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Gerichtshof-Urteil Kundin will nicht Kunde sein

Wird eine Sparkassen-Kundin benachteiligt, wenn sie in Formularen nur als „Kunde“ vorkommt? Darüber entscheidet jetzt der BGH.

11.03.2018, 23:01

Karlsruhe (dpa) l Wenn Marlies Krämer an Schillers Ode „An die Freude“ denkt, kommen ihr die Tränen: „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“ – Was für ein Schwachsinn. Das kann ja gar nicht sein.“ Seit Jahrzehnten kämpft sie dafür, dass Frauen sich in der Sprache wiederfinden. Nun hat die 80-Jährige aus dem saarländischen Sulzbach gegen ihre Sparkasse geklagt. Sie pocht darauf, auch in unpersönlichen Formularen als „Kundin“ angesprochen zu werden. Am kommenden Dienstag entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) darüber (VI ZR 143/17).

Was den einen überflüssig erscheint, ist für die anderen eine Grundsatz-Frage. Nach Artikel 3 des Grundgesetzes sind Mann und Frau gleichberechtigt. Der Staat muss gegen Nachteile angehen. Doch welche Nachteile hat Marlies Krämer, wenn in Vordrucken von „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ die Rede ist?

Keine, findet der Deutsche Sparkassen- und Giroverband. Im Gespräch oder im persönlichen Brief wird die Kundin ja als Frau angesprochen. Schwierige Vertragstexte wolle man aber nicht noch komplizierter machen.

„Deswegen wird bei diesen Formularen eine einheitliche Form der Ansprache gewählt“, erläutert Verbandssprecher Stefan Marotzke. Die ist der Einfachheit halber männlich. Schließlich wird das schon „seit 2000 Jahren“ so gehandhabt, wie das Landgericht Saarbrücken in seinem vorinstanzlichen Urteil betont. Es hat die Klage abgewiesen.

Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, verschlägt es bei der Argumentation fast die Sprache. Seit Jahrzehnten setzten sich Linguistinnen, Frauenverbände und Betroffene dafür ein, dass sich Frauen im Rechts- und Geschäftsverkehr sprachlich wiederfinden. „In Sachen geschlechtergerechter Sprache bleibt viel zu tun“, so die Juraprofessorin. Die Debatte um das „Vaterland“ in der deutschen Nationalhymne begrüßt sie deshalb genauso wie den Formular-Streit vor dem BGH.

Das findet auch Gender-Expertin Katrin Späte von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: „Sprache bestimmt unsere Wahrnehmung der Welt“, sagt die Soziologin. Mit Marlies Krämer klagt nicht irgendeine Seniorin. Sie hat schon ganz andere Geschlechter-Schlachten für sich entschieden.

So verzichtete sie in den 90er Jahren so lange auf einen Pass, bis sie als „Inhaberin“ unterschreiben konnte. Später sammelte sie erfolgreich Unterschriften für weibliche Wetter-Hochs; weil es ihr ein Dorn im Auge war, dass Frauennamen immer nur für Tiefdruckgebiete hatten herhalten mussten.

Wie auch immer der BGH entscheidet: Unterliegt die Seniorin, will sie Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreichen und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. „Ich will es jetzt wissen.“

Texte alter Klassiker wie Schiller und Goethe müssten ihretwegen selbst im Erfolgsfall nicht umgeschrieben werden: „Die können bleiben - als Beweis dafür, was Männer früher so verzapft haben.“