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Leichtathletik Die Kugel fliegt jetzt über den Acker

Erst auf Trainersuche, dann auf Formsuche: Jule Steuer vom SCM macht die Corona-Krise zu schaffen.

Von Daniel Hübner 25.04.2020, 05:59

Magdeburg l Jule Steuer hatte sich den Einstieg in die neue Saison ganz anders vorgestellt. Zwei Wochen Urlaub hatte sie sich gegönnt im Oktober. Zwei Wochen wollte sie Kraft tanken, um sich danach wieder der Kugel zu widmen. Aber Jule Steuer kam nicht zur Ruhe. Wie es eben bei emotionalen Menschen so ist, wenn sie plötzlich und unerwartet vor einem Problem stehen, für das es sich ganz offenbar keine schnelle Lösung finden lässt.

Das Problem der Jule Steuer war der Coach, der trug in der vergangenen Saison noch den Namen Phillip van Dijck. Und dieser wiederum verkündete zwei Tage vor Steuers Urlaubs-antritt in der Trainingsgruppe seinen Abschied vom SC Magdeburg. „Ich war darüber sehr traurig“, sagt die Athletin.

Nicht über den Wechsel an sich. Denn die Chance, sich nun über den SC Potsdam auch für das Amt des Bundestrainers zu empfehlen, ist für van Dijck größer als in Magdeburg. Zudem gönnt Steuer dem Coach, der die Nachwuchsathleten Jaqueline Gippner und Paul Fehrig mitgenommen hat, diese Möglichkeit. „Ich mag ihn, er ist ein cooler Typ“, so Steuer. Aber, ergänzt sie: „Ich war eben enttäuscht über die Art und Weise, weil er mit mir persönlich nicht gesprochen hat.“

Gespräche musste sie dann während ihrer freien Tage führen. „Ich hatte viele schlaflose Nächte, und ich habe vieles in Frage gestellt“, erklärt sie. Und über eine eigene Veränderung nachgedacht. So hatte die Polizistin in Ausbildung sich mit Bundestrainer René Sack, zugleich Coach beim SV Halle, in Verbindung gesetzt. „Aber das hat in mehreren Punkten nicht geklappt“, berichtet die 19-Jährige. Weshalb sich Steuer zunächst allein durch ihr Programm kämpfen musste. Bis Mitte Dezember.

Dann nahm sich Theresa Wagner, die die Paralympics-Athleten Marie Brämer-Skowronek vom SCM und Alex Bartz vom VSB 1990 trainiert, ihrer an. In der 48. Kalenderwoche 2019 erhielt sie von Wagner den ersten Trainingsplan. „Und ich muss sagen: Es klappt super“, erklärt Steuer.

Die 29-jährige Wagner hat dann nicht lange experimentiert. Von der ersten Sekunde an war klar: „Wir wechseln in die Drehstoßtechnik“, sagt sie. Den Weg wollten auch Steuer und van Dijck gemeinsam mal gehen, aber „vielleicht war ich zu diesem Zeitpunkt dafür noch nicht bereit. Ein paar Mal hatte es geklappt, aber dann hat irgendwann nichts mehr gestimmt“, erklärt die 1,75 Meter große Steuer.

Für diese Technik braucht sie schnelle Beine, sagt Trainerin Wagner. Und gerade die Schnelligkeit „ist eine ihrer Stärken“. Die kann sie in den Zeiten der Corona-Krise, wenn auch Jule Steuer ihre Einheiten außerhalb der Leichtathletikhalle am Magdeburger Olympiastützpunkt absolvieren muss, vielleicht noch kompensieren. „Jedenfalls hoffen wir das“, sagt die Athletin. „Aber bei der Technik wird es schwierig, und die Kraft wird auch immer weniger.“

Steuer hat ihrer Trainerin eine Inventarliste mit allen vorhandenen Geräten in den heimischen vier Wänden geschickt. Hier eine Hantel, da ein Fahrrad-Ergometer. Daraus hat Wagner einen entsprechenden Plan für ihren Schützling konzipiert. Zum Plan gehört es auch, einige Meter laufend zurückzulegen. „Ich hasse das Laufen“, sagt Steuer in einem sehr überzeugenden Unterton.

Da ist es dann ganz hilfreich, einen Handballer als Freund zu haben. Niclas Behrendt, Torhüter bei den SCM-Youngsters, läuft nämlich mit. Und er geht auch mit seiner Jule zum Wurftraining, irgendwo auf einem Acker hinter Magdeburg fliegt seit einigen Wochen die Kugel.

Dabei war sie vor der Corona-Krise athletischer geworden, Wagner und sie hatten das Krafttraining umgestellt, hatten ein gutes Wettkampfgewicht von 84 Kilo erreicht. „Ich habe mich superfit gefühlt“, berichtet Steuer, die im vergangenen und ihrem ersten Jahr mit der Vier-Kilo-Kugel auf 15,32 Meter gekommen war.

Sie hat sich zudem in die Rückenschule begeben. Alles, um auch die Technik zu verbessern. Denn für die große Weite muss der Drehstoß perfekt funktionieren, „jeden Versuch muss man 100-prozentig treffen“, sagt Steuer. Und ergänzt: „Ich nehme mir die Zeit, die ich dafür brauche.“

Es ist ja noch Zeit bis zum nächsten großen Event, im Falle von Jule Steuer ist es die Europameisterschaft der U 23 im nächsten Jahr im norwegischen Bergen. Sie sagt: „Ich möchte im Kampf um ein Ticket mitspielen.“