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Schwimmen Köhler dreht am Rad der Geschichte

Sarah Köhler aus der SCM-Trainingsgruppe will beim MWG-Swim-Cup in Magdeburg die Jagd nach den Olympia-Normen abhaken.

Von Daniel Hübner 06.02.2020, 21:30

Magdeburg l Sarah Köhler hat im vergangenen Jahr das Rad der Geschichte einfach weitergedreht. Armzug um Armzug. Beinschlag um Beinschlag. Es sei zum Beispiel an die Weltmeisterschaften erinnert, als sie über 800 Meter Freistil die 32 Jahre alte deutsche Bestmarke der Magdeburgerin Anke Möhring knackte. In 8:16,43 Minuten.

„Das war eine Zeit, die ich schon seit einigen Jahren im Kopf hatte“, erzählt Köhler mit einem Lächeln. „Irgendwann musste ich das schwimmen, denn seit 2016 stand meine Bestzeit bei 8:20 Minuten.“ Deshalb war dieses WM-Finale im vergangenen Juli im südkoreanischen Gwangju auch ihr ganz persönlicher und emotionaler Höhepunkt. Obwohl sie mit dem Resultat auf Platz vier gelandet war. „Darüber ärgere ich mich bis heute“, sagt Köhler wieder lächelnd. „Aber für mich war es eine mega Zeit.“

29. Januar, 11.30 Uhr, Gespräch in der Elbehalle: Sechs Monate sind vergangen seit Gwangju. Aber sechs Monate reichen nicht, um zu vergessen. Dennoch zählt man Sarah Köhler aus der Trainingsgruppe des SC Magdeburg gerne ihre Erfolge des vergangenen Jahres noch einmal auf: WM-Gold in der Teamstaffel im Freiwasser, WM-Silber in 15:48,83 Minuten sowie Kurzbahn-Weltrekord über 1500 Meter, WM-Vierte eben über 800 Meter, drei deutsche Bestmarken. „Das alles ist nicht jeden Tag präsent, aber wenn man es hört, denkt man auch gern daran zurück“, erklärt sie. „Es war definitiv die bislang erfolgreichste Saison in meiner Karriere.“

Und eine Saison der besonderen Herausforderung. Aber mit besonderen Herausforderungen kennt sich die 25-Jährige ja aus. „Ich bin schon aus anderen Situationen heraus gute Leistungen geschwommen“, berichtet sie nämlich. Und erinnert sich an die Vorbereitung auf ihre erste WM, auf Barcelona 2013, damals noch in Heidelberg unter Michael Spikermann. Als sie sich im Winter zuvor einer Knieoperation unterzog. Weil sich unterhalb ihrer (zu) kleinen Kniescheibe ein Überbein gebildet hatte, das für Schmerzen sorgte. „Ich hätte die Operation auch aufschieben können“, erinnert sich Köhler. „Ich hatte die Wahl zwischen zweiwöchigem Trainingsausfall und monatelangen Schmerzen.“

Sie entschied sich für den Ausfall, zumindest im Becken, das Krafttraining leistete sie weiterhin. Und hatte letztlich in einer „absoluten Bestzeit die Qualifikation für Barcelona geschafft“ – wo sie dann die Plätze 14 (1500 m), 15 (800 m) und 23 (400 m) belegte.

Sechs Jahre später schmerzte nicht ihr Knie. Sechs Jahre später war sie zuweilen müde im Kopf, weil sie unter Coach Bernd Berkhahn ihre Technik komplett umgestellt hat. Seit Sommer 2018 sind beide ein Team. Seither verfeinern sie den neuen Armzug, das Heranschwimmen an Wenden, den Beinschlag, „der bei mir immer relativ schlecht war“.

Mit dieser Umstellung fuhr Köhler auch nach Gwangju. Und wenn man Berkhahn nun fragt, ob er dann überrascht war über die Resultate seines Schützlings, dann muss selbst der Coach erst lächeln, um letztlich zu erläutern: „Die Technik war für die Entwicklung ihrer Leistung gar nicht so ausschlaggebend.“ Berkhahn erinnert sich an das 1500-Meter-Finale: „Die Züge kurz, die Frequenz hoch: Technisch war sie schnell im alten Muster.“

Köhler selbst hat das nicht gemerkt. Sie ist einfach durchs Becken gepeitscht. Immer Simona Quadarella aus Italien, die Weltmeisterin, im Blick. Aber was war dann für Silber in der deutschen Rekordzeit (15:48,83 min.) verantwortlich? Berkhahn: „Das war vor allem ein Resultat ihrer verbesserten Kondition und der erhöhten Qualität im Athletiktraining.“

So bleibt auch bis zum Sommer die Köhlersche Herausforderung für den Trainer: die Mischung aus dem unbändigen Kampfgeist mit einem ökonomischen Schwimmstil zu optimieren. Und ihre Technik auch bei plötzlichen Tempoverschärfungen und Frequenzerhöhungen von 42 auf 46 Züge pro Minute zu stabilisieren.

Das Optimum beim MWG-Swim-Cup vom 7. bis 9. Februar in der Elbehalle wären zunächst beide Olympia-Normen. Weil die Lebensgefährtin von Doppel-Weltmeister Florian Wellbrock bei der WM zweimal unter den besten vier war, genehmigt ihr der Deutsche Schwimmverband (DSV) den Vorzug, nicht die eigenen harten, sondern die schwächeren Vorgaben des Weltverbandes Fina für die Sommerspiele in Tokio vorlegen zu müssen. Das bedeutet über 1500 Meter: 16:32,04 Minuten. Das bedeutet über 800 Meter: 8:33,36 Minuten. Sarah Köhler will die Jagd nach den Normen jedenfalls an jenem Wochenende abhaken. Und dann ohne Druck weitertrainieren. Vor allem an der Technik. Aber auch an der Kondition, an der Athletik.

Und wer weiß, wie 2020 für sie ausgehen wird. Nicht nur mit Blick auf die Sommerspiele (24. Juli bis 9. August). Auch mit Blick auf Zeiten. Für Weltrekorde in einem Kalenderjahr ist es nie zu spät, wie der 16. November 2019 gezeigt hat. Als Köhler nämlich bei den deutschen Kurzbahn-Meisterschaften in Berlin nach 15:18,01 Minuten über 1500 Meter anschlug und damit erst als siebte Athletin überhaupt die Bestmarke auf dieser Strecke verbesserte.

Den ersten Weltrekord hatte Petra Schneider aus der DDR am 12. Januar 1982 mit 15:43,31 Minuten aufgestellt. 37 Jahre und zehn Monate später kam also Sarah Köhler. Und hat das Rad der Geschichte einfach weitergedreht.