Triathlon Der ewige Gramm

Christian Gramm vom Magdeburger TC Riemer hat vor 35 Jahren seine Leidenschaft für den Triathlon entdeckt.

Von Daniel Hübner 11.06.2020, 18:56

Magdeburg l Christian Gramm ist Informatiker. Aber kein Nerd. Erst recht kein Stubenhocker. Eher ein bisschen verrückt nach Wasser und Asphalt. Nach Schwimmen, Radfahren, Laufen. Christian Gramm hat sich in allen drei Disziplinen bis zur Corona-Krise geübt. Aber als klar war, dass aus seiner Übung in diesem Jahr kein Meister mehr werden würde, weil nach und nach viele Wettbewerbe abgesagt wurden, „habe ich die Saison komplett abgehakt“, berichtet der Triathlet vom Magdeburger TC Riemer.

Zuletzt ist er also nicht mehr geschwommen oder gelaufen. Zuletzt ist er nur noch Rad gefahren. Nicht allein. Zum Beispiel mit Lebensgefährtin Marisa Pfeifer, die dem Sport ebenfalls leidenschaftlich verfallen ist. Und mit ihren drei Kindern, die womöglich am Anfang dieser Leidenschaft stehen. Die Gabe dazu haben Mama und Papa selbst in Zeiten des Homeschooling (Heimschule) weitergegeben. „Statt Mathe- haben wir Sportunterricht gemacht“, berichtet Gramm lachend.

Sportunterricht war nicht das, in dem er selbst als Schüler unbedingt glänzen konnte. Er war sogar mal Torwart, im Fußball. Weil er für alles, was eine athletische Komponente mit sich bringt, „schlichtweg zu faul war“, sagt er. Er musste erst einen Lehrgang zum Rettungsschwimmer absolvieren im Jahre 1984, um auf Triathlon aufmerksam zu werden. Er musste eine eigene Veranstaltung mit zwei Freunden aus der Taufe heben, um bei seinem ersten Wettbewerb zu starten. „Das war 1985, da sind wir im Barleber See geschwommen, bis zum Hasselbachplatz und zurück geradelt und noch zwei Runden um den See gelaufen – und ich habe gewonnen.“

Den Wettbewerb gibt es nicht mehr. Aber es gibt den Uni-Triathlon des USC, der am 3. Juni stattfinden sollte. Und es gibt den Team-Triathlon des MTC Riemer, der am 13. September geplant war, aber vom Verein ebenfalls abgesagt werden musste. Was machen Triathleten also in dieser Zeit? „Nichts“, sagt Gramm. Bislang zumindest. Nun sind Bäder und Schwimmhallen wieder geöffnet. Dann darf auch Gramm wieder schwimmen.

Tatsächlich hat er in den 35 Jahren, in denen er diesen Sport betreibt, seine Kraul-Qualitäten in den Magdeburger Hallenbecken geformt. Elbehalle, Halle Nord, Halle Olvenstedt, Dynamobad. „Ich gehöre tatsächlich zu denjenigen, die im Training lieber Kacheln zählen“, bestätigt Gramm. Die wenig mit Neopren-Anzügen experimentieren vor einem Wettkampf. Sondern die von sich behaupten können: „Es gibt Dinge, die kann ich einfach: Und dazu gehört Freiwasser.“ Und Schwimmen überhaupt. Und Radfahren noch viel mehr. Früher hieß es bei Gramm jedenfalls: „Wenn ich nicht nach dem Radfahren als Erster in die Wechselzone komme, dann habe ich einen schlechten Tag.“

Nur Laufen, da geht ihm immer etwas die Puste aus. „Bei meinem ersten Start über die olympische Distanz 1985 in Zielitz bin ich beim Laufen gestorben“, erinnert er sich über seine ersten zehn Kilometer in den Schuhen, nach 1,5 Kilometer im Wasser und 40 Kilometern auf dem Rad. „3:20 Stunden habe ich damals gebraucht.“ Für eine Distanz, auf der er heute mindestens eine Stunde schneller ist. Und auf der er danach auch nicht mehr „gestorben“ ist. Wenngleich das Laufen immer der schwächere der drei Abschnitte war und bleiben wird.

