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Nabelschau La deutsche vita: "Römische Tage" von Simon Strauß

Nach seinem Debüt galt Simon Strauß einigen als Wegbereiter rückwärtsgewandter, neurechter Ideen. Im Nachfolger beschwört er wieder die Vergangenheit - diesmal in Rom. Wiederholt sich die Debatte um den Sohn von Botho Strauß?

Von Sebastian Fischer, dpa 02.07.2019, 12:14

Berlin (dpa) - Als Goethe Italien bereiste, war er so begierig darauf, die Ewige Stadt zu sehen, dass er auf dem Weg dorthin Florenz einfach links liegen ließ. "Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!", wird der Weimarer Dichterfürst drei Jahrzehnte später in seiner "Italienischen Reise" über die Ankunft mit der Kutsche am 1. November 1786 schreiben.

"Zweihunderteinunddreißig Jahre und acht Monate nach Goethe" erreicht der Ich-Erzähler in "Römische Tage", dem zweiten Roman von Simon Strauß, die Stadt per Flieger. Mit dem Hinweis auf den berühmtesten Rom-Aufenthalt eines Deutschen wird der Horizont geöffnet, den es jetzt zu bespielen gilt: die Reise als akademische Erfahrung. Im Text heißt es: "Romfahrer denken an Romfahrer."

Wie schon im Erstling "Sieben Nächte" trägt der Erzähler auch hier autobiografische Züge. Im Sommer 2018 geht er für mehrere Wochen nach Rom - entflieht der Gegenwart, er will "das Alte neu denken", während die Touristen "schwitzen, gaffen, grölen". Auch das Herz geht ihm schwer, wohl die Entzündung eines Muskels oder einer Sehne. Die Krankheit als Metapher. In Rom erhofft er Genesung.

Von seiner Bleibe gegenüber dem Wohnhaus Goethes macht er sich in dem szenisch angeordneten Text auf zu diversen Treffen: mal zum Empfang der deutschen Botschaft, mal in die Hertziana-Bibliothek oder die Römische Kurie. Es sind meist durchlauchtige Kreise deutscher Expats, durch die der Erzähler streift. Und nichtssagend sind sie dazu.

Vor zwei Jahren hatte "Sieben Nächte", das Debüt des 1988 geborenen Sohnes von Büchner-Preisträger Botho Strauß, für einige Diskussion gesorgt. Manch Feuilletonist vertrat die Meinung, der Erstling des Theater-Redakteurs der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bediene mit seiner Sehnsucht nach Empfindungen und dem Ruf auf Rückbesinnung vergangener Tugenden neurechte Denkweisen. Andere sahen in Strauß die Stimme einer jungen Dichtergeneration. Wieder andere hielten den Roman vor allem elitär. Es war eine Debatte, der sich der Autor großteils entzog und die nach dem Sommer 2017 auch wieder abflachte.

Das neue Buch wird wohl keinen solchen Staub aufwirbeln. Das große Manko an dem Roman ist denn auch, dass der Erzähler seine Bildung wie eine Monstranz vor sich herträgt. "Burckhardt stellt er über Ranke und sagt das, als wäre so etwas heute die größtmögliche Provokation." Man muss sich schon in der klassischen Historiografie auskennen, um mithalten zu können. Aus Überdruss an der Realität flüchtet sich der Erzähler in eigene Empfindungen: "Dieses Gefühl, Teil der Jahrtausende zu sein. Hier sein, hier sein, nur hier sein. Hier bin ich glücklich." Der Text geht kaum über die eigene Nabelschau hinaus.

In einem "SZ-Magazin"-Interview erklärt Strauß, wegen seines privilegierten Blicks auf die Stadt interessiere er sich "für die Wirkungsräume" und "nicht für den Alltag". Dabei sind es gerade letztere Szenen, in denen sich Strauß' literarisches Talent zeigt.

Etwa die Begebenheit in der Bahn über die stammelnde Einladung eines Enddreißigers an eine Unbekannte: Es seien darin die Worte "Meer", "Abendessen" und "Schönheit" gefallen. Nach der Abfuhr schreibt Strauß den vielleicht schönsten Satz: "Und das Meer bleibt mit der Sonne alleine und der Tisch am Strand wird nicht rausgestellt."

Doch sonst krankt der 140-Seiten-Roman besonders an den sprachlichen Überformungen irgendwo zwischen manieristischer Unerträglichkeit und antiquiertem Sehnsuchtsschwulst. "Rom stehe für das alte Europa, für Nachahmungseifer, Verehrungslust, Geschichtsphilosophie. Für Melancholie und Demut auch." Kritische Auseinandersetzung mit der Moderne? Gern. Dabei aber bitte nicht mit pathetischen Stanzen.

Goethe war bei seiner Ankunft in Rom endlich mit der Antike vereint, die er bis dahin nur aus der Ferne studieren konnte. Er nutzte seine Reise zur geistigen Wiedergeburt - eine Art Persönlichkeitsbildung in einer seinerzeit der deutschen so fremden Kultur. Bei Strauß kann von einer Vervollkommnung des Ichs keine Rede sein. Am Ende sieht der Erzähler ein: "Kein Hoheitsempfinden, keine Ganzheitssehnsucht."

Während "Sieben Nächte" trotz aller Unwägbarkeiten zumindest noch die Anklänge schriftstellerischen Furors in sich trug, macht vor allem das erzählerische Lamentissimo "Römische Tage" zu einer literarischen Entbehrlichkeit.

Verlag über "Römische Tage"

Strauß-Interview im "SZ-Magazin"

"Zeit" über Debatte um "Sieben Nächte"

"NZZ" über Debatte um "Sieben Nächte

DLF Kultur über Debatte um "Sieben Nächte"

Rezensionen von "Sieben Nächte"