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Porträt der Woche Friederike Ernst vom Judo-Club Genthin und ihr langer Anlauf zum schwarzen Gürtel Für den Sport, für die Familie, für sich selbst

Von Björn Richter 10.08.2013, 03:13

Eine schwerwiegende Verletzung hat schon so manche Sportlerkarriere vorzeitig beendet - auch die von Friederike Ernst. Wodurch sich die 22-Jährige vom Judo-Club Genthin von anderen unterscheidet: Sie hat sich nach dem schweren Rückschlag wieder aufgerappelt und in diesem Jahr ihren Traum verwirklicht.

Genthin l Eine Narbe knapp unterhalb des Knies wird Friederike Ernst für immer daran erinnern, dass es irgendwie weitergeht im Leben. Sie wird dabei auch an einen langen Leidensweg zurückdenken, der an einem der schönsten Momente ihres bisherigen Leben endete. Zwei Jahre Anlauf hat es gebraucht, ehe die Genthiner Judoka die Prüfung zum schwarzen Gürtel, dem 5. oder auch Go-Dan genannt, ablegen konnte. "Seit ich auf der Matte stehe, war das mein größtes Ziel", sagt die 22-Jährige. Dass sich dieses im Juli dieses Jahres endlich erfüllen würde, daran hat sie zwischenzeitlich selbst am meisten gezweifelt. "Letztlich war das Beharren meiner Mutter Ines ausschlaggebend. Es fällt schwer, sich nach so einem Rückschlag selbst zu motivieren."

Friederike Ernst befand sich seinerzeit für ein halbes Jahr in Südafrika. Da ihr Heimatverein, der JC Genthin, freundschaftliche Kontakte ans Kap der Guten Hoffnung pflegt, fand im Rahmen eines gemeinsamen Jugendaustauschs ein freundschaftlicher Vergleich auf der Judomatte statt. "Bis dahin bin ich stets von schweren Verletzungen verschont geblieben. Aber bei dem Wettkampf ist mir das Kreuzband gerissen", berichtet die junge Frau mit den goldblonden Haaren. Eine Fehlleistung der Ärzte, die den lädierten Gelenkstabilisator falsch annähten, bescherte Ernst nicht nur weitere zwei Operationen, sondern auch den Abschied vom Leistungssport. "Es ging einfach nicht mehr. Wichtig war in dem Moment, wieder im Alltag klarzukommen. Das war schwierig genug."

"Man steht neben der Matte und sagt sich: Das hättest auch du sein können."

Also quälte sie sich durch die lange Reha, fing wieder an, die Gruppen in ihrem Verein in allgemeiner Fitness und judospezifisch zu unterrichten, begleitete ihre Schützlinge zu Wettkämpfen. "Aber es ist extrem schwierig, wenn man bei Deutschen Meisterschaften neben der Matte steht und sich sagt: Das hättest du sein können."

Mit gerade einmal 15 Jahren wurde sie nämlich bereits ins Nationalteam berufen, weilte an den Wochenenden auf Lehrgängen und Wettkämpfen, während ihre Altersgenossen ausgingen. Wäre Ernst noch bereit gewesen, dieses Opfer zu bringen, war es schließlich die Engstirnigkeit im nationalen Verband, die sie wieder aus dem Kader austreten ließen. Es war eine jener leidigen Ost-West-Geschichten, wie sie der Sport im wiedervereinigten Deutschland so oft geschrieben hat: "Ich hatte aufgrund meiner Herkunft keine Chance, war immer nur die Nummer zwei. Der Bundestrainer hat die westdeutschen Athleten bevorzugt behandelt." Doch im Jahr 2010 wollte sie noch einmal "so richtig angreifen", wie sie sagt. Da kam ihr die Verletzung in die Quere.

Mit den Vorbereitungen auf die höchste Dan-Prüfung hatte die Braungurtträgerin bereits begonnen, musste ihre Pläne aber verwerfen, um sich zwei Jahre später erneut Theorie und Praxis draufzuschaffen. Der zweite Anlauf im Juli 2013 gelang. Zusammen mit Uke (passiver Partner) Jessica Herzog reüssierte sie in der rund fünfstündigen Prüfung, auch wenn bereits nach der Hälfte der Zeit das Knie wieder Probleme machte. "Der Wendepunkt war dann die Kata (Formenkampf, Anm. d. Red.). Es gibt dabei viele Würfe, es geht ständig nach links und rechts. Danach wusste ich - das wird etwas."

"Bewegung ist mein Leben."

Mit der bestandenen Prüfung schreibt sie in gewisser Weise das Judo-Erbe der Familie Ernst-Schiller weiter. Scherzhaft heißt es intern: Nur wer den schwarzen Gürtel trägt, gehört dazu. "Aber es war vor allem mir selbst wichtig, diesen Traum zu erfüllen", stellt Friederike Ernst klar.

Das Wort "wichtig" fällt im Gespräch mit der Genthinerin an mehreren Stellen, vor allem im Bezug auf den Sport. "Bewegung ist mein Leben. Ich werde auch mit dem Judo nie ganz aufhören. Damit bin ich groß geworden." Zwar beschäftige sie sich in ihrer Freizeit viel mit genereller Fitness und koordinativen Übungen, doch zum "Fremdgehen" kann sie selbst ihr Handicap im Knie nicht verleiten: "Dass ich die Sportart wechsele, kann ich mir nicht vorstellen. Für die Idee, einen Mannschaftssport im Verein zu spielen, konnte ich mich zu keinem Zeitpunkt begeistern."

Der Judosport mitsamt häufigem Hinfallen und Aufstehen dient in gewisser Weise also auch als Metapher auf Friederike Ernst. Doch zwischen der Enttäuschung im Nationalteam und ihrem Kreuzbandriss gab es auch bei ihr eine Phase, in welcher die Leidenschaft hinten anstehen musste. "Ich wollte ein sehr gutes Abitur ablegen. Daher musste ich mein Judo-Pensum ganz einfach ein wenig herunterschrauben", blickt Ernst zurück. Trotzdem sagt sie heute auch, dass die Freude über den Erwerb des schwarzen Gürtels noch ein wenig größer war, als nach der erfolgreichen Reifeprüfung im Jahr 2010. Nachvollziehen kann diese persönliche Gewichtung wohl nur, wer ihren langen Anlauf hin zum großen Traum kennt.

Dennoch hat die Verletzung auch eine schmerzhafte Auswirkung abseits des Judo gehabt. Ein bereits begonnenes Sportstudium musste Ernst kürzlich abbrechen. "Würde ich damit weitermachen, ginge dies nur auf Kosten der eigenen Gesundheit." Wohl auch daran wird sie später der Blick auf das Knie einmal erinnern: Selbst der eisernste Wille ist der eigenen Vernunft zuweilen untergeordnet.