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Wahl am 26. September DIW-Chef: Bundestagswahl wegweisend für Jahrzehnte

Deutschland steht vor einem Wendepunkt und vor gigantischen Herausforderungen, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Worauf es aus seiner Sicht nach der Wahl ankommt.

Von dpa Aktualisiert: 17.09.2021, 06:53
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin - Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat die Bundestagswahl als wegweisend für die kommenden Jahrzehnte bezeichnet.

„Wir haben einen riesigen Reformstau“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Bundestagswahl am 26. September sei die wichtigste Wahl seit 1990. Deutschland stehe vor einem wichtigen Wendepunkt in vier zentralen Zukunftsfragen: beim Klimaschutz, bei digitaler Transformation, der wirtschaftlichen Transformation und im globalen Wettbewerb mit China und den USA.

„Und außerdem beim Thema soziale Polarisierung, die durch die Pandemie massiv zugenommen hat. Dies sind gigantische Herausforderungen für alle Generationen. Man muss vorsichtig sein mit Superlativen, aber jetzt entscheidet sich, wohin Deutschland in den nächsten 50 Jahren steuert.“

Die Ruck-Rede von Bundespräsident Roman Herzog 1997, in der er eine Reformstarre in Deutschland monierte und einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft einforderte, sei heute noch zutreffender als damals.

„Nach der Wahl sind vor allem drei Dinge nötig“, sagte Fratzscher. „Zum einen sind dies massive Zukunftsinvestitionen. Das zweite ist eine grundlegende Steuerreform, die Menschen mit mittleren und geringen Einkommen entlasten und große Vermögen stärker belasten. Wir müssen auch Unternehmen punktuell entlasten, damit wir richtige Anreize setzen für Investitionen. Eine Unternehmensteuersenkung auf 25 Prozent wäre aber per Gießkannenprinzip. Das ist nicht effektiv. Der richtige Schritt wären eine Sofortabschreibung auf Investitionsgüter sowie gezielte Hilfen für Innovation. Viel besser als eine Vermögensteuer wäre es, die Grundsteuer zu erhöhen, also Grund und Boden stärker zu besteuern. Außerdem sollte es eine faire Erbschaftsteuer geben.“

Das Bildungssystem sei unzureichend und könne immer weniger im internationalen Wettbewerb mithalten. „Die Zukunftschancen der jungen Menschen in Deutschland sind viel zu wenig von den eigenen Fähigkeiten und Talenten abhängig und viel zu stark vom Bildungsgrad und Einkommen der Eltern.“ Der Schlüssel werde Chancengleichheit in der Bildung sein.

Vielleicht die wichtigste Hürde für erfolgreiche Reformen in Deutschland sei die Besitzstandswahrung, sagte der DIW-Präsident. „Der Hauptgrund, weshalb Dinge nicht umgesetzt werden oder nicht geschehen, liegt nicht darin, dass politische Institutionen unfähig sind, sondern weil mächtige Interessen dagegenstehen, zum Beispiel beim Wohnungsbau in den Städten: Bitte nicht in meinem Kiez höhere Gebäude errichten und freie Grundstücke bebauen, das wollen wir nicht. Außerdem muss man noch auf Planungsprozesse schauen, die zum Teil Ewigkeiten dauern wie beim Windkraftausbau: Das liegt nicht nur daran, dass die Hürden hoch sind, sondern dass gewisse Gruppen ihre Interessen bewahren wollen.“

Besitzstandswahrung müsse aufgebrochen werden. „Wir wollen, dass die Klimaziele bis 2030 erreicht werden. Das heißt, wir müssen Ausbauziele massiv ambitionierter gestalten und die auch erreichen. Dafür müssen zum Beispiel Abstandsregeln bei Windrädern geändert werden. Es geht nicht darum, Demokratie und Mitspracherechte auszuhebeln, sondern Prozesse zu schaffen, die viel, viel flotter, unbürokratischer und unkomplizierter gehen und die dann auch verlässlicher sind. Für die Wirtschaft geht es um Verlässlichkeit.“