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Handball SC Magdeburg-Trainer Bennet Wiegert verrät Geheimnisse rund um den Triumph in der Champions League

Bennet Wiegert führte den SC Magdeburg in den Handball-Olymp. Seine Gedanken rund um den Champions-League-Sieg verriet der 41-Jährige im Interview mit Volksstimme-Redakteur René Miller.

Von René Miller Aktualisiert: 25.06.2023, 10:42
Hier fällt ganz viel Anspannung ab: Überglücklich präsentiert Bennet Wiegert den Fans die Trophäe der Champions League. Vor 21 Jahren jubelte er schon als Spieler.
Hier fällt ganz viel Anspannung ab: Überglücklich präsentiert Bennet Wiegert den Fans die Trophäe der Champions League. Vor 21 Jahren jubelte er schon als Spieler. Foto: Franzi Gora

Sie haben als Trainer mit dem SCM die Champions League, die deutsche Meisterschaft, auch schon den DHB-Pokal, die European League und zweimal die Klub-Weltmeister gewonnen – eigentlich ein Moment, um zu sagen, mehr geht nicht, ich höre auf ...

Bennet Wiegert: „Ich kann doch nicht Spieler überzeugen, langfristig nach Magdeburg zu kommen, um mit uns Titel zu gewinnen – und jetzt sage ich, nach mir die Sintflut, denn ich habe ja alles schon gewonnen. Das wäre eine Scheißmentalität, mit der ich nicht klarkommen würde. Andererseits bin ich auch nicht so naiv und sage, wir gewinnen die Champions League jetzt drei Mal in Folge.“

Konnten Sie eigentlich schon alle Glückwünsche lesen und beantworten?

Bennet Wiegert: „Ich hatte noch nie so viele WhatsApp-Nachrichten. Da waren auch viele Kollegen aus der Liga und aus dem Ausland dabei. Und ich werde jedem antworten, persönlich und nicht mit einer Kopie für alle.“

Sie haben als erster deutscher Handballer die Königsklasse als Spieler und Trainer gewonnen. Wenn die Fans Ihren Namen hören, dann tobt die ganze Halle.Wird das manchmal zu viel?

Bennet Wiegert: „Das ehrt mich natürlich sehr. Aber die Fans sollen lieber noch ein bisschen mehr die Spieler feiern. Was diese Mannschaft geleistet hat, kann man fast gar nicht mehr beschreiben. Das ist Charakter pur.“

Was angeblich Kielces Trainer Talant Dujshebaev bewogen hat, zum Gratulieren sogar in die SCM-Kabine zu kommen und diesen Charakter hervorzuheben, mit dem sich die Mannschaft diesen Titel verdient hat ...

Bennet Wiegert: „Ich war in diesem Moment nicht in der Kabine, habe das aber auch gehört. Mir gegenüber hat er das dann noch mal wiederholt. Eine tolle Geste, die unsere Arbeit würdigt. Talant hat auch während der Unterbrechung aufgrund der Tragödie auf der Tribüne Größe gezeigt. Dass Spiel abzubrechen und mit dem aktuellen Ergebnis zu werten, kam für ihn durch seine Erfahrung kaum infrage. Er meinte, das entscheiden nicht wir und ich soll mich in diesen Minuten nur um meine Mannschaft kümmern.“

Wie lange musste man Sie eigentlich bearbeiten, das Risiko mit Gisli Kristjansson einzugehen?

Bennet Wiegert: „Normalerweise bin ich ja derjenige, der fragt, ob vielleicht doch irgendetwas geht. Aber in diesem Fall habe ich es nach dem Halbfinale am Samstag nie für möglich gehalten, dass Gisli spielen kann. Kurz vor Mitternacht kam der Doc nach der speziellen Untersuchung zu mir und bestätigte, dass die Schulter ausgekugelt war. Und dann sagte er noch, dass er sich aber nicht sicher sei, ob Gisli morgen nicht doch spielen könnte. Da habe ich nur gelächelt. Beim Frühstück stand Gisli dann neben mir und sagte, dass er unbedingt spielen will. Und weil wir bei der EHF anders als in der Bundesliga schon 11.30 Uhr den Kader mitteilen müssen, war das schon ein Risiko.“

Was ging in Ihnen in den letzten elf Sekunden des Finales vor? War das Zittern groß?

