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EU-KommissionSammellager für Flüchtlinge

Die Europäische Union sucht nach Lösungen für in Seenot geratene Migranten. Wie würden diese Sammelzentren oder Flüchtlingslager aussehen?

28.06.2018, 23:01

Brüssel (dpa) l Sammelzentren, Flüchtlingslager, Anlandestellen – die EU diskutiert über Konzepte, damit weniger Migranten aus Afrika die Überfahrt übers Mittelmeer antreten. Beim EU-Gipfel in Brüssel signalisierten etliche Staats- und Regierungschefs Unterstützung für die Idee von Sammellagern, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Welche Ideen stehen im Raum?
Nach Angaben der EU-Kommission kommen derzeit zwei Optionen in Frage. Zum einen geht es um Sammellager in nordafrikanischen Küstenstaaten, in die aus Seenot gerettete Flüchtlinge zurückgebracht werden sollen. In Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR könnten Schutzbedürftige von dort aus auf EU-Länder verteilt werden. Jene, die nicht schutzbedürftig sind, müssten zurück in ihr Heimatland und würden dabei von der Internationalen Organisation für Migration IOM unterstützt.

Die zweite Möglichkeit sind Flüchtlingszentren innerhalb der EU, in die Bootsflüchtlinge gebracht werden könnten. Daran wären auch die EU-Asylagentur und die EU-Außengrenzschutzagentur Frontex beteiligt. Dies hatten Frankreich und Spanien vorgeschlagen. Anders als in den afrikanischen Sammellagern würden hier die deutlich komplexeren EU-Asylregeln gelten.

Welche Länder sind im Fokus?
Häufig genannt werden die nordafrikanischen Mittelmeerstaaten Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Man arbeite eng mit den Ländern zusammen und wolle die Kooperation noch ausbauen, sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Auch die europäischen Länder Albanien und Mazedonien sind schon länger im Gespräch – würden aber nicht unter die von der EU-Kommission genannten Optionen fallen.

Sind solche Zentren tatsächlich denkbar?
Politisch ernten gerade vor allem die Sammellager in Nordafrika Zustimmung. Im seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs für den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag schreibt EU-Ratspräsident Donald Tusk von "regionalen Anlande-Plattformen außerhalb Europas, falls möglich in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und der IOM". Ziel sei, das Geschäft der Menschenschmuggler und das Sterben auf dem offenen Meer zu beenden. Für Flüchtlingszentren innerhalb der EU würde sich wohl kein Land finden.

Was sagen Kritiker über diese Vorschläge? 
Mehrere Politiker warnen davor, Gefängnisse oder Internierungslager zu schaffen. Am Mittwoch veröffentlichten 17 Hilfsorganisationen, unter ihnen Pro Asyl und Amnesty International, zudem eine Erklärung, in der sie vor der Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes in der EU warnen. Auch UNHCR und IOM sind nicht besonders begeistert. Asyl zu suchen sei ein Recht, das die EU unter allen Umständen sichern müsse, sagt IOM-Sprecher Ryan Schröder. UNHCR-Sprecher William Spindler sagt: "Wir unterstützen keinerlei Vorschläge, den Asylprozess zu verlagern, wenn das zum Ziel hat, die Verantwortung abzuschieben und Asyl in Europa einzuschränken."

Die EU-Kommission betont hingegen, das Völkerrecht werde bei allen Vorschlägen geachtet. "Auf keinen Fall wird es Gefängnisse (...) geben", sagt ein Sprecher. Avramopoulos sagte zuletzt auch, es gehe nicht darum, die Verantwortung für Flüchtlinge auszulagern.

Gibt es Alternativen?
Eine dritte Variante wären Sammellager außerhalb der EU, in die auch bereits in die EU eingereiste Asylbewerber zurückgebracht werden könnten. Diese Idee wurde beim Asyl-Sondertreffen vergangenen Sonntag allerdings von den Staats- und Regierungschefs verworfen. Nach Angaben der EU-Kommission ist sie nicht mit EU-Recht vereinbar.

Könnte sich das ändern?
Eventuell. Nach Einschätzung des Völkerrechtlers Daniel Thym von der Universität Konstanz könnte die EU diese Variante verwirklichen, wenn sie die derzeit gültige Asylverfahrensrichtlinie ändert. Diese wird derzeit ohnehin zwischen den EU-Ländern verhandelt. Die Neufassung müsste festlegen, dass Menschen nicht nur in sichere Länder, sondern auch an sichere Orte in unsicheren Ländern gebracht werden können.

Nach aktuellem Recht kann Thym zufolge nur in ein Land zurückgeschickt werden, das als sicher gilt. Libyen – das wichtigste Transitland für Migranten – käme damit für so ein Lager nicht infrage. Thym, der Mitglied im Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration ist, hat die Bundesregierung bei der Frage sicherer Drittstaaten beraten.

Wie reagieren die betroffenen Länder darauf?
Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Avramopoulos sagte in der vergangenen Woche, man stehe mit den fraglichen Ländern in Nordafrika in Kontakt, bisher habe sich jedoch noch kein Staat dazu bereit erklärt. Auch IOM-Sprecher Schröder sagt: "Wir haben keine Anzeichen, dass irgendeines der genannten Länder bereit wäre, so ein Zentrum zu beherbergen." Aus Albanien und Mazedonien kamen ebenfalls deutliche Absagen.

Ist das das letzte Wort?
Möglicherweise nicht. In Brüssel ist im Gespräch, die Länder mit finanzieller Unterstützung in Milliardenhöhe zu einer stärkeren Kooperation zu bewegen. Das könnte vor allem für die Länder Nordafrikas, in denen viele Menschen unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden, attraktiv sein.