Handball Der Herzspieler geht
Eine 15-jährige Ära beim SCM geht am Sonntag zu Ende: Andreas Rojewski gibt gegen Gummersbach seine Abschiedsvorstellung.
Magdeburg l Blätter rascheln, Vögel zwitschern, die Sonne scheint, warmer Wind zieht über die Elbe: Am Freitagmorgen in Buckau passte wirklich nichts zum Gefühlsleben des Andreas Rojewski, dessen letzte Schlusssirene im Trikot des SCM näher und näher rückt. Seit der Mitteilung des Vereins im Oktober 2015, den Vertrag mit ihm über die Saison hinaus nicht zu verlängern, hatte er versucht, alle Abschiedsgedanken wegzuschieben. Seit zwei Wochen allerdings geht das nicht mehr. „Seither zähle ich jede Trainingseinheit, die mir bleibt“, sagt er: „Am Sonntag wird es hochemotional.“
Im Gefühlshaushalt des 30-Jährigen herrscht spürbares Chaos, so viel Herz hat er Verein und Stadt geschenkt. Es brodelt in ihm, die Stimme zittert zuweilen. Wenn er nach dem letzten Spiel gegen den VfL Gummersbach (15 Uhr, Getec-Arena) die Halle verlässt, öffnet sich für ihn nicht automatisch die nächste Tür. „Das wäre so, wenn das Herz nicht mitspielen würde. Aber mein Herz hat hier über all die Jahre eine wichtige Rolle gespielt.“ Rojewski, vom SCM einst entdeckt beim Bundesfinale „Jugend trainiert für Olympia“, als er für die Niedersachsen-Auswahl auflief, und 2001 von Fredenbeck an die Elbe gezogen, sagt: „Ich habe hier mein halbes Leben verbracht.“
Und Grün-Rot bis in die Ewigkeit sollte es werden, das war sein großer Wunsch. Dass sein Kontrakt nicht verlängert wurde, hatte ihn „sehr enttäuscht, aber ich habe es gleichzeitig akzeptiert. Nur wie es dazu gekommen ist, war mehr als unglücklich“, erinnert sich der 1,93-Meter-Hüne. Nicht mal der Meniskusriss an sich – zugezogen im März 2015 – ließ den Traum platzen. „Es hätte sofort operiert werden müssen, aber ich habe mich zu lange damit rumgeplagt. Der Verein ist dann seiner Verantwortung nachgekommen zu handeln.“
Schwere Knieverletzungen gehören zum Kapitel, das Rojewski nicht gerne aufschlägt. Zwei Kreuzbandrisse, Knorpelschaden, Meniskusriss: Trotzdem hat er dem Schicksal immer getrotzt. Auch nach dem letzten operativen Eingriff im vergangenen September. Und wenngleich es ihm schwerer als sonst gefallen ist, der „mentalen Leere“ in dieser Phase zu entkommen, kämpfte er sich zurück: „Die Motivation, für Magdeburg zu spielen, hat mich immer wieder angetrieben. Die ,Bördelandhalle‘ ist die geilste Halle auf der Welt“, betont Rojewski. „Und ich denke, auch in der Rückrunde dieser Saison habe ich das Vertrauen zurückgegeben, das der Verein mir geschenkt hat.“
Wie beim Pokal-Final-Four am 1. Mai, als er seinen ersten nationalen Titel gefeiert hat. Er gewann 2007 auch den EHF-Cup, aber „der jüngste Erfolg ist der schönste und der intensivste, zumal ich im Gegensatz zu 2007 in einer verantwortungsvollen Rolle stand“.
Nach 15 Jahren SCM, in denen Rojewski etliche Spieler und zehn Bundesliga-Trainer kommen und gehen sah, warten auf ihn neue Herausforderungen: Zum einen kämpft der in Wejherowo (Polen) geborene Linkshänder bei den folgenden Lehrgängen des polnischen Nationalteams um seinen Platz bei Olympia in Rio – der nächste Traum, den er sich erfüllen will. Zum anderen führt ihn der Weg zum SC DHfK Leipzig, zum SCM-Konkurrenten, von dem er einen Vertrag bis 2018 erhalten hat.
Angebote hatte er von mehreren Vereinen, auch aus Polen. „Aber in Leipzig passt das Gesamtpaket“, sagt Rojewski. Er kann sein Bachelor-Studium zur Sportwissenschaft in Magdeburg beenden. Drei, vier Semester wird das noch dauern. Dafür hält er seine Wohnung an der Elbe. Aber den eigentlichen Wohnsitz verlagert er mit Freundin Julia in die Sachsen-Metropole – „in eine grandiose Stadt, die viel zu bieten hat“.
Natürlich ist er dann „nicht aus der Welt“, erklärt Rojewski, aber natürlich wird er auch viel vermissen. Nicht zuletzt „die wunderbaren Menschen“, für die „ich mit Herz und Leidenschaft gespielt habe“. Jetzt geht der Herzspieler in Grün-Rot, und mehr als 6600 Fans haben sich zu seinem Abschied angemeldet. „Fakt ist“, versucht sich Rojewski mit einem nüchternen Resümee, „dass ich nach diesem Sonntag nicht mehr meinen Platz in der Getec-Arena haben, sondern künftig die Gästekabine betreten werde.“ Dann senkt sich sein Blick, und er erklärt leise: „Und diese Tür muss ich erst mal suchen.“
Jeweils zwei Freikarten für das letzte Heimspiel gegen Gummersbach haben gewonnen: Hans-Horst Neumann aus Eilsleben und Heike Mielecke aus Biederitz. Die Tickets können vor Spielbeginn am Counter der Miesner-Lounge (Eingang 4 der Getec-Arena) abgeholt werden.