Bennet Wiegert: „Da eigentlich nicht so. Das war eher vorher bei den Videounterbrechungen. Als die Aktion von Marko Bezjak überprüft wurde, habe ich gedacht, das könnte auch Abwehr durch den Raum und damit Siebenmeter sein. Da war ich in meinem Kopf schon beim Siebenmeterwerfen.“

Oder haben Sie auch schon an den Moment gedacht, wenn die Schlusssirene ertönt – und Sie zu Ihrer Frau auf die Tribüne sprinten können?

Bennet Wiegert: „Was im Nachhinein vielleicht totaler Blödsinn war. Das macht man in so einem Moment vielleicht anders. Da geht man zu den Leuten, mit denen man das ganze Jahr zusammengearbeitet hat. Aber sowas kann man nicht planen, ich hatte einfach das Gefühl sie umarmen zu müssen, und das tat ich in dem Moment.“

Als die Schlusssirene ertönte, stürmte Bennet Wiegert  an seinen Spielern vorbei, um auf der Tribüne seine Frau in den Arm zu nehmen.
Als die Schlusssirene ertönte, stürmte Bennet Wiegert an seinen Spielern vorbei, um auf der Tribüne seine Frau in den Arm zu nehmen.
Foto: IMAGO/wolf-sportfoto

Haben Sie von Ihrem Sprint schon ein Video gesehen?

Bennet Wiegert: „Ganz kurz. Mir hat es jemand geschickt, was ich mir dann aber gar nicht erst bis zum Ende angeschaut – sondern mich eher gefragt habe, was mache ich da eigentlich.“

Als Trainer kann man sich in solchen Momenten auch schnell verletzen …

Bennet Wiegert: „Das wiederum hätte ich mir nicht anmerken lassen. Selbst ein Faserriss hätte mich da nicht gestoppt.“

Jeder weiß, dass mein Vertrag mit dem SCM etwas anderes ist als nur eine Unterschrift.

Bennet Wiegert

Es ging ja alles gut. Aber ein Siebenmeterwerfen gegen Andreas Wolff wäre sicher nicht so schön gewesen?

Bennet Wiegert: „Das ist alles spekulativ. Denn Siebenmeterwerfen ist auch etwas Glückssache. Aber natürlich hat Andi Wolff ein überragendes Turnier gespielt. Im Finale hielt er gegen Kay Smits und Marko Bezjak auch zwei eigentlich richtig stark geworfene Bälle, wo ich dachte, das geht doch gar nicht.“

Könnte das durch Siebenmeterwerfen verlorene Pokalfinale gegen die RN Löwen Mitte April an gleicher Stelle genau die Erfahrung für den Triumph in der Königsklasse gewesen sein?

Bennet Wiegert: „Kann gut sein, aber mehr für die Spieler. Kay Smits hat es sicher stabiler gemacht, einen Siebenmeter in so einer Situation schon einmal geworfen zu haben. Denn es ist ein riesiger Unterschied, ob man zu Spielbeginn nach zwei Minuten treffen muss oder bei Gleichstand in der 60. Minute. Da muss man dann auch mal die mathematische Logik, dass rund 80 Prozent der Siebenmeter verwandelt werden, ausschalten.“

In zehn Final-4-Turnieren standen Sie mit dem SCM sieben Mal im Finale und haben drei Mal gewonnen. Wie gehen Sie mit dieser Bilanz um?

Bennet Wiegert: „Ich habe oft gedacht, bei einigen Turnieren wäre es besser gewesen, erst gar nicht dabei gewesen oder ins Finale gekommen zu sein. Weil die Niederlagen im Finale einfach zu bitter waren. Aber diese Denkweise ist falsch, weil man mit jeder Turnierteilnahme auch die Wahrscheinlichkeit steigert, ganz oben zu stehen.“

In vier Wochen beginnt die Vorbereitung auf die neue Saison. Mit welchen Erwartungen und Zielen?

Bennet Wiegert: „Auch wenn es keiner mehr hören kann – aber Erwartungen sind der Anfang von Enttäuschungen. Vielleicht kommt auch wieder mal eine Phase, wo es nicht so läuft. Denn jede Saison schreibt eine neue Geschichte. Wir werden demnächst natürlich oft hören, dass der Champions-League-Sieger zu Gast ist, den auch alle gern besiegen wollen. Aber wir waren auch schon in den letzten zwei, drei Jahren zum Siegen verdammt und haben das ganz gut gelöst.“

Wie schaffen Sie es eigentlich, die Spieler für Magdeburg zu begeistern?

