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Exklusiv-Interview mit Verteidigungsminister zu Guttenberg "Mir ist es sehr wichtig, mich in vorderster Linie blicken zu lassen"

29.07.2010, 04:18

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg antwortete Volksstimme-Chefreporter Bernd Kaufholz anlässlich seiner diesjährigen Sommertour exklusiv auf zehn Fragen. Guttenberg hatte am Dienstag Soldaten in der Burger Clausewitz-Kaserne besucht. Das Gespräch fand in Guttenbergs Dienst-Limousine auf dem Weg von der Kaserne zum Burger Rathaus statt.

Volksstimme: Herr Minister, was ist die wichtigste Botschaft, die Sie von Ihrem Besuch beim Logistik-Bataillon Burg mitnehmen?

Karl-Theodor zu Guttenberg: Zum einen, dass sich die Soldaten hier momentan für den Einsatz sehr gut ausgebildet fühlen. Aber genauso, dass sie künftig in der Einsatzrealität ebenso gut ausgerüstet und für die dann bestehenden Herausforderungen gewappnet sein wollen. Nicht zuletzt den Wunsch, dass das Gewicht der Logistik innerhalb der Bundeswehr erhalten bleibt.

Volksstimme: In welcher Art und Weise werden Logistik-Leistungen von der anstehenden Bundeswehrreform berührt?

zu Guttenberg: Es ist zu früh, das heute bereits zu sagen, da wir uns derzeit in der Planung der unterschiedlichen Modelle befinden und die Frage der künftigen Darstellung der Logistik auch hieran angekoppelt ist. Eine Entscheidung darüber wird zu einem späteren Zeitpunkt getroffen.

Volksstimme: Standortentscheidungen fallen wahrscheinlich dann erst im nächsten Jahr?

zu Guttenberg: Standortentscheidungen im Zuge der Reform wird es nicht vor Mitte nächsten Jahres geben. Ich bin immer wieder erstaunt über die Weisheit mancher, die glauben, dass man Standortentscheidungen vor der Strukturentscheidung treffen kann. Das läuft üblicherweise andersherum.

Keine Träumereien und Illusionen mehr

Volksstimme: Ein Teil der Soldaten, die Sie in Burg besucht haben, geht im Herbst in den Norden Afghanistans. Von dort ist zu hören, dass die eingerückten 800 US-Soldaten der 10. Mountain Division der Bevölkerung ein größeres Sicherheitsgefühl geben, als es die Bundeswehr je gekonnt hat. Kampfkraft überzeugt offensichtlich mehr als Straßenbau. Wie sehen Sie das?

zu Guttenberg: Beides für sich wäre nicht genügend in Afghanistan. Deswegen braucht es ein breites Fähigkeitsspektrum, das in meinen Augen die Bundeswehr grundsätzlich sehr gut abdecken kann. Sich auf Teilfähigkeiten wie Kampfkraft zu beschränken, würde dem Anspruch unseres Auftrags in Afghanistan nicht gerecht werden.

Volksstimme: Vor ein paar Tagen haben Sie in der nordafghanischen Unruheprovinz Baghlan aufgrund von Gefechten einen Besuch bei deutschen Kampftruppen kurzfristig absagen müssen. Was geht Ihnen in solcher Situation durch den Kopf?

zu Guttenberg: Man spürt die Realitäten vor Ort. Man spürt sie hautnah, wenn man vorhat, sich auch mal bei den Soldaten in vorderster Linie blicken zu lassen. Was mir sehr wichtig ist. Man begreift deutlich, dass man sich in einem Land befindet, in dem Krieg herrscht und dass man sich diesen Realitäten zu stellen hat. Dass man gleichzeitig mit Hochachtung den Leistungen unserer Soldaten vor Ort begegnen muss.

Volksstimme: Wie beeinflussen solche Erlebnisse Ihre Besuche bei Bundeswehreinheiten in diesem Sommer?

zu Guttenberg: Mir sind die Begegnungen mit den Soldaten ungemein wichtig. Es reicht nicht, dass man sich lediglich mit den Spitzen der Bundeswehr austauscht, man muss sich mit Rekruten, Mannschaftsdienstgraden und Unteroffizieren ebenso offen unterhalten. Nur so bekommt man die breite Rückmeldung: Wo fehlt es an Dingen, wo gibt es gewissen Nachbesserungsbedarf? Aber auch, in welchen Punkten gelingt das ein oder andere. Die Erlebnisse in Afghanistan selbst haben meine Sommerreise jedoch nicht direkt beeinflusst, da die Truppenbesuche ohnehin den Bezug zu den Einsätzen haben.

