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Coronaimpfung Pflegeberufe in der Impfpflicht?

Das interne Schreiben eines Pflegedienstes mit Verwaltungssitz in Schönebeck sorgt deutschlandweit für Aufregung - und Drohungen.

Von Bianca Oldekamp 13.01.2021, 17:56

Schönebeck/Hennigsdorf l Dass sein Schreiben vom 6. Januar 2021 solche Wellen schlagen würde, damit hätte Herbert Weiss, Geschäftsführer des Pflegedienstes Hennigsdorf, mit Hauptsitz in der gleichnamigen brandenburgischen Stadt und Verwaltungssitz in Schönebeck, nicht gerechnet. Anfeindungen und Drohungen erreichen ihn und die rund 35 Pflegekräfte. Grund dafür: Die jetzt öffentlichen Inhalte eines internen Schreibens, das laut Weiss nur ein kleiner Auszug eines größeren Dialogs im Unternehmen sei und eben nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. „Ich habe mittlerweile Angst vor Übergriffen“, erklärt der Geschäftsführer, während eines Telefonates am 13. Januar mit der Volksstimme, der das Schreiben ebenfalls vorliegt.

Darin zu lesen ist, dass die Rückmeldung der Pflegekräfte zum Thema Impfen teils sehr enttäuschend sei. „Natürlich besteht keine Pflicht zur Impfung [...]. Jedoch haben wir als Pflegedienst eine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber unseren Pflegekunden zu erfüllen, die es verhindert, Personal, welches nicht die Möglichkeit einer Schutzimpfung nutzt, einzusetzen. Das Arbeitsrecht sieht hier vor, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen zu prüfen hat, ob die betreffenden Mitarbeiter an anderer Stelle im Unternehmen ohne Kundenkontakt eingesetzt werden können. Dies muss ich mit einem eindeutigen Nein beantworten.“ Und da diese Möglichkeit nicht bestehe, schreibt Herbert Weiss: „Da ungeimpfte Beschäftigte eine Gesundheitsgefahr für die Kunden bedeutet, sind arbeitsrechtliche Konsequenzen möglich. Wir wollen unter allen Umständen personenbedingte Kündigungen vermeiden und appellieren an eure Vernunft.“

„Ein Appell, keine Drohung“, stellt Herbert Weiss klar. Denn als solche wurde sein Schreiben in den vergangen Tagen immer wieder interpretiert. Gegenüber der Volksstimme betont er: „Kein Mitarbeiter muss eine Kündigung befürchten, wenn eine Impfung verweigert wird.“

Eine allgemeine gesetzliche Corona-Impfpflicht gibt es nicht – auch nicht für Mitarbeiter in Medizin- und Pflegeberufen. Diese Frage wird politisch aber gerade diskutiert.

Der Konflikt, der Herbert Weiss letztlich zu seinem Schreiben bewogen hat, ist folgender: Als Geschäftsführer eines Pflegedienstes ist es seine Aufgabe, die gesetzlichen Vorgaben der Bereiche Arbeitsschutz, Arbeitsrecht und Infektionsschutz in Einklang zu bringen. Und das sei nicht nur für ihn, sondern für alle Pflegedienste in der Pandemie alles andere als einfach. „Wir bekommen zwar fast täglich neue Vorgaben und Hinweise seitens der Berufsverbände, wie wir was umzusetzen haben, doch selbst in der Politik herrscht bei diversen Themen Uneinigkeit.“

Der Schönebecker Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, Markus Baudisch, erklärt: „Die Betreiber von medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, die Patienten oder Bewohner vor Infektionskrankheiten in der Einrichtung zu schützen. Wenn ein Arbeitgeber hier die notwendige Sorgfalt nicht beachtet und es dadurch zu Infektionen in der Einrichtung kommt, kann er sich unter Umständen einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig machen.“

Für die Frage, ob entsprechende Pflegekräfte trotz fehlender Impfung gegen das Coronavirus eingesetzt werden dürfen, würde es laut Baudisch auch darauf ankommen, „ob eine solche Impfung auch eine Weitergabe der Infektion an andere wirksam verhindert“. Das ist aktuell aber nicht erwiesen. Entsprechend sei derzeit nicht absehbar, wie Arbeitsgerichte hier nach derzeitigem Wissensstand urteilen würden, so Baudisch. Würde es diesen Drittschutz geben, „dann wäre ein Mitarbeiter, der sich nicht impfen lassen will gegenüber gefährdeten Patienten oder Bewohnern von Pflegeeinrichtungen nicht mehr einsetzbar“, erklärt der Anwalt. „Als arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, wenn dies nicht möglich ist, aber auch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in Betracht kommen“, erklärt Markus Baudisch.

Anja Huth, Vorsitzende der Geschäftsführung der Bundesagentur für Arbeit, sagt aber: „Es obliegt jedem Arbeitnehmer, sich rechtlich beraten zu lassen.“ Generell müsse sich die Agentur bei arbeitsrechtlichen Konflikten neutral verhalten.

Für die Gewerkschaft Verdi, die die Corona-Impfung empfiehlt, teilt der zuständige Landesfachbereichsleiter Bernd Becker zu dem Schreiben mit: „Die indirekten Drohungen sind nicht nur nicht haltbar, sie sind völlig unangemessen.“ Was sein Schreiben angeht, sagt Pflegedienst-Geschäftsführer Herbert Weiss rückblickend betrachtet mittlerweile: „Vielleicht hätte ich das Schreiben auch anders formulieren sollen ...“