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Leichtathletik: Egelnerin Jessica Graf trotz Verletzungsproblemen bei Deutschen Meisterschaften "Der Fuß hat \'Nein\' gesagt"

Von Björn Richter 01.09.2011, 06:25

Ein 32. Platz löst für gewöhnlich selten Begeisterungsstürme aus, auch ein vierter Rang geht meist mit der wenig schmeichelhaften "Blech"-Medaille einher. Und trotzdem sind eben jene Ergebnisse in der Einzel- und Mannschaftswertung von Jessica Graf bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften der Leichtathleten kaum hoch genug anzurechnen, bedenkt man die Umstände, unter denen sie am Wochenende zustande kamen. Die Egelnerin in Diensten des SC Magdeburg "quälte sich" angeschlagen durch den Wettkampf und stellte sich dabei ganz in den Dienst ihres Teams. "Ich wollte es nicht im Stich lassen", so die 17-Jährige, die trotzdem zufrieden zurückkehrte.

Vaterstetten/Egeln. Der griechische Mythenheld Achilles galt als unverwundbarer Krieger - bis ihn in der Schlacht um die Stadt Troja ein Pfeil des Königssohns Paris an der später nach ihm benannten Ferse traf. Zwar war die Egelnerin Jessica Graf bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften von der griechischen Mythologie so weit entfernt wie die Erde vom Mond, ihre "Achillesferse" meldete sich aber dennoch entscheidend zu Wort, nur dass diese auf der Innenseite des linken Fußrückens lag. "Seit zehn Monaten machen mir die Beschwerden jetzt schon zu schaffen, ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen, keiner kann mir sagen, woher die Schmerzen kommen", so die 17-Jährige, die im Dress des SC Magdeburg startete.

Gestern stand sie nun Rede und Antwort zu ihrem wahrgewordenen Traum "Deutsche Meisterschaft", humpelnd, gestützt auf zwei lilafarbene Krücken. Diese soll sie zwar noch in dieser Woche loswerden, dennoch lassen die Gehhilfen erahnen, wie sehr Jessica im bayerischen Vaterstetten auf die Zähne beißen musste. "Obwohl ich wegen der Beschwerden nicht richtig trainieren konnte, war die Vorfreude riesig, als wir am Donnerstag mit der Mannschaft im Hotel ankamen und dann am Freitag endlich zum Leichtathletik-Stadion fuhren", erinnerte sie sich.

Zu diesem Zeitpunkt machte sich der Fuß noch nicht bemerkbar, verhältnismäßig spät, nachmittags um halb zwei, nahm sie die erste Disziplin, die 100 Meter Hürden, in Angriff. "Beim Einlaufen ging es richtig gut, im Lauf dagegen war ich ziemlich verkrampft", schlug dann die Nervosität doch ein bisschen durch. Für Jessica unterdurchschnittliche 17,00 Sekunden standen letztlich zu Buche, die waren Motivation genug für den nun folgenden Wettbewerb im Hochsprung. Hier kratzte sie mit 1,51 Metern an ihrer persönlichen Bestmarke (1,52 Meter), merkte "hier geht etwas" und ärgerte sich fast ein wenig, da sie die Versuche über 1,54 Meter knapp gerissen hatte.

Der kleine Schub war nun dringend nötig, folgte doch mit dem Kugelstoßen der Einstieg in die von Jessica als "Problemdisziplinen" beschriebenen Wurfwettbewerbe. Die fast schon persönliche Abneigung gegen das runde Arbeitsgerät sollte auch in Bay- ern neue Nahrung bekommen. 8,40 Meter waren letztlich auf der Anzeigetafel zu lesen und in diesem Bereich "gibt es noch eine Menge zu tun", wie sie selbstkritisch anmerkte.

Erste 100 Meter gut

Abschluss des ersten Wettkampftages war der Lauf über die 200 Meter, die Vorahnungen vom "krönenden Höhepunkt" sollte sich hierbei in negativer Weise bewahrheiten. "Der Start und die ersten 100 Meter liefen sehr gut", erinnerte sie sich und die Pause im Satz verhieß nichts Gutes. "Mit einem Schritt aus der Kurve heraus war es dann aber vorbei. Da hat der Fuß ¿Nein\' gesagt." Die Zielzeit von 27,79 Sekunden war zwar achtbar, geriet in diesem Moment jedoch zur Nebensache.

