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Ruder-Olympiasieger André Willms und Philipp-André Syring sind der gleichen Leidenschaft verfallen Vater und Sohn saßen noch nie in einem Boot

Von Janette Beck 27.12.2013, 01:08

Magdeburg l André Willms und Philipp-André Syring tragen zwar einen unterschiedlichen Nachnamen, dennoch sind sie unverkennbar Vater und Sohn. Beide sind der gleichen Leidenschaft verfallen und Ruder-Recken, wie sie im Buche stehen. Um so schwerer fällt es zu glauben, dass sie noch nie in einem Boot gesessen haben.

Egal, wo Olympiasieger André Willms und sein Sohn auftauchen, unweigerlich ziehen sie die Blicke auf sich. Nicht etwa, weil sie so prominent sind - dazu sind die Erfolge des Seniors wohl doch schon zu lange her, und die des Juniors noch nicht so präsent. Vielmehr sind die Ruder-Recken nicht zu übersehen: Zwei Meter große Hünen, breite Schultern zum Anlehnen, riesige Pranken, dazu rehbraune, sanfte Augen und ein tiefer Bass - sprich, "zwei Bilder von einem Mann". Bei dieser Feststellung schauen sich die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen an, grinsen verschmitzt und schweigen bescheiden ... Auch darin sind sie sich sehr ähnlich.

Einen Unterschied gibt es allerdings an diesem Tag der Familienzusammenführung der besonderen Art. Während der 41-jährige Vater, obwohl er die Ruderblätter bereits vor neun Jahren in die Ecke gestellt hat, noch immer voll im Saft zu stehen scheint, ist der ansonsten vor Kraft strotzende Sohn blass um die Nase und lässt die Schultern ein wenig hängen. Beides weniger Zeichen der gerade absolvierten Trainingseinheit am Ruderergometer, sondern vielmehr Nachwirkungen einer handfesten Grippe.

Der junge Recke hatte es nach Ansicht von Vater André "wohl mal wieder übertrieben" und trotz eindeutiger Anzeichen einer Erkältung weitertrainiert. Und so kam, was der alte Ruder-Fuchs ("Ich war genauso bekloppt.") hatte kommen sehen: "Philipp ist extrem ehrgeizig, man muss ihn in seinem Trainingseifer eher bremsen als antreiben. Aber wer nicht hören will, muss fühlen." Das Ende vom Lied war nämlich gewesen, dass der Körper die Notbremse gezogen hatte und der "junge Wilde" zur Strafe ein paar Tage ganz flach lag.

Doch daheim bei Mama, Dagmar Syring, hatte es der 17-Jährige, dessen Eltern sich getrennt hatten, als er ein Jahr alt war, aber nicht lange ausgehalten. Als das Kribbeln in den Fingern zu groß wurde, schlug er sämtliche gutgemeinten Ratschläge, inklusive denen, der Ärzte, in den Wind. Er packte in Möser seine Sporttasche ein und im Internat des Magdeburger Sportgymnasiums wieder aus. Denn, "nicht trainieren zu können oder zu dürfen ist für mich die Höchststrafe", begründet der Youngster seinen Feuereifer.

"Ich will nicht nur so erfolgreich, wie mein Vater sein, ich will noch besser als er sein." - Philipp-André Syring

Den hält er im Übrigen für "angeboren". Gepaart mit dem vererbten Talent und dem unbändigen Ehrgeiz macht ihn das offensichtlich zum Gipfelstürmer. Denn Philipp-André Syring, der die knapp bemessene Zeit mit seinem Vater am liebsten an frischer Luft mit ausgedehnten Radtouren oder "straffem" Wandern in den Bergen verbringt, will hoch hinaus. Sehr hoch, um genau zu sein: "Ich will nicht nur so erfolgreich wie mein Vater sein, ich will noch besser als er sein", macht der Junior - wohl wissend, dass sein Vater als Ruderer immerhin zweimal Olympiasieger und viermal Weltmeister war - unmissverständlich klar, welch "heeres Ziel" er verfolgt.

Dass das nicht leere Worte sind, bekam André Willms spätestens vor drei Jahren beim gemeinsamen Urlaub in Österreich zu spüren. "Da wollten wir in Karpun auf die Spitze des Kitzsteinhorn wandern. Philipp stratzte immer voraus, ohne sich umzudrehen. Er wollte unbedingt vor mir ankommen. Und das hat er auch geschafft. Ich war völlig platt und erstaunt über diesen starken Willen", kramt der Vater in den Erinnerungen, und schiebt mit einem Grinsen nach: "Ein Jahr später allerdings war ich vorbereitet. Ich hatte heimlich trainiert und siehe da, diesmal konnte ich ihn abhängen."

Das "Wandern" auf den Spuren des sportlich überaus erfolgreichen Vaters ist der 17-Jährige jedoch gewohnt. Und er tut dies "gern, und aus freien Stücken", wie er betont. Nachdem er als Knirps zunächst drei Jahre "mehr oder weniger erfolgreich" dem Fußball hinterhergejagt war, entschied er sich mit neun Jahren fürs Rudern. Überraschend auch für den Vater. "Irgendwann klingelte mal das Telefon und Philipp eröffnete mit: Du Papa, ich habe mich beim Rudern angemeldet." Im ersten Moment sei er sprachlos gewesen. Dann habe er gefragt, bei welchem Verein er trainieren wolle. "Ich glaube da, wo du warst, beim SCM", habe die Antwort des Sohnes gelautet.

