Juso-Chef Und Kühnert legt nach

Juso-Chef Kühnert setzt seine Gedankenspiele zum Sozialismus fort, trotz aller Kritik. Einen Rückzieher macht er nicht.

03.05.2019, 23:01

Berlin (dpa) l Im Streit um seine Sozialismus-Thesen hat Juso-Chef Kevin Kühnert nachgelegt und die SPD aufgefordert, die von ihm angestoßene Debatte offensiv zu führen. „Ich habe keine Lust mehr darauf, dass wir wesentliche Fragen immer nur dann diskutieren, wenn gerade Friedenszeiten sind, und im Wahlkampf drumherumreden“, sagte Kühnert dem „Spiegel“. Wenn man ernsthaft einen anderen Politikstil wolle, „dann können wir uns nicht immer auf die Zunge beißen, wenn es um die wirklich großen Fragen geht“.

„Ich habe das sehr ernst gemeint, was ich formuliert habe“, sagte Kühnert. Der Kapitalismus sei „in viel zu viele Lebensbereiche vorgedrungen: „So können wir auf keinen Fall weitermachen.“ Kühnert hatte zuvor in einem Interview mit der „Zeit“ zum Thema Sozialismus gesagt, dass er für eine Kollektivierung großer Unternehmen „auf demokratischem Wege“ eintrete: „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW „staatlicher Automobilbetrieb“ steht oder „genossenschaftlicher Automobilbetrieb“ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“

Kritik an Kühnerts Ideen kam nun auch vom Industrieverband BDI. „Unausgegorene Ideen für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsform verlieren sich im Nebel aus unbestimmten Wünschen und Rezepten von gestern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. „Wer so redet, ignoriert die komplexen Herausforderungen von Digitalisierung und wirtschaftlichem Wettbewerb, denen sich unsere Unternehmen im Alltag stellen müssen“, sagte Lang. Dazu gehöre die Kenntnis, wie sich realistisch Wohlstand, Wachstum und Fortschritt sichern ließen. „Die Kollektivierung von Unternehmen und andere planwirtschaftliche Methoden würden die Triebkräfte erfolgreichen Wirtschaftens sofort abwürgen.“ Lang sagte aber zugleich: „Soziale Marktwirtschaft ist mehr als nur eine leere Hülle und muss gelebt werden.“ In der sozialen Marktwirtschaft gehörten Freiheit und Verantwortung zusammen. Für seine Aussagen musste Kühnert teils heftige Kritik einstecken, auch aus der eigenen Partei. „Die empörten Reaktionen zeigen doch, wie eng mittlerweile die Grenzen des Vorstellbaren geworden sind“, sagte er nun dem „Spiegel“. „Da haben 25 Jahre neoliberaler Beschallung ganz klar ihre Spuren hinterlassen.“

Kritik gab es auch gestern aus den eigenen Reihen. SPD-Chefin Andrea Nahles hat die Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kevin Kühnert als falsch zurückgewiesen. „Man kann richtige Fragen stellen und trotzdem falsche Antworten geben“, sagte Nahles nach einer Klausur der SPD-Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern. Die Antworten, die Kühnert gebe, finde sie falsch. Zugleich sagte Nahles, dass sie „die Aufregung nicht ganz nachvollziehen kann“. Dass ein Juso-Vorsitzender solche Debatten anstoße, habe es immer wieder gegeben. Das gehöre zum „Traditionsbestand“ der SPD. Als Beitrag zum Europawahlkampf habe sie Kühnerts umstrittenes Interview allerdings nicht verstanden.

Vom Berliner SPD-Landesverband gibt es allerdings etwas Rückendeckung. „Die Aufregung um diese Äußerung von Kevin Kühnert zeigt zumindest, dass er die richtige Frage gestellt hat. Nämlich die Frage nach der Verteilung von Einkommen“, sagte Berlins Innensenator und SPD-Vize Andreas Geisel. „Ich würde eine andere Antwort geben als Kevin Kühnert sie gegeben hat“, fügte Geisel hinzu. Unternehmen der Daseinsvorsorge, Wasser, Stromnetze oder Gas könne er sich gut in staatlicher Hand vorstellen. Andererseits sei er ein Freund von Marktwirtschaft und Wettbewerb. „Ob da BMW das beste Beispiel war, da habe ich Zweifel.“

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat Verständnis für die von Juso-Chef Kevin Kühnert angestoßene Sozialismus-Debatte gezeigt. „Herr Kühnert trifft zu Recht einen Nerv“, sagte Fratzscher dem Portal n-tv.de. Die soziale Polarisierung in Deutschland nehme zu. „Wir haben einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich, das Armutsrisiko steigt trotz Wirtschaftsbooms“, sagte der Ökonom. „Die Ungleichheit nimmt zu, viele Menschen sind unzufrieden, auch wegen der steigenden Mieten in den Großstädten.“ Sehr viel Vermögen befinde sich in der Hand von relativ wenigen. Allerdings seien die meisten Unternehmer verantwortungsvoll. Fratzscher betonte: „Zurück zum Sozialismus kann nicht die richtige Antwort sein.“