Fußball Zu Hause angekommen
23 seiner 35 Lebensjahre hat Jens Liensdorf beim SV 09 Staßfurt verbracht. Seit dem Sommer ist der Trainer wieder beim Heimatverein.
Staßfurt l Jens Liensdorf erinnert sich in einigen Punkten ungern an das Spiel von vor drei Wochen zurück. Fußball-Landesklasse III. Der SV 09 Staßfurt gastiert beim Blankenburger FV. 6:2 gewann der SV 09. Klingt furios. Der Trainer wurde beglückwünscht. Seine Mannschaft hatte die Tabellenführung übernommen. Aber Liensdorf ärgerte sich maßlos über die zwei Gegentore. „Ich gewinne lieber 1:0 als 5:4“, sagt er im Nachgang. Liensdorf war unzufrieden. Das sagt viel darüber aus, was er eigentlich für ein Trainer ist. „Ich denke italienisch“, erklärt er.
Jetzt an diesem Abend ist er ruhiger. Er sitzt in der kleinen verwinkelten Trainerkabine, die nicht größer ist als sechs Quadratmeter. Die Hände hat er ineinander verschränkt, sein rechtes Bein hat er auf dem linken abgelegt.
Mit sechs Siegen aus sechs Spielen ist Staßfurt makellos in die Saison in der Landesklasse III gestartet. Es zeichnet sich ab, dass der SV 09 zum ernsthaften Aufstiegsanwärter heranwächst. Und natürlich ist das auch Liensdorfs Verdienst.
Seit nun etwa vier Monaten steht der 35-Jährige bei den Bodestädtern an der Seitenlinie. Staßfurt ist nicht irgendein Verein. Es ist sein Heimatverein. 1988 fing er beim Vorgängerverein BSG Aktivist Staßfurt mit dem Kicken an. Nur zwei kleine Brüche gibt es in der Biografie. Zum einen die vier Jahre beim SV Förderstedt von 2012 bis 2016. Zum anderen war da die Zeit von 1999 bis 2000. Da wagte er den Sprung zum 1. FC Magdeburg.
In der Regionalliga Nordost der A-Junioren ging es für den Defensiv-Spieler nach Rostock, zur Hertha nach Berlin oder nach Dresden. Maik Franz spielte damals mit ihm zusammen. „Der war da schon ein Raubein“, sagt Liensdorf lachend. Franz wurde der vielleicht härteste Verteidiger der Bundesliga. Heute ist er Assistent der Geschäftsführung beim FCM. Kultspieler Franz schaffte den Sprung zum Profi. Liensdorf nicht. „Für mich kam der Schritt drei bis vier Jahre zu spät, es hätte nicht gereicht“, sagt er heute. „Aber ich trauere der Zeit nicht nach.“ Er ist trotzdem glücklich geworden.
Er ging zurück nach Staßfurt. Wurde Leistungsträger als Libero, später Kapitän, führte den Verein durch schöne Jahre und schwere Zeiten. Und auch er machte 2012 den Abgang. Er war einer der letzten, der ging. „Die Kommunikation war nicht die beste.“ Am 29. Juli 2012, so erinnert er sich genau, hatte er bei der Geschäftsführung durchgerufen, er wollte ja bleiben. Keiner ging ran, keiner rief zurück. Da war er weg.
Beim SV Förderstedt war er Spieler, dann Co-Trainer, später Chefcoach. Was Staßfurt und Förderstedt unterscheidet? „Für solche Vereine wie Förderstedt wird es immer schwerer, Spieler zu bekommen. Sie werden immer teurer, man muss sie permanent überzeugen. Da hat man sich manchmal den Mund fusslig geredet.“
Und dann gingen die Spieler doch woanders hin. „Aber wir haben das Bestmögliche draus gemacht. Ich habe da viel Zeit investiert und Freunde gewonnen.“ Mit Thomas Conrad, dem sportlichen Leiter beim SVF zum Beispiel, telefoniert er regelmäßig. Wie zum Beweis trägt er an diesem Abend in Staßfurt eine Jacke mit dem Förderstedter Logo.
Als aber im März die Anfrage aus Staßfurt kam, entschloss er sich nach einer Bedenkzeit zum Wechsel. „Ich bin mit einem weinenden Auge gegangen und mit offenen Armen empfangen worden“, sagt er. „Staßfurt ist breiter aufgestellt. Es ist nicht stressfrei, aber stressfreier.“
Ist er zu Hause angekommen? „Naja“, sagt der Coach. „Irgendwie schon.“ Seit vier Jahren wohnt Liensdorf nicht mehr in Staßfurt, sondern in Welsleben. „Aber ich kenne hier alles.“ Und hier kann er seine Idee vom Fußball besser umsetzen. Fußball in Förderstedt heißt: Leidenschaft, Emotionen, Härte, Zweikampf. Kämpfen, kratzen, beißen. Fußball in Staßfurt läuft taktischer, filigraner. „Die Jungs bringen viel fußballerische Intelligenz mit“, erzählt Liensdorf. Wie er das meint?
Er steht von einem der vier einfachen, weißen Campingstühle auf, macht die zwei Schritte an den Listen am Schrank mit den Urlaubstagen und dem Strafenkatalog vorbei und schnappt sich einen Zettel. Von versetzter Viererkette, wechselnder Raum- und Manndeckung ist nun die Rede. Kreise, Pfeile malt er auf. So und so und nicht anders müssten die Spieler stehen und sich bewegen.
Pep Guardiola ist sein Trainervorbild. Man versteht das jetzt. Er denkt nicht nur italienisch. Jens Liensdorf ist ein Taktikfuchs. Man versteht nun auch, warum er vor den Spielen nicht die Ansprache an das Team hält. Das macht Torwarttrainer Thomas Stümpel. Da wackeln die Wände, es wird laut. Liensdorf ist da nicht der Typ für, er nimmt sich zurück.
Aber der Erfolg, der spricht allemal für sich.