André Willms sei damals hin- und hergerissen gewesen: "Einerseits war ich froh, denn ich wusste mein Kind in guten Händen." Aber natürlich wisse er auch nur zu gut, wie viel Entbehrungen und körperliche Qualen seinem Filius bevorstehen. Und er habe nicht zuletzt auch daran gedacht, dass die Schuhe, in die er schlüpfen wollte, irgendwann vielleicht doch ein wenig zu groß sein könnten. Der Olympiasieger mutmaßte: "Der Sohn von ... zu sein, kann auch zur Belastung werden."

Jedoch nicht für Philipp-André Syring. Und das, obwohl er dann und wann auch mal mit dem Spitznamen seines Vaters betitelt wird. "Vor allem die älteren Trainer sprechen mich mit ,Willi\' an. Aber das ist ja mehr eine Ehre für mich als ein Fluch." Ansonsten komme ihm entgegen, dass er einen anderen Nachnamen habe. "Von meinen Kumpels und Mitschülern wissen nur die Wenigsten, dass mein Vater mal eine große Nummer im Rudern war."

Vergleiche anstellen könnte dagegen vor allem Meistertrainer Roland Oesemann. Er hat einst André Willms zum Olymp geführt und mit dessen Sohn nun einen ebenso anmutendenden "Ruder-Rohdiamanten" zum Schleifen in die Hand bekommen. Dass er es bis auf die Feststellung, dass beide "Willis" auf die gleiche Art und Weise zu rudern pflegen, "tunlichst vermeidet", Parallelen zu ziehen, wissen Vater und Sohn zu schätzen.

Und doch, erste Ereignisse duplizieren sich erfreulicherweise. So hat Philipp-André Syring einen Meilenstein seines Vaters auf dem Weg zur Spitze passiert: Im Sommer wurde er in Litauen Juniorenweltmeister im Doppelzweier.

"Frechheit, dass mir Philipp mit 2,05 Metern bereits auf den Kopf spucken kann." - André Willms

Allerdings hat die Sache einen "ärgerlichen, kleinen Haken", gesteht der Youngster offen. Der Vater war Juniorenweltmeister im Einer. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. "Ich kann auch noch im kommenden Jahr bei der JWM mitmachen. Und mein großer Traum ist es, Junioren-Weltmeister im Einer zu werden."

Dieses Hochgefühl des Sieges ist es auch, was Philipp "angefixt" und "süchtig nach mehr" gemacht hat. Wieder zu erleben, das Beste gegeben zu haben und unschlagbar gewesen zu sein, das sei es, was ihn antreibe, bei Wind und Wetter ins Boot zu steigen und das Elbewasser unter die Ruderblätter zu nehmen. "Es war einfach unglaublich, als Erster über die Ziellinie zu fahren. Was da in einem vorgeht, ist unbeschreiblich. Und wenn ich dann auch noch sagen kann, das habe ich ganz alleine geschafft, das ist das Höchste der Gefühle."

Wenn der Sohn so etwas sagt, dann sieht der Vater sich selbst. Es ist, als blicke er zweitversetzt in den Spiegel. "Ich entdecke viele Gemeinsamkeiten, und ich war auch ehrgeizig. Aber so extrem wie Philipp, glaube ich, doch nicht. Aber natürlich bin ich auch stolz, dass er so strebsam und erfolgreich ist. Jeder braucht Ziele, die er verfolgt. Und was er sich vornimmt, das schafft er auch meistens." Dass er mit 2,05 Metern schon jetzt größer sei, als er, "und mir auf den Kopf spucken kann, war so nicht geplant und ist allerdings eine Frechheit", bemerkt er scherzhaft.

Doch weder dies, noch, dass ihm seine alten Skilanglauf-Schuhe in Größe 50 zu klein sind ("Als er mir mit 15 gesagt hat: Papa, die kannst du behalten, die drücken, da wusste ich, was uns blüht."), bereitet dem Vater schlaflose Nächte. Vielmehr mache ihm Sorgen, dass er dem Sohn offensichtlich auch seine Tolpatschigkeit vererbt hat. Wenn dieser also wie unlängst im Radlager auf Mallorca unterwegs ist, schwane ihm Böses, verrät Willms. "Ungeschickt lässt grüßen, kann ich da nur sagen. ,Ösi\' (Osemann/d. Red.) tut mir jetzt schon leid", erinnert er an die eine oder andere "Kapriole, die mit gebrochene Haxen oder Gehirnerschütterungen irgendwo im Krankenhaus endete".

Aber noch kann Philipp darüber lachen, dass er bei der Gymnastik fast einen Knoten zwischen Arme und Beine hat, mit einem gebrochenen Finger rudert, oder es "bestimmt komisch" aussieht, wenn beide zusammen Fußball spielen. "Ich glaube, das sieht mehr aus wie zwei geschmeidige Brechstangen beim Rugby."

Das erklärt vielleicht auch, warum beide sich erstaunt anschauen, als sie gefragt werden, wann sie das letzte Mal zusammen in einem Boot gesessen haben. "Noch nie", stellen Vater und Sohn unisono fest.

Obwohl, die beiden Traummänner, rudernd auf dem Adolf-Mittag-See im Rotehornpark, das wäre bestimmt ein Bild für die Götter - nicht nur für die des Olymp.