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Doping-Jahr 2015: Schweinestall endlich ausmisten

Doping, Doping und kein Ende. Über der Welt-Leichtathletik haben sich dunkle Wolken zusammengebraut. In Russland steckt ein ganzes System dahinter, auch aus Kenia und Italien kommen schockierende Meldungen. Vage Hoffnung machen nach dem Skandaljahr die angesagten Reformen.

Von Ralf Jarkowski, dpa 27.12.2015, 09:31

Berlin (dpa) - Der Zündstoff häufte sich über Jahre, die Lunte brannte schon seit Dezember 2014 - in diesem Jahr aber löste eine gewaltige Explosion eine riesige Schockwelle aus und sorgte für den größten Skandal in der Leichtathletik-Geschichte.

Das Trauerspiel in vielen Akten hat historische Dimensionen: In Russland steht ein gigantisches Doping-Betrugssystem am Pranger, der nationale Verband ist suspendiert, das Moskauer Kontroll-Labor wurde geschlossen, ein Olympia-Bann droht. Auch Kenias Wunderläufer haben betrogen, zwei Dutzend italienische Top-Leichtathleten stehen unter Verdacht.

Die unglaublichen Vorgänge im Schweinestall Leichtathletik - so kommentierte es die Neue Zürcher Zeitung - stinken zum Himmel. Nun muss ausgemistet werden, eine Herkules-Aufgabe auch für Sebastian Coe, den neuen Präsidenten des Weltverbandes IAAF. Immerhin hat sein Vorgänger ein abschreckendes Beispiel dafür geliefert, dass der Fisch vom Kopf her anfängt zu stinken: Gegen Lamine Diack soll nun Anklage wegen Geldwäsche und Bestechlichkeit erhoben werden. Der Senegalese ist gegen Kaution wieder auf freiem Fuß. Nach einem Bericht der Le Monde soll er französischen Ermittlern gegenüber zugegeben haben, bei russischen Dopingfällen beide Augen zugedrückt und dafür finanzielle Gegenleistungen bekommen zu haben.

Aufklären, aufräumen, abstrafen - nur so kann die Leichtathletik wieder für Vertrauen sorgen und neue Fans gewinnen. Doch trotz aller Reformschwüre dürfte das Image der olympischen Kernsportart auf Jahre beschädigt sein. Wer hätte denn gedacht, dass die Leichathletik mit Saubermann Usain Bolt sogar den Radsport mit Chef-Betrüger Lance Armstrong in punkto dreckiger Dopingaffären noch übertrumpft?

Begonnen hatte alles am 3. Dezember 2014: Mit ihrer TV-Dokumentation Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht brachte die ARD-Dopingredaktion den Stein ins Rollen. IAAF und die Welt-Anti- Doping-Agentur WADA setzten Ermittlungskommissionen ein. Am 9. November kommt der Hammer: In ihrem 323-seitigen Bericht, der sich wie ein Kriminalstück liest, empfahl die Ermittlungskommission der WADA unter anderem, Russland aus dem Weltverband auszuschließen.

Vier Tage später trifft das IAAF-Council eine historische Entscheidung: Die Gesamtrussische Leichtathletik-Föderation (WFLA) wird vorläufig suspendiert, Moskau darf bis auf Weiteres keine Sportler zu internationalen Veranstaltungen mehr schicken. Noch nie zuvor hatte die IAAF einen nationalen Verband komplett suspendiert.

In einem Fünf-Punkte-Reformplan fordert die IAAF unter anderem die sofortigen Bestrafungen aller Verantwortlichen und die Etablierung eines effektiven Anti-Doping-Gesetzes. Zum Schutz aller Athleten kann es für die Rückkehr der WFLA so lange keinen Zeitrahmen geben, bis uns versichert wurde, dass alle Kriterien vollständig erfüllt worden sind und künftig für immer erfüllt werden, betonte Coe.

Nach dem Weckruf will Russland zügig Reformen einleiten, um den drohenden Bann für Olympia 2016 in Brasilien abzuwenden. Bei einer Sondersitzung am 16. Januar sollen unbelastete Funktionäre gewählt werden, die sich in der schweren Krise an die Spitze stellen.

Der gigantische Doping-Skandal ist wahrscheinlich noch weitaus größer, als ohnehin schon bekannt. Wenn wir diese Informationen in die Welt geben, wird es einen Wow-Effekt geben, hatte Richard Pound, Leiter der WADA-Ermittlungskommission, dem Independent gesagt.

Der langjährige Leichtahletik-Funktionär Helmut Digel sieht das Problem in Russland vor allem so: Von außen ist es nur schwer zu lösen, und innen scheint es im Moment noch keine ausreichende Bereitschaft dafür zu geben, sagte der Tübinger im dpa-Interview. Hehre Worte von Herrn Putin und Mutko reichen nicht.

Trotz der vorläufigen Sperre treibt Russland seine Planungen für Olympia 2016 voran. Man habe für den komfortablen Aufenthalt der Sportler in Rio de Janeiro ein 17-stöckiges Gebäude angemietet, sagte Delegationschef Igor Kasikow. Russland rechne fest mit einer Teilnahme und nehme auch zwei eigene Köche mit nach Brasilien.