Denn der Rückweg zum Hotel und die Nacht waren geprägt von Gedanken rund um den Begriff "Abreise". Dazu riet ihr auch Trainer Ullrich Riecke, doch Jessica dachte hauptsächlich an ihre Teamkolleginnen Carolin Leicht und Susen Wiesner: "Ich wollte die Mannschaft nicht im Stich lassen und dachte mir, dass ich das schon irgendwie hinbekomme." Bekam sie aber nicht.

Der erste Weg am Sonnabend führte nämlich nicht wie erhofft zur Weitsprunggrube, sondern zu einem Arzt. "Dort bekam ich dann ein Betäubungsmittel gespritzt, das zumindest den Schmerz etwas linderte." Doch durch das Prozedere blieb ihr kaum noch Zeit für eine Erwärmung, was sich angesichts des enormen Wetterumschwungs doppelt bemerkbar machte. Denn herrschten am Vortag noch Temperaturen über 30 Grad Celsius, zog sich das Quecksilber am Sonnabend auf neun Grad zurück, dazu kam anhaltender Regen. Somit galt "Mitnehmen, was geht", was in Jessicas Falle "möglichst viele Punkte" bedeutete. Doch zeigte sie sich mit ihren Ergebnissen im Weitsprung (4,59 Meter) und Speerwerfen (22,95 Meter) "überhaupt nicht zufrieden".

Die Serie von Unwegsamkeiten setzte sich vor dem letzten Wettbewerb, dem 800-Meter-Lauf, fort. So wurde der Start um eine Stunde nach hinten verschoben. "Zudem ließ wie vorhergesagt die Wirkung der Spritze nach zweieinhalb Stunden nach", schon im Warmlaufen stellten sich Probleme ein. Mit einer Zielzeit von 2:39,95 Minuten blieb sie dann ganze zehn Sekunden unter ihrer persönlichen Bestzeit, war aber in erster Linie froh, überhaupt durchgehalten zu haben. Mit insgesamt 3668 Punkten belegte sie am Ende Rang 32 der Einzelwertung, doch wartete bekanntermaßen auch noch der Mannschaftswettbewerb.

"Hier hatten wir uns insgeheim vorgenommen, auf das Treppchen zu kommen", verriet Jessica. Und so war wohl ein kleines bisschen Wehmut dabei, als sich herausstellte, dass das SCM-Trio Rang drei um magere 37 Punkte verpasst hatte. "Aber dann haben wir uns recht schnell gesagt, dass eben nicht mehr drin war für uns. Und ein vierter Platz bei den Deutschen Meisterschaften ist doch eigentlich auch vollkommen okay", stellte sie mit einem Lächeln fest.

Lange Trainingspause

Ihr sonniges Gemüt hatte die 17-Jährige also bereits wiedergefunden, auch wenn die folgenden Tage nicht unbedingt zu überschwänglicher Freude einluden. "Am Montag ging es zum Orthopäden, der kann aber nichts machen, solange die Schwellung noch nicht abgeheilt ist."

Ein Besuch im Fachkrankenhaus Vogelsang soll heute endlich Klarheit schaffen, warum der Fuß immer wieder Probleme macht. Doch ganz gleich, wie eine mögliche Diagnose ausfällt, vor Jessica liegt auf alle Fälle eine längere Zwangspause. "Zwei Wochen trainingsfrei waren ohnehin vereinbart, durch den Fuß dauert es natürlich noch einmal länger." Über das Aufbau- und Krafttraining will sie sich in den kommenden Wochen langsam wieder herantasten, die Wettkampfsaison 2011 ist ohnehin beendet. Auch die diejährige Hallensaison will sie in Absprache mit Trainer Riecke wohl auslassen, um dann im nächsten Jahr wieder voll anzugreifen.

Achilles hatte übrigens nicht so viel Kampfgeist. Der Pfeil, der ihn an der Ferse traf, verwundete den vermeintlich unbesiegbaren Heroen tödlich.