Volksstimme: Können Sie nachvollziehen, dass die meisten Deutschen die Soldaten lieber heute als morgen aus Afghanistan zurückholen wollen?

zu Guttenberg: Ich kann die Gefühlslage durchaus nachvollziehen. Ich glaube aber trotzdem, dass es nicht klug wäre, jetzt Hals über Kopf aus Afghanistan abzurücken. Ohne realistische Zwischenziele erreicht zu haben. Ohne, dass von dort aus keine Gefährdung der internationalen Sicherheit mehr ausgeht. Aber es war entscheidend, dass wir die Ziele immer weiter herabsetzten. Wir dürfen uns keinen Träumereien und Illusionen mehr hingeben, sondern müssen erreichbare Ziele anstreben.

Armeestruktur nicht nach Kassenlage

Volksstimme: Haben diejenigen Recht, die sagen, die Bundeswehr steht vor ihrem größten Umbau?

zu Guttenberg: Sie steht auf jeden Fall vor einer erheblichen Strukturreform, die notwendig ist.

Volksstimme: Die Wehrpflicht war immer eine Stütze der Bundeswehr. Jetzt erscheint sie als Hemmnis für den Umbau. Warum ist das so?

zu Guttenberg: Die Wehrpflicht war ohne Frage ein Erfolgsmodell der Bundeswehr der letzten Jahrzehnte, und trotzdem muss eine künftige Wehrform so gestaltet sein, dass sie sicherheitspolitisch begründet ist. Dass sie attraktiv genug ist. Dass sie dem Regenerationsbedarf der Bundeswehr nachkommt. Aber insbesondere, dass die künftige Wehrform Bestand hat und nicht vom Verfassungsgericht gekippt wird, weil wir etwa in die Lebensplanung junger Männer eingreifen, ohne dass dies sicherheits- und verteidigungspolitisch weiterhin anhaltend gerechtfertigt wäre. Wir haben einen Gestaltungsauftrag, so dass wir uns der Mängel annehmen müssen, die es im Wehrwesen heute gibt.

Volksstimme: Es gibt ja auch die Idee für einen freiwilligen Wehrdienst. Was soll so anziehend an der Bundeswehr sein, dass man freiwillig hingeht? Es gibt doch lukrativere Jobs bei der zivilen Konkurrenz.

zu Guttenberg: Wer heute nicht mehr zur Bundeswehr will, geht als junger Mensch auch kaum noch dorthin. Und deswegen ist es doch die Frage, kann man die Bundeswehr generell, egal, welche Wehrform wir finden, so attraktiv gestalten, dass man dem Wettbewerb draußen standhält? Wir müssen ja heute schon dem Wettbewerb standhalten. Ein Wettbewerb, der zum einen mit dem Zivildienst stattfindet, aber der, nachdem wir auch heute nur noch etwa 15 Prozent der jungen Männer eines Geburtsjahrganges zur Bundeswehr ziehen, ist es mit Sicherheit auch eine Frage der Attraktivität: Was hat die Bundeswehr dem jungen Menschen zu bieten und was kann der junge Mensch letztlich auch für die Bundeswehr einbringen? Da müssen wir mehr tun als bisher, aber da gibt es auch gute Gedanken.

Volksstimme: In anderen euro-päischen Ländern unterliegen die Verteidigungsbudgets auch einem Spardiktat. Wenn man den Gesamtumfang von Entlassungen, Abbau von Wehrtechnik und Rüstungsaufträgen sowie von Standortschließungen usw. betrachtet, kommt man auf die Idee, Arbeit und Lasten zu teilen und dafür Abschied zu nehmen von klassischen Vorstellungen von militärischer Souveränität. Was halten Sie davon?

zu Guttenberg: Wir dürfen keine Armeestruktur nach Kassenlage ins Auge fassen, sondern nach den sicherheits- und verteidigungspolitischen Notwendigkeiten. Die haben allerdings natürlich auch etwas mit der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern zu tun. Das ist ein Teil künftiger und auch schon gegenwärtiger Realität. Und deswegen ist der Aspekt der internationalen Operationsfähigkeit, auch der Lastenteilung durchaus wichtig.