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Urteil Indien wartet auf Vergewaltigerhinrichtung

Sieben Jahre nach einer tödlichen Gruppenvergewaltigung in einem Bus in Indien sollen die Täter am Strang sterben.

27.01.2020, 08:24

Neu Delhi (dpa) l Vor der Hinrichtung sollen die Seile mit zerdrückten Bananen eingerieben werden. Das soll sie glatt machen und den Tod beschleunigen. Und die Stärke der Seile wurde mit Sandsäcken getestet. Von solch grausigen Details berichten gerade viele Medien in Indien. Es geht um die Vorbereitung des Todestags von vier Männern am 1. Februar. Sie haben vor mehr als sieben Jahren eine 23 Jahre alte Studentin in einem fahrenden Bus so brutal vergewaltigt, dass sie zwei Wochen danach starb. Der Fall machte weltweit Schlagzeilen und brannte sich in Indiens kollektives Gedächtnis ein. Er hat gezeigt, dass das Land ein Vergewaltigungsproblem hat.

Nach der Tat 2012 forderten Tausende auf den Straßen die sofortige Hinrichtung der Männer. Das Urteil stand bald fest, aber die vier gingen jahrelang juristisch dagegen vor. Ein weiterer Täter war damals minderjährig und inzwischen wieder auf freiem Fuß und ein letzter wurde tot in seiner Gefängniszelle gefunden.

Doch am 1. Februar sollen nun die vier durch den Strang sterben – oder etwas später, falls sie weitere Begnadigungsversuche unternehmen. Und ihr Henker wird als Held gefeiert, gibt Reportern Interviews. Der indischen Presseagentur ANI sagte er, dass die Hinrichtung eine große Erleichterung fürs Land sein werde und spiegelt damit wider, was viele auf der Straße denken. Mit der Tötung schafft man irgendwie ein Problem aus der Welt, sie soll künftige Vergewaltiger abschrecken und das Leben für Frauen sicherer machen.

Die Wut der Leute nach der Gruppenvergewaltigung damals führte zu härteren Gesetzen gegen Vergewaltiger. Und Premierminister Narendra Modi kündigte null Toleranz gegen Sexualstraftäter an. Trotzdem, so klagen indische Aktivistinnen, habe sich das Leben für Frauen seither nicht verändert. Neue offizielle Zahlen zeigen, dass im Land alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt wird. Dazu kommen weitere Opfer, die nie zur Polizei gehen. Auch heute noch schweigen viele Inderinnen lieber darüber.

Das Problem liege in der patriarchalen Gesellschaft, sagt Frauenrechtsaktivistin Ranjana Kumari. Viele Frauen lernten schon früh, dass sie weniger wert seien als ihre Brüder. Jedes Jahr werden Tausende weibliche Föten abgetrieben, Mädchen besuchen Schulen seltener als Jungen und Töchter sind für Familien oft eine finanzielle Belastung – häufig müssen sie bei ihrer Heirat eine hohe Mitgift zahlen, obwohl dies inzwischen offiziell verboten ist.

Und dass inzwischen mehr indische Frauen studieren und arbeiten, führe dazu, dass sich etliche Männer, die es in der Gesellschaft nicht so weit gebracht haben, bedroht fühlten – und auch deshalb vergewaltigten, sagt Kumari. Auch die Gruppenvergewaltiger, die jetzt hingerichtet werden sollen, lebten in einem Slum im Süden der indischen Hauptstadt Neu Delhi.

Aktivistinnen werfen der Polizei und dem Justizsystem vor, Opfer sexueller Gewalt zu wenig ernst zu nehmen – besonders wenn sie einer tiefen Kaste angehörten. Viele Fälle bleiben jahrelang liegen und manche Verdächtige kommen gar auf Kaution frei. So konnten erst kürzlich Männer ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer auf dem Weg zum Gericht anzünden.

Aber immer wieder, als es in den vergangenen Jahren besonders schlimme Fälle sexueller Gewalt in Indien gab, haben Leute demonstriert und gefordert, dass die Täter hingerichtet werden sollen. Dann stieg jeweils der Druck auf die Behörden. Nach Protesten vor einigen Wochen erst haben Polizisten mutmaßliche Vergewaltiger und Mörder bei einer Tatortbegehung erschossen und dafür viel Applaus erhalten – etwa in den sozialen Netzwerken. Der Vater des Opfers dankte damals den Polizisten. Einige Politiker und Aktivisten warnten jedoch vor gefährlicher Selbstjustiz.

Dass nun die Täter der Vergewaltigung von 2012 tatsächlich hingerichtet werden sollen, ist trotzdem speziell. Die Todesstrafe ist in Indien selten – zuletzt wurde 2015 ein Mann hingerichtet, der 1993 für einen der schlimmsten Terroranschläge der indischen Geschichte mit mehr als 200 Toten und Hunderten Verletzten verantwortlich war. Mit der Hinrichtung der vier Gruppenvergewaltiger will Indien exemplarisch zeigen, etwas für mehr Sicherheit der Frauen zu tun. Das glauben auch die Eltern des Opfers, dem indische Medien den Namen "Nirbhaya" gaben ("Furchtlos" auf Hindi). Aber die Werte einer Gesellschaft ändern sich nur langsam.