Behindert, beeinträchtigt – oder Mensch mit Behinderung? Wir tun uns schwer mit den richtigen Worten
Traditionell und historisch gibt es eine ganze Reihe von Bezeichnungen für Menschen mit Behinderungen, die aus gutem Grund heute "out" sind, weil sie Ausgrenzung und Abwertung ausdrücken. Aber wie sagt man es richtig?
Es war gang und gebe, von Krüppeln, Lahmen, Blinden, Tauben und Siechen zu sprechen, ganz zu schweigen von den wenig schmeichelhaften Mediziner-Bezeichnungen für Menschen mit geistigen, seelischen und mehrfachen Behinderungen. Betroffene führten zumeist eine Existenz am Rande der Gesellschaft, wurden häufig in Anstalten verwahrt und waren Objekte von mehr oder weniger staatlicher und privater Fürsorge. Dazu kommt die belastete deutsche Geschichte. Bekanntlich wurden im Nationalsozialismus Hunderttausende Menschen mit Behinderungen als "lebensunwert" auf grausamem Art unter tatkräftiger Mitwirkung deutscher Ärzte und der Gesundheitsbürokratie umgebracht. In einer Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht und allen Menschen Grundrechte zugesteht, ist es überholt, die hergebrachten Begriffe zu verwenden. Wie soll man es nun im Falle von Behinderung halten, ohne in Fettnäpfchen zu treten? Obwohl Aktivisten der Behindertenbewegung in den 80er Jahren ganz bewusst und provokant von "Krüppelbewegung" sprachen, als es um elementare Behindertenrechte und Gleichstellung ging, sollte man sich heute an inzwischen etablierte Begrifflichkeiten halten. Während das Schwerbehindertengesetz von 1986 nur "Schwerbehinderte" kannte und meinte, eine Behinderung beruhe auf einem "regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand", spricht das seit 2001 geltende Sozialgesetzbuch IX von "behinderten Menschen", ebenso das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) von 2002. Unter Behinderung wurde hier aber immer noch etwas individuell Untypisches, Abweichendes, also Nicht-Normales verstanden. Behindert sind demnach Menschen, "wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit [...] von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen." Hier blieb der Gesetzgeber der unguten deutschen Tradition eines defizitorientierten, schädigungsbezogenen Behindertenbegriffs treu. Die im Dezember 2006 verabschiedete UN Behindertenrechtskonvention spricht dagegen von "persons with disabilities", woraus im Deutschen "Menschen mit Behinderungen" wurden. Die Behinderung(disability) ergibt sich für die Betroffenen jetzt aus der Beeinträchtigung und Schädigung (impairment), die sie in "Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft hindern können". So steht es auch im Gleichstellungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Dezember 2010.
Wir sollten also wie die Behindertenrechtskonvention die Bezeichnung "Menschen mit Behinderungen" verwenden, auch wenn das sprachlich vielleicht nicht ganz geglückt ist und den Zusammenhang von Beeinträchtigung und gesellschaftlichen Barrieren nicht wirklich zum Ausdruck bringt. Die Termini "behinderter Mensch" oder "behinderte Menschen" sind aber auch nicht falsch. Ich selbst sehe das nicht dogmatisch und spreche sowohl von "Menschen mit Behinderungen", als auch von "behinderten Menschen", "Schwerbehinderten", Körperbehinderten", "Sehbehinderten", "Hörbehinderten", "seelisch Behinderten" oder allgemein von "Behinderten", je nach Zusammenhang und Gelegenheit. Spitzfindige Diskussionen über Tabubegriffe und politisch korrekte Bezeichnungen sind eher kontraproduktiv, wenn es um den Abbau von Benachteiligungen und Barrieren geht und Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich und ohne stigmatisierende Abgrenzungsmerkmale am Leben teilhaben sollen. Versuche, die Situation Betroffener durch affirmative Bezeichnungen wie "besondere Menschen", Menschen mit "besonderen Fähigkeiten" oder "besonderen
Bedürfnissen" zu beschönigen, ändern nichts an deren Lage und Problemen mit Barrieren aller Art. Übrigens haben Blinde und sehbehinderte in den allermeisten Fällen kein Problem damit, wenn man in ihrer Gegenwart von "Sehen", "Farbe" oder "Augen" spricht, auch für Hörbehinderte und Gehörlose sollte das Wort "Hören" nicht tabu sein.
