Ex-Arcandor-Chef Der Aufstieg und Fall des Thomas Middelhoff
Der Aufstieg und Fall eines Managers: Thomas Middelhoff war in Magdeburg zu Gast beim Ethikforum des Vereins „Verantwortung und Werte“.
Magdeburg l Fast unbemerkt kommt er in den Tagungsraum des Ratswaage-Hotels. Kein Blitzlichtgewitter, keine Menschentraube, kein Applaus. Da ist er also, Thomas Middelhoff, einst einer der schillernsten deutschen Spitzenmanager. Bewundert von den einen, gehasst von den anderen. „Mein Bekanntheitsgrad ist ausreichend groß“, sagt er. Kunstpause. „Und ausreichend schlecht.“
Middelhoff machte aus dem Unternehmen Bertelsmann Europas größten Unterhaltungskonzern und sollte das angeschlagene Warenhaus KarstadtQuelle (später Arcandor) retten. Noch vor der Insolvenz musste er seinen Posten räumen. Es folgt eine Anklage, weil er Geld für Privatflüge und eine Festschrift veruntreut haben soll. Middelhoff erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung, im November 2017 wurde er vorzeitig entlassen.
Der heute 65-Jährige sagt jetzt: „Ich habe Familie, Vermögen, Reputation verloren. Ich bin auf ganzer Linie gescheitert. Und ich war selbst schuld daran.“ Middelhoff führte ein Luxusleben. Er pachtete für 70.000 Euro im Monat Jachten in St. Tropez und schwebte mit dem Hubschrauber über das Kamener Kreuz an der A 2, wenn ihm der zähe Verkehr auf dem Weg ins Büro mal wieder zu lästig war. „Ich wollte immer das größte Hotelzimmer kriegen“, erzählt er in Magdeburg.
Dann der tiefe Fall. Der 14. November 2014 ist der Tiefpunkt im Leben des Firmenlenkers. Noch im Gerichtssaal wird er verhaftet, kommt direkt in die Justizvollzugsanstalt. Leibesvisitation, nackt, die Beine auseinandergestreckt. Spätestens da wird ihm klar: „Du hast dein Leben an die Wand gesetzt.“
Er hat ein Buch geschrieben – „Der Sturz“, ein Bestseller. Darin stellt er sich als Opfer von Justiz, Medien, ehemaligen Freunden dar. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zeigte ihn seinerzeit an. Man habe ihn „öffentlich hingerichtet“, schreibt er. Andere werfen ihm vor, nicht wirklich eigene Fehler eingestanden zu haben.
In Magdeburg wird Middelhoff gefragt: „Wurde an Ihnen ein Exempel statuiert?“ Der einstige Star-Manager sagt: „Ich kann bis heute nicht erkennen, warum die juristische Schuld bei drei Jahren liegt.“ Einerseits. Andererseits gibt er sich geläutert: „Ich habe die typischen Todsünden eines Managers gemacht. Ich habe sie alle erfüllt, glauben Sie es mir. In dieser Hinsicht bin ich schuldig.“
Die frühere Lichtgestalt hat das Büßergewand übergestreift. „Ich war der typische Manager-Kotzbrocken“, sagt Middelhoff. Er bescheinigt sich „Hochmut, der eng einhergeht mit Narzissmus. Es ging nur noch um mich.“ Er kritisiert die eigene Maßlosigkeit: „Das ergibt sich, wenn man keine begrenzenden Leitplanken hat.“ Er sagt: „Blinde Gier hat mich in den Abgrund geführt.“ Er spricht von einem „schleichenden Prozess der Vergiftung“ seiner selbst. Er sagt auch: „Ich beklage gar nichts, weil ich es selbst zu verantworten habe.“ Wie ist es zu dieser neuen Selbstbetrachtung gekommen?
Im Gefängnis, Zelle A 115, acht Quadratmeter klein, habe er wieder zum Glauben gefunden, sagt er. „Morgens um 5 Uhr habe ich das Licht angemacht, die Bibel gelesen, den Rosenkranz gebetet.“
Er, gläubiger Katholik, geht nach Jahrzehnten mal wieder zur Beichte. Middelhoff ist Freigänger und arbeitet tagsüber mit behinderten Menschen. Dort habe er „menschliche Wärme“ erfahren. Er ist bemüht, ein neues, positiveres Bild von sich zu zeichnen. Erzählt von Sebastian, einem autistischen Jungen. „Ich war der einzige Mensch, mit dem er gesprochen hat“, sagt Middelhoff. Das sei für ihn der größte Erfolg im Leben gewesen. Nicht der AOL-Deal, der ihm einst einen Bonus in dreistelliger Millionenhöhe einbrachte, beteuert er. Solche Geschichten, nicht zum ersten Mal erzählt, machen sich gut, sie bringen Sympathiepunkte. Wenn das manch einer als „aufgesetzt“ empfinden sollte, „ist mir das egal“, sagt Middelhoff. „Ich war arrogant und abgehoben“, bekennt er. „Mir fehlte es an jeder Form gelebter Demut.“ Jungen Managern würde er empfehlen, mal für ein paar Monate in eine Behindertenwerkstatt zu gehen. Er habe Demut gelernt, sagt Middelhoff. „Schiff weg, Haus in Frankreich weg ... Je mehr ich verlor, desto befreiter habe ich mich gefühlt. Ich bin heute glücklicher.“
Middelhoff, derzeit Schriftsteller und Vortragsreisender, hat ein neues Leben begonnen. In Hamburg, mit einer neuen Lebensgefährtin, wie Medien berichten. Die Ehe mit seiner Frau war nach 45 Jahren in die Brüche gegangen. Er habe sich gegenüber seiner Frau als „schlimmer Versager“ gefühlt, sagt Middelhoff.
In Kirchengemeinden und an Universitäten berichtet er über seine Erfahrungen. In Innsbruck, so erzählt er, sei sein Vortrag unter die Überschrift „From heaven to hell“ – vom Himmel in die Hölle – gestellt worden. Middelhoff sieht das genau umgekehrt: „Aus der Hölle in den Himmel.“
Kann sich ein Narzisst tatsächlich so ändern? Kann aus einem „Kotzbrocken“ ein guter Mensch werden? Erst im Juli 2018 hatten „Süddeutsche Zeitung“ und WDR berichtet, es bestehe der Verdacht, dass Middelhoff vor seiner Privatinsolvenz Teile seines Vermögens beiseite geschafft haben solle. Middelhoff bestreitet das.
Nicht jeder kauft Middelhoff die Wandlung vom Saulus zum Paulus ab. Der selbst hat unlängst bei einem Vortrag gesagt: „Ich war nicht immer ein Arschloch. Ich war auch mal ein netter Kerl.“
Von Literatur-Nobelpreisträger William Faulkner stammt der Satz: „Auf böse Menschen ist Verlass. Sie ändern sich wenigstens nicht.“ Albert Schweitzer hat mal gesagt: „Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass du dein Leben ändern kannst, indem du deine Geisteshaltung änderst.“ Können sich Menschen ändern? Die Menschen sind geteilter Meinung.