überbewerten. „Ich mache Fortschritte, weiß aber auch, dass es Rückschläge geben wird. Es gibt nur wenige Fahrer auf der Welt, die bei jedem Rennen immer konkurrenzfähig sind“, sagt der frühere Biathlet, der erst seit sechs Jahren auf die Karte Radsport setzt: „Ich bin wie 99 Prozent des Pelotons. Ich bin normal, ich habe meine schlechten und meine guten Tage.“
Aktuell sind es eher die guten Tage, und das goldene eine Prozent des Pelotons bekommt das zu spüren. So merkte jüngst Tour-Champion Pogacar an: „Wenn Fahrer wie Lipowitz in der Ausreißergruppe sind, sollte man ihnen nicht zu viel Vorsprung geben.“
Zeitfahren im Eisenbahntunnel
Im Zeitfahren, das Doppel-Olympiasieger Remco Evenepoel in souveräner Manier vor Jonas Vingegaard gewann, war Lipowitz nur acht Sekunden langsamer als Pogacar. Sicher auch, weil der deutsche Rundfahrtspezialist an seinen Zeitfahr-Fähigkeiten gearbeitet hat. Zuletzt verbesserte er nahe Birmingham in einem stillgelegten Eisenbahntunnel, der zu einer Teststrecke für Automobilhersteller umfunktioniert wurde, seine Aerodynamik.
Was ist also noch drin vor den schweren Bergetappen am Wochenende? „Eigentlich kommen jetzt die Etappen, die mir liegen. Mit den großen Drei kann ich mich nicht messen, aber eine Top-Ten-Platzierung ist drin“, sagt Lipowitz, der seinen Red-Bull-Sportdirektor Bernhard Eisel überzeugt hat. „Weltklasse“ sei die Leistung des Youngsters, so der Österreicher: „Ich bin total begeistert von der Performance.“
Was die Tour-Teilnahme betrifft, verweist Eisel auf die Chefs um Teamchef Ralph Denk, lässt aber auch durchblicken: „Viel mehr kann man kaum machen, um auf sich aufmerksam zu machen. Übersehen können wir ihn nicht mehr.“
Helfer von Kapitän Roglic oder doch mehr?
Bei der Tour ist im Red-Bull-Team eigentlich der für viele Millionen geholte Star Primoz Roglic als Kapitän vorgesehen. Wie schnell sich die Konstellationen verändern können, hat sich in der Vergangenheit oft gezeigt. Auch Roglic musste einst im Visma-Team Vingegaard die Kapitänsrolle überlassen, und die Sturzanfälligkeit des Slowenen - wie jüngst wieder beim Giro d'Italia gesehen - ist ein zusätzliches Handicap.
„In den nächsten zwei, drei Jahren möchte ich zu einem Klassement-Fahrer aufsteigen. Ein Sieg bei einer Grand Tour ist noch etwas zu viel verlangt, aber ein Podiumsplatz wäre möglich, wenn alles gut läuft“, sagt Lipowitz, der im Vorjahr bei seiner Vuelta-Premiere auf Anhieb Siebter wurde, der „L'Equipe“. Er habe keine Angst vor dem Druck, müsse aber auch noch viel lernen.
Beim Red-Bull-Team wollen sie Lipowitz behutsam aufbauen. In den vergangenen Jahren waren auch schon der frühere Tour-Vierte Emanuel Buchmann und Etappengewinner Lennard Kämna schnell mit dem einzigen deutschen Tour-Sieger Jan Ullrich verglichen worden - was nicht förderlich war.