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Abschiebungen Sami A. ist kein Einzelfall

Bei Abschiebungen haben Behörden bereits mehrfach gegen geltendes Recht verstoßen. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul steht unter Beschuss.

17.08.2018, 23:01

Düsseldorf (dpa) l Neben dem Islamisten Sami A. haben die Behörden im laufenden Jahr bereits vier weitere Ausländer rechtswidrig abgeschoben. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Margarete Bause hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. In allen Fällen seien „die erforderlichen Verwaltungsakte noch nicht vollziehbar“ gewesen, schreibt das Ministerium. Die Zahlen beziehen sich auf den Stand 8. August. Seitdem gab es noch einen Abschiebeflug nach Afghanistan.

Die Häufung seit Jahresbeginn ist auffällig. So sind der Bundesregierung für die Jahre 2015 und 2016 keine rechtswidrigen Abschiebungen bekannt und für das Jahr 2017 zwei Fälle. Die Betroffenen wurden in ihre Herkunftsländer Nigeria, Afghanistan, Kosovo, Marokko, Simbabwe, China und Tunesien abgeschoben.

„Wir alle in der Bundesregierung sehen uns natürlich in der Pflicht, rechtsstaatlich zu handeln und gründlich zu handeln“, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern. Die Sprecherin des Bundesinnenministeriums, Eleonore Petermann, räumte ein: „Jeder einzelne Fall ist schlecht, ohne Frage.“ Sie erinnerte aber auch daran, dass für Abschiebungen in erster Linie die Bundesländer zuständig sind, obwohl Bundespolizisten die Flüge begleiten.

In der Rechtsstaat-Debatte um die Abschiebung des islamistischen Gefährders Sami A. rudert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach scharfer Kritik an seinen Äußerungen zurück. Er entschuldigte sich gestern nach seiner öffentlichen Gerichtsschelte. Ihm sei inzwischen klar geworden, dass seine heftig umstrittene Äußerung über Gerichtsentscheidungen, die möglicherweise nicht im Einklang mit dem Rechtsempfinden der Bürger stünden, „missverstanden werden konnte“, erklärte Reul in einer Mitteilung. „Das bedaure ich.“

Reul hatte am Mittwoch gesagt: „Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“ Er bezweifele, dass das im Fall Sami A. geschehen sei, so Reul.

Für seine Aussagen war Reul scharf kritisiert und von Teilen der Opposition zum Rücktritt aufgefordert worden. Deutliche Kritik übte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD): „Wenn ein Landesinnenminister darüber hinaus Richterinnen und Richter auffordert, ihre Entscheidungen am Rechtsempfinden der Bevölkerung zu orientieren, offenbart das ein befremdliches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“, sagte sie dem „Tagesspiegel“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte in Berlin mit Blick auf die Abschiebe-Affäre um Sami A., Entscheidungen unabhängiger Gerichte seien zu akzeptieren. Und sie müssten auch umgesetzt werden. „Daran arbeiten wir jetzt zusammen mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen als Bundesregierung, und wo geboten natürlich auch zusammen mit Tunesien.“

Währenddessen hat das Bundesinnenministerium Vorwürfe aus Nordrhein-Westfalen im Fall Sami A. zurückgewiesen. „Operativ konnten wir nichts tun“, sagte eine Ministeriumssprecherin in Berlin. „Dennoch, wir haben beraten, wir haben den Vorgang begleitet, so kann man es durchaus sagen, und zwar durchaus auch ständig.“

Abschiebungen sind Ländersache. Allerdings wäre es bei Sami A. Sache des Außenministeriums gewesen, vor der Abschiebung auf Bitten des Innenministeriums eine Zusicherung aus Tunesien einzuholen, dass dem Extremisten dort keine Folter drohe. NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte dazu gesagt, er sei „zutiefst enttäuscht“, dass Innenminister Horst Seehofers (CSU) „vollmundigen Ankündigungen, das zur Chefsache zu machen“, keine Taten gefolgt seien.

Die von den NRW-Gerichten als Voraussetzung für eine Abschiebung des Tunesiers geforderte Zusicherung Tunesiens, dass ihm dort keine Folter drohe, liegt offenbar immer noch nicht vor. Generell könne er sagen, „dass üblicherweise eine diplomatische Zusicherung immer auf Grundlage eines gesetzlichen Maßgabebeschlusses eingeholt wird, in dem das Gericht genau festlegt, wie der Inhalt der geforderten Zusicherung auszusehen hat“, erläuterte ein Sprecher des Außenministeriums. „Dies ist im Fall von Sami A. bisher nicht erfolgt.“

Die SPD-Fraktion im Landtag kündigte an, eine Sondersitzung des Rechtsausschusses mit NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) zu beantragen. „Wenn die Präsidentin des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs von einem Konflikt zwischen den Staatsgewalten spricht, ist das ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang“, sagte Fraktionschef Thomas Kutschaty laut Mitteilung nach einer Kritik von Gerichtspräsidentin Ricarda Brandts.