Bennet Wiegert: „Metropolen haben uns allein durch ihre Flughäfen viel voraus. Deshalb müssen wir uns andere Nischen suchen. Was Montag am Rathaus los war, das ist so etwas, was Spieler begeistert. Wenn Nikola Portner „Handballcity Magdeburg“ postet, möchten das auch andere gern erleben.“

Stimmt es, dass Sie zuvor noch mit Freunden geholfen haben, die Wohnung von Mike Jensen leer zu räumen?

Bennet Wiegert: „Ja, er hätte das allein ja nicht geschafft. Aber so ist das beim SCM – wir sind eine große Familie. Spieler und ich sind deshalb nicht immer einer Meinung. Aber wenn beispielsweise Kay Smits, der vor der Verletzung von Omar Ingi Magnusson wirklich wenig Einsatzzeit hatte, mir zum Abschied dankt, dass er für seine Entwicklung viel gelernt hat, dann kann bei uns im Team nicht viel falsch laufen.“

Ist Ihr System mit eher kleineren, wendigen Spielern und viel Tempo ein Erfolgs-System für die Ewigkeit?

Bennet Wiegert: „Das glaube ich nicht. Damals ging es darum, eine Möglichkeit zu finden, ohne große finanzielle Mittel bestimmte Tabellenplätze zu erreichen. Jetzt sagen viele Kollegen, dass sie davon inspiriert wurden und ich eine Entwicklung mitgeprägt habe. Das ist natürlich ein Riesenkompliment.“

Angeblich läuft Ihr aktueller Vertrag nur noch bis Sommer 2024. Wann wird verlängert?

Bennet Wiegert: „Wir haben entschieden, Vertragslaufzeiten der beiden Geschäftsführer nicht offen zu kommunizieren. Deshalb kann ich dazu nichts sagen. Aber jeder weiß, dass mein Vertrag mit dem SCM etwas anderes ist als nur eine Unterschrift. Mir ist das Vertrauen viel wichtiger als der Vertrag.“

Auf Dauer dürfte die Doppelfunktion Trainer und Geschäftsführer Sport sehr belastend sein. Gibt es schon die eine oder andere Überlegung, diese Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen?

Bennet Wiegert: „Diese Doppelfunktion hat immer ein Pro und Kontra, wie vielleicht alles im Leben. So kann ich beispielsweise total nachvollziehen, dass Raul Alonso in Erlangen den Trainerposten abgegeben hat und nur noch Sportdirektor ist. Momentan sehen wir unsere Strukturen aber als richtig an, werden dies aber auch immer wieder neu bewerten.“

Sie wurden auch schon als Bundestrainer ins Gespräch gebracht. Würde Sie das reizen? Oder eher ein Top-Club im Ausland?

Bennet Wiegert: „Derzeit ist das kein Thema. Der Posten ist mit Alfred Gislason gut besetzt. Aufgrund der Familiensituation mit zwei kleinen Töchtern reizt mich auch das Ausland nicht. Vielleicht reizt mich mal irgendwann ein interessantes, neues Projekt. Aber aktuell habe ich mir über so etwas wirklich noch keine ernsthaften Gedanken gemacht. Ich sehe meine Zukunft eher in meiner Heimat Magdeburg, wo wir auch noch einiges zusammen vorhaben.“

Wie aufmerksam verfolgen Sie trotz Urlaubs die U-21-WM?

Bennet Wiegert: „Sehr aufmerksam. Das sind die Nationalspieler der kommenden Jahre. Und unsere deutsche Mannschaft macht mir da auch sehr viel Hoffnung. Da wächst ein sehr guter Jahrgang heran.“

Zurück auf der Platte, jubelte Bennet Wiegert dann erst einmal mit seinem Co-Trainer und Vertrauten Yves Grafenhorst.
Zurück auf der Platte, jubelte Bennet Wiegert dann erst einmal mit seinem Co-Trainer und Vertrauten Yves Grafenhorst.
Foto: Franzi Gora