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Zehn Jahre ist es her, dass Peter Hartz seine Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vorlegte Hartz IV: Radikalkur mit Nebenwirkungen

16.08.2012, 03:21

Die einen warnten vor der "Abrissbirne für den Sozialstaat". Für die anderen war es "die größte Arbeitsmarktreform aller Zeiten". Als die Vorlage für die Hartz-Reformen vor zehn Jahren im Französischen Dom zu Berlin das Licht der Welt erblickte, versank Deutschland gerade in der Jahrhundertflut: Viele werteten dies als schlechtes Omen für das, was die "Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit" in einem feierlichen Akt als Rezept für ein neues deutsches Jobwunder präsentierte.

Die vollmundige Botschaft des damaligen Kommissionsvorsitzenden und VW-Managers Peter Hartz lautete: Wenn alle "Profis der Nation" an einem Strang ziehen, lässt sich die Arbeitslosigkeit auf dem Weg zur Vollbeschäftigung innerhalb von drei Jahren halbieren. Um den Berater von SPD-Kanzler Gerhard Schröder und Namensgeber der Reformen ist es nach einer Korruptionsaffäre mit Bewährungshaftstrafe und hoher Geldbuße still geworden. Im Saarland engagiert er sich weiter für Arbeitslose.

Hartz pflügte die politische Landschaft um. Das Herzstück der Reformen, die Hartz IV genannte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Arbeitslosengeld II, löste eine Protestwelle aus. Gewerkschaften liefen Sturm, Hunderttausende gingen auf die Straße. Die Kritik hält bis heute an.

Sammelbecken der Gegner wurde die neu gegründete Partei Die Linke. Sie lehnt Hartz IV bis heute als "Armut per Gesetz" ab. Die SPD verlor mit der Einführung von Hartz IV Anfang 2005 krachend die Bundestagswahl, dazu massenhaft Mitglieder. Nach Beanstandungen durch das Bundesverfassungsgericht mussten wichtige Gesetzesregelungen nachgebessert werden. An den Sozialgerichten löste Hartz IV eine Klageflut aus.

Für viele Kritiker war der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in einen "Kampf gegen die Arbeitslosen" umgeschlagen. Fast jede Arbeit, auch gering bezahlte, war plötzlich zumutbar. Nur in Ausnahmefällen erwiesen sich Jobs als Brücke in reguläre Beschäftigung. Langzeitarbeitslose werden meist als Letzte eingestellt und stehen als Erste wieder auf der Straße.

Auf der anderen Seite ist festzuhalten: Hartz IV hat auch dafür gesorgt, dass der Trend der zuvor ständig wachsenden Sockelarbeitslosigkeit gebrochen wurde. "Die Hartz-Gesetze haben eine Menge an Flexibilität gebracht - und sie sind die Grundlage für die momentan starke wirtschaftliche Stellung Deutschlands in Europa. Das ist gut", lautet die Bilanz des CDU-Arbeitsmarktexperten Karl Schiewerling. Seine SPD-Kollegin Anette Kramme sagt: "Was wir erreicht haben, allerdings nicht von Anfang an, ist das systematische Fördern von Arbeitslosen. Besonders in der Sozialhilfe fand das nicht statt."

Als Peter Hartz seine "Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit" vorlegte, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose. Zehn Jahre und einige Reformen später sind es knapp 2,9 Millionen. Dazwischen - Anfang Februar 2005 - kletterte die Erwerbslosenzahl kurzzeitig auf den Rekordstand von 5,2 Millionen. Es waren jene 350 000 Erwerbsfähigen dazu gekommen, die bis dahin als Sozialhilfeempfänger nicht mitgezählt wurden.

Für sie brachte die Reform unstreitig Verbesserungen. Derzeit umfasst die Gruppe der Langzeitarbeitslosen noch etwa 1,9 Millionen Menschen. "Die Hartz-IV-Reform hat Wahrheit und Klarheit in die Statistik gebracht und damit offenbart, welche Beschäftigungsprobleme wir hatten", sagt der Nürnberger IAB-Arbeitsmarktforscher Ulrich Walwei.

Den Einstieg in den Umbau des Arbeitsmarktes markierten 2003 die Reformen Hartz I und II: Sie brachten die Ich AG für arbeitslose Existenzgründer, 400-Euro-Jobs, Vermittlungsgutscheine, Job-Center und die Pflicht zur umgehenden Meldung zur Arbeitsuche bei Kündigung. Instrumente wie der Job-Floater und Bildungsgutscheine sind längst in Vergessenheit geraten. Die Ich AG war 2002 "Unwort des Jahres". (dpa)