Handball Wiedersehen guter Freunde
Tobias Ortmann und Matthias Musche kennen sich seit zehn Jahren.
Staßfurt l Das nur 20 Sekunden lange Video bei Facebook war ein Renner. Immer wieder umarmten sich Tobias Ortmann und Matthias Musche. Hauten sich gegen Brust und Schulter. Ein Akt purer Emotionen. Erlösung, Jubel, Wiedersehensfreude. All das war der Sequenz zu entnehmen. 169 Menschen gefiel das, wie sich Ortmann vom Handball-Oberligisten HV Rot-Weiss Staßfurt und Musche vom SC Magdeburg da am Sonntag kurz nach dem beinahe sensationellen Sieg des SCM im DHB-Pokal über Flensburg in Hamburg begrüßten.
Ortmann und Musche, das ist eine über Jahre gewachsene und gepflegte Freundschaft. Die beiden kennen sich seit zehn Jahren. Der heute 23-jährige Musche spielte von 2006 bis 2008 in der B- und A-Jugend in Staßfurt. Weil es in der Jugend des SCM so viele Talente gab, die nicht alle spielen konnten, wurden einige nach Staßfurt geschickt, um Spielpraxis zu sammeln. So auch Musche. Das Magdeburger Urgestein spielte damals zum Beispiel zusammen mit Sebastian Schliwa, Robert Mennecke, Nils Hähnel und eben Ortmann in der Mannschaft, die 2008 Landesmeister der mänlichen A-Jugend in der Oberliga wurde.
Und wenn sich Ortmann heute zurückerinnert, kann er kaum glauben, dass aus dem Musche von damals der Musche von heute geworden ist. „Das war nicht abzusehen, dass er es schafft“, sagt Ortmann. „Er war relativ klein und schmächtig. Kleiner als ich“, erzählt der 1,80 Meter große Ortmann lachend. „Aber er hatte extremen Ehrgeiz.“
Und Musche bekam glückliche Voraussetzungen von Mutter Natur mit. „Er hat dann körperlich einen extremen Schub gehabt“, sagt Ortmann. Musche wuchs noch zehn bis 15 Zentimeter, ist heute 1,86 Meter groß und Nationalspieler. Der Linksaußen war natürlich Bestandteil des Teams, das Sonntag den ersten Magdeburger Titel seit neun Jahren holte. Musche steuerte fünf Tore bei. Und traf zwei Stunden nach dem Spiel dann auf den alten Kumpel Tobias Ortmann, der mit Freundin Maria vor Ort war. „Das war sensationell. Diese enorme Stimmung.“ Ortmann klingt auch fast eine Woche danach noch beeindruckt. Auch am Tag danach auf dem Alten Markt in Magdeburg war Ortmann beim Empfang der SCM-Helden dabei. Dort posierten die beiden auch für Selfies.
Es war das erste Wiedersehen der beiden seit Ende Oktober als Ortmann seinen Geburtstag und sein bestandenes Staatsexamen gefeiert hat. Mit Musche, mit dem er früher so oft zusammen feiern war in Magdeburger Clubs, der bei ihm zu Hause übernachtet hat. „Wir haben seit vielen Monaten versucht, uns zu treffen“, meint Ortmann. Das ist natürlich nicht so einfach. Ortmann studiert Medizin in Magdeburg. Musche ist Profihandballer beim SC Magdeburg. Er hat es geschafft. Das wollte er immer. „Wir haben vor acht Jahren mal zusammen Silvester gefeiert, da sagte er zu meiner Freundin: ‚Ich will mal Handball-Profi werden.‘“ Er hielt Wort. Und hat trotzdem seine Bodenhaftung bewahrt. „Er siezt immer noch meine Eltern. Das hat er bis heute nicht gepackt“, sagt Ortmann. „Er hat sich nicht verändert.“
Ist da Neid dabei bei Ortmann? Dass Musche es bis in die erste Liga geschafft hat und er nicht? Kein bisschen. „Ich wollte schon damals Medizin studieren. Ich hab das rational gesehen. Das ging nicht. Und außerdem bin ich ja viel zu klein für die erste Liga“, meint Ortmann. Aber Musche konnte das nicht verstehen. „Da gab es Situationen, wo ich ihn ausgetanzt habe, da hat er zu mir gesagt: ‚Komm zum SCM‘“. Ortmann wollte nicht.
Er blieb immer in Staßfurt, wo er Bestandteil des Teams ist, das vor zwei Wochen in einem emotionalen Spiel den Klassenerhalt erreicht hat. Ortmann war dabei, obwohl der 25-Jährige seine Karriere eigentlich schon beendet hatte im letzten Sommer. „Im November kam aber die Anfrage von Trainer Uwe Werkmeister, ob ich aushilfsweise zurückkomme.“ Sein Job: Die Männer im Kopf klar zu machen.
Der emotionale Anführer schnürte für sechs Spiele wieder seine Handballschuhe, half, das Team in der Oberliga zu halten. Der entscheidende Sieg in Zwickau tat sehr gut. „Das ist nicht in Worte zu fassen. Das war eine unbeschreibliche Erleichterung.“ Das Ziel war erreicht. Wenn Rot-Weiss heute um 19 Uhr in der Paul-Merkewitz-Halle in Staßfurt im letzten Saisonspiel den SV Plauen-Oberlosa empfängt, wird Ortmann nur Zuschauer sein. „Da sollen die ran, die immer trainiert haben.“ Es ist ein versöhnlicher Ausklang für alle nach der Zitter-Saison.
Ortmann kann sich ruhigen Gewissens wieder seinem Studium widmen in Magdeburg. Im Dezember hat er seine mündliche Abschlussprüfung. Zur Zeit macht „Orti" das praktische Jahr. Danach will er Facharzt sein für Allgemeinmedizin. Am liebsten in Magdeburg. Ohne Handball. Er wird den Weg von Matthias Musche aus der Ferne weiter verfolgen. Sie werden Freunde bleiben. Der angehende Arzt und der Profihandballer.