Ambitionen, das zu ändern, hat er nicht. Nicht mehr. Sein letzter Sieg datiert vom 18. Juli 2010, erzielt beim 6. Geiseltal-Triathlon in Roßbach. „Die Zeiten, dass ich bei allen zehn Landesliga-Wettkämpfen in der Saison dabei sein musste, weil es dringend etwas zu gewinnen gibt, sind vorbei“, sagt Gramm. Sie sind seit sechs Jahren vorbei, seit einer Saison, die mit vielem Training begann, in der Gramm aber vergeblich seinen Erfolg suchte und die er deshalb mit einer „Sinnkrise“ beendete. „Da habe ich gemerkt, dass ich langsam alt werde“, sagt Gramm, der von sich seither behauptet, ein „alternder Hobbyathlet“ zu sein. In Sachsen-Anhalt ist er allerdings der ewige Gramm, eine Triathlon-Persönlichkeit.

Er ist 52 Jahre alt und hat alle Ziele erreicht, die er erreichen wollte. Immer. Und er hat Geschichten gesammelt, die nur wenige erzählen können.

Wie die Geschichte von seinem Einstand als Radsport-Profi, als er 2005 an der Taiwan-Tour des Weltverbandes UCI teilnahm. Als das Team Sigma Sport mit seinem Freund Karsten Bombach noch einen Starter suchte. Als er sich sechs Etappen lang durch Asien berghoch und -runter quälte. Als er auf dem vorletzten Teilabschnitt über 190 Kilometer auf Platz 18 fuhr. „Man muss wissen, dass ich noch nie zuvor eine solche Distanz mit dem Rad zurückgelegt habe an einem Tag. Und dann fuhr ich auch noch in die Punkteränge der UCI und zur Geldprämie“, berichtet er.

Die letzte Etappe führte ihn sogar über 220 Kilometer zum Ziel und er belegte immer noch Rang 27 unter 66 Startern, die auch einen Platz in der Gesamtwertung fanden. Gramm belegte letztlich den vorletzten Rang mit 1:29:38 Stunden Rückstand auf Sieger Ahad Kazemi aus dem Iran.

Und es gibt die Geschichte von seinem Besuch des Ironman in Hawaii, als er 1995 zur Unterstützung von Patrick Lücke und Ron Schmidt, heutiger Nachwuchs-Bundestrainer und persönlicher Coach der Potsdamer Weltklasse-Athletin Laura Lindemann, nach Übersee flog, sich selbst mal auf der Schwimmstrecke ausprobierte: „Aber in dem glasklaren Wasser konnte ich die Fische unter mir sehen. Und es herrschte dort eine starke Strömung.“ Und der dann auch einen Radversuch auf dem 180 Kilometer langen Abschnitt startete: „Zum Wendepunkt habe ich mich in den Bus gesetzt.“ Und ist zurückgefahren worden. Trotzdem: „Es war ein Ereignis.“ Nur keines, bei dem Gramm jemals eine aktive Rolle spielen wollte.

Die Langdistanz hat er trotzdem absolviert, fünfmal sogar, aber in keinem Wettbewerb, der einen großen Namen trägt. Ein Ironman kommt für Gramm auch nicht mehr infrage. Nicht bei seinem Trainingspensum: „Das beschränkt sich inzwischen auf vier bis sechs Stunden pro Woche. Und während andere noch weiterradeln, mache ich wirklich dann Schluss.“ Aber nicht mit dem Sport an sich.

Denn Gramm wird es auch im nächsten Jahr auf den Strecken des Landes geben. Die Motivation dafür hat er in der Corona-Krise und in einer Saison ohne Herausforderung nämlich nicht verloren. Gramm sagt: „Wenn man so lange wie ich den Sport betreibt, dann kommt es auf ein Jahr weniger auch nicht mehr an.“