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Özil-Debatte Ressentiment und Vorurteil

Die Debatte um Mesut Özil ist vollkommen schiefgelaufen - sie spiegelt ein Hauptproblem bei der Integration.

Von Alois Kösters 23.07.2018, 23:00

Wenn etwas schief läuft bei der Inte­gration von Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund, gibt es meistens zwei Gründe: Ressentiments, ein jederzeit aktivierbares Misstrauen auf Seiten der Deutschen. Und auf der anderen Seite das jederzeit aktivierbare Vorurteil des Migranten, die Deutschen würden ihnen ablehnend oder gar rassistisch gegenüberstehen. Das führt auf beiden Seiten dazu, dass selbst einfache Alltagserfahrungen unmittelbar im Kontext mit der Herkunft gesehen werden. Der unfreundliche Kellner? Typisch Ausländer. Schlechte Prüfungsnoten? Lange Wartezeiten beim Arzt? Polizeikontrolle? Ganz klar: Ausländerdiskriminierung.

Ungewöhnlich ist, dass diese sehr unreflektierten Reaktionsschemata in den vergangenen Wochen auf höchster Ebene zu besichtigen waren. Der von teuren Beratern umgebene Millionär Mesut Özil, der Deutschland viel zu verdanken hat, beschäftigt sich nicht mit seinem Date beim Diktator und dessen Wirkung. Und er verliert kein Wort über seine schlechten Leistungen als Top-Fußballer. Für ihn sind alle, die ihn kritisieren, Rassisten. Das ganze Statement ist unterstes Niveau.

Aber noch erstaunlicher ist, dass die obersten Führungskräfte von DFB und Nationalmannschaft genau das Ressentiment der Deutschen bedienen, indem sie nur Mesut Özil namentlich für das Scheitern der deutschen Mannschaft verantwortlich machen. Auch das ist unterstes Niveau. Damit ist vorerst auch das Projekt „Die Mannschaft“ gescheitert.

Die DFB-Spitze hat es offensichtlich nie ernstgenommen. Einerseits hätte der DFB schon in der unseligen Debatte um das Mitsingen der Nationalhymne deutlichere Worte finden können. Da wiederum hätten Führung und Spielerkollegen Özil, Sami Khedira und Jérôme Boateng deutlicher gegen fremdenfeindliche Anwürfe verteidigen müssen. Es kann viele Gründe geben, die Hymne nicht mit Inbrunst zu singen, so lange man sie respektiert.

Auch dem fremdenfeindlichen Shitstorm, dem Özil nach der WM ausgesetzt war, hat sich niemand kraftvoll entgegengestellt. Und wo war eigentlich „Die Mannschaft“? Die schwedischen Kollegen hatten ihnen doch schon gezeigt, wie man Kameraden schützt. Es hätte geholfen, wenn die unangemessene Einzelkritik an dem Spieler Özil relativiert worden wäre. Özil wurde in eine Isolation getrieben, die zu seinem Rundumschlag führte.

Auf der anderen Seite hat der DFB die eigenen Integrationsprojekte, mit denen er sich auch in der aktuellen Diskussion brüstet, nicht ernstgenommen. Integration kann nur gelingen, wenn beide Seiten sie wollen. Özil wollte sie nicht.

Er hatte sich mit einem Bekenntnis zu einem Diktator eindeutig gegen unsere Grundwerte gestellt. Und damit hat er auch die Integrationsprojekte des DFB ad absurdum geführt, bei denen junge Migranten auch für Demokratie und Toleranz begeistert werden sollen.

Während Ilkay Gündogan erklärte, zu hundert Prozent zu den Werten zu stehen, die in Deutschland gelebt werden, schwieg Özil. Aber ohne ein Bekenntnis zum Arbeitgeber hätte Reinhard Grindel seinen Nationalspieler nicht auflaufen lassen dürfen. Welche Grundwerte soll „Die Mannschaft“ denn verkörpern?

Die DFB-Spitze war jedenfalls unfähig, sie in jeder Situation glaubwürdig und konsequent zu vertreten.

Und vielleicht ist auch das ein allgemeines deutsches Problem.

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