Für Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen wurde in den letzten Jahren der Begriff "Menschen mit Lernschwierigkeiten" geprägt. Der ist natürlich gleichfalls korrekt, auch wenn eine Abgrenzung hier schwierig ist. An einer Behinderung ändert sich übrigens auch nichts, wenn man versucht, sie mit dem Anglizismus "handicap" zu etikettieren. Es gibt Betroffene, aber vor allem Nicht-Betroffene, die das alles ganz anders sehen und verbissen darüber streiten. Das halte ich aber für wenig hilfreich, und verbessert für keinen Menschen mit Behinderung die Situation.
Angeborene Behinderung:
Sie entsteht durch Vererbung und ist chromosomal bedingt, kann aber auch durch Schädigungen im Mutterleib hervorgerufen werden.
Erworbene Behinderung:
Sie kann auf verschiedenen Wege eintreten. Durch Schäden, die unter der Geburt entstehen, durch Krankheiten oder körperliche Schädigungen, zum Beispiel durch einen Unfall. Aber auch Alterungsprozesse können zu erworbenen Behinderungen führen.
Krüppel:
Der Begriff war bis ins 20. Jahrhundert üblich. Heute wäre er äußerst beleidigend. Einige behinderte Menschen, schreibt das Portal leidmedien.de, hätten diesen Begriff jedoch positiv besetzt: Sie nennen sich selbst "Krüppel". Diese Umdeutung ist bereits von anderen Minderheiten bekannt, etwa von homosexuellen Männern. Sie "definierten die einstige Beleidigung ,schwul‘ erfolgreich um", heißt es weiter auf dem Portal. Im Gegensatz zu "schwul" sei aber "Krüppel" noch kein neutraler Begriff und könne positiv nur innerhalb der Gruppe behinderter Menschen verwendet werden.
Mongo:
Ist die Kurzform von "mongoloid", eine veraltete Bezeichnung für Trisomie 21. "Mongo" oder "mongoloid" gilt als stark diskriminierender Begriff; er hat allerdings historische Gründe: Der Entdecker der Trisomie 21, John Langdon-Down, bezeichnete sie als "mongoloide Idiotie" und prägte damit die Begriffe des Mongolismus und Mongoloide als Bezeichnung für seine Träger aufgrund ihrer rundlichen Gesichtsform und mandelförmigen Augen, die er als typisch für die Mongolen ansah. Ein zentraler Grund für die Abschaffung dieser Begrifflichkeiten war eine Bitte der Mongolei: 1965 beantragte der Staat bei der WHO, den Begriff "Mongolian Idiocy" aufgrund der negativen Besetzung nicht mehr zu verwenden.
Die WHO nahm diesen Antrag einstimmig an. (siehe auch Down-Syndrom)
Down-Syndrom:
Der englische Neurologe John Langdon-Down beschrieb das nach ihm benannte Down-Syndrom 1866 erstmals wissenschaftlich als eigenständiges, von anderen Erkrankungen und Behinderungen abgrenzbares Syndrom.
Erst 1959 erkannte der französische Genetiker Jérôme Lejeune die genetische Ursache des Syndroms: Er entdeckte, dass jede Zelle der Betroffenen 47 statt 46 Chromosomen besitzt, also bei einem Chromosom eine Verdreifachung (Trisomie) statt einer Verdoppelung vorliegen muss. Später wurde festgestellt, dass es sich um das 21. Chromosom handelt. Daher die heute üblichere Bezeichung "Trisomie 21".