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Eröffnung Der längste Bahntunnel der Welt

Ein Jahrhundertwerk: Zwei gigantische Röhren durch die Alpen sichern dem Bahnverkehr zwischen dem Norden und Süden Europas eine Zukunft.

31.05.2016, 23:01

Zürich (dpa) l Kaum ein anderer Berg der Alpen hat eine so große Symbolkraft. „Ohne Gotthard keine Schweiz“, heißt es. Zum Garanten eidgenössischer Souveränität entwickelte sich das Bergmassiv, seit Baumeister im 13. Jahrhundert die Schöllenenschlucht mit einer hölzernen Brücke überwanden. Der Gotthard wurde zum wichtigsten Bindeglied der Verkehrsachse zwischen Nordsee und Mittelmeer, respektiert von allen europäischen Mächten.

Kein Wunder also, wenn jetzt einmal mehr von „historischen Dimensionen“ die Rede ist: Am 1. Juni wird mit einem großen Staatsakt der längste Eisenbahntunnel der Welt offiziell eröffnet – der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel zwischen Erstfeld im Kanton Uri und Bodio im Südkanton Tessin. Mehrere Tage lang gibt es danach noch Volksfeste.

Das Schweizer Jahrhundertbauwerk könnte Verantwortliche für Großprojekte in Deutschland vor Neid erblassen lassen: Trotz der gewaltigen Dimensionen wurde das größte Investitionsprojekt in der Geschichte der Eidgenossenschaft mit der sprichwörtlichen Präzision eines Schweizer Uhrwerks durchgezogen – ohne große Kostenüberschreitungen und sogar ein Jahr vorher als 2007 nach einer nötigen Zeitplan-Korrektur geplant.

12,2 Milliarden Franken (11,0 Milliarden Euro) waren allein für das Kernstück des Gotthard-Basistunnels veranschlagt. Das gesamte Alpentransit-Projekt – mit weiteren Röhren durch den Lötschberg und dem Ceneri-Basistunnel zwischen Bellinzona und Lugano (Inbetriebnahme Ende 2020) sowie für die Gleisanlagen dazwischen – soll 23 Milliarden Franken kosten.

So viel Geld kann keine eidgenössische Regierung ausgeben, wenn das Volk nicht ausdrücklich zustimmt. Daher gab es im November 1998 zum Gotthard-Basistunnel ein Referendum. Das Volk sagte Ja.

Kein Wunder also, dass im ersten Zug, der am 1. Juni durch den neuen Gotthard-Tunnel fährt, nicht Honoratioren, sondern Hunderte „Normalbürger“ sitzen werden. Die Freitickets wurden unter Zehntausenden von Bewerbern verlost. Erst im zweiten Zug folgen Politiker und die Staatsgäste – auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi werden erwartet.

Bis zur Aufnahme des regulären Bahnbetriebs wird noch einige Zeit vergehen. Erst nach 3000 weiteren Testfahrten soll die Strecke kurz vor Weihnachten endgültig freigegeben werden. Dann endlich kann der 1882 in Betrieb genommene Gotthardtunnel zwischen Göschenen und Airolo in die Ruhestandsreserve geschickt werden.

Was den neuen vom alten Tunnel unterscheidet, ist neben der Länge vor allem die enorme Tiefe, die gerade Strecke und seine Ebenerdigkeit. Der Basistunnel verläuft bei nur geringfügigen Steigungen sowie ohne enge Kurven auf einer Höhe von maximal 550 Metern über dem Meeresspiegel. Experten sprechen daher von einer „Flachbahn“.

Dank der ingenieur- und bautechnischen Meisterleistung, an der in Spitzenzeiten 2400 Arbeitskräfte - unter ihnen viele Deutsche - beteiligt waren, besteht nun eine weitgehend ebene Gleisbettverbindung zwischen Nordsee und Mittelmeer.

Personenzüge können den Tunnel mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern durchrasen. Die Verbindung zwischen Zürich und Lugano soll sich um 45 Minuten auf rund zwei Stunden verkürzen. Doch wichtiger als größere Bequemlichkeit für Reisende sind für Volkswirtschaft und Umwelt die Effekte im Güterverkehr. Pro Tag können künftig 260 Güterzüge das Gotthardmassiv durchqueren statt bisher maximal 180. Damit soll ein Teil der Gütertransporte zwischen Nord- und Südeuropa von der Straße auf die Schiene verlagert werden.