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Leuna Etabliert und auf Wachstumskurs

Der Chemiestandort Leuna feiert 100. Geburtstag.

29.02.2016, 23:01

Leuna l März 1916: Seit gut 20 Monaten steht das kaiserliche Deutschland im Krieg. Doch die Strategien des Generalstabes sind zerronnen. Zudem haben die Planer den Munitionsbedarf gewaltig unterschätzt: Durch die Blockade der Entente ist Deutschland vom Import des Chilesalpeters, das zur Produktion von Sprengstoff benötigt wird, abgeschnitten. Unter großen Anstrengungen ist es Chemikern von BASF bereits gelungen, aus Ammoniak Salpeter und daraus Salpetersäure für die Munitionsproduktion bereitzustellen. Während einer Besprechung im Kriegsministerium erklärt sich Carl Bosch, Vorstandsmitglied der BASF, bereit, in Mitteldeutschland eine Fabrik zur Herstellung von Ammoniak zu bauen. Ende April wird der Vertrag unterzeichnet.

Der Standort Leuna ist optimal: Ausreichend große Flächen, günstige Lage an einer der zentralen Bahnstrecken, zudem weit entfernt von den Reichsgrenzen und so vor direkten militärischen Angriffen geschützt. Am 1. Mai beginnt der Bau und mit ihm die Geschichte der Leuna-Werke.

An dem Standort südlich von Halle im heutigen Saalekreis begann 1926 die Produktion synthetischen Benzins aus Kohle. Das sogenannte Leuna-Benzin sollte in der Zeit des Nationalsozialismus Adolf Hitlers Kriegsmaschinerie unabhängiger vom teuren Erdöl als Rohstoff machen. Im Zweiten Weltkrieg wurde Leuna zerstört, danach wieder aufgebaut.

Januar 1954: Als größte Produktionsstätte der chemischen Industrie in Ostdeutschland stehen die Leuna-Werke im Blickpunkt der DDR-Staatsführung. Ab 1. Januar nennt sich der Chemie-Standort: „Volkseigener Betrieb Leuna-Werke Walter Ulbricht“. Im Werk sind rund 30 000 Arbeiter tätig, die Produkte werden in ungefähr 40 Länder exportiert. Die Leuna-Werke werden zu einem wichtigen Faktor der Volkswirtschaft der DDR.

November 1989: Die deutsche und internationale Geschichte nimmt erneut Einfluss auf die Leuna-Werke. Der Übergang zur Marktwirtschaft führt zu erheblichen Verlusten. Mit zwei Milliarden D-Mark Jahresumsatz verbucht Leuna 500 bis 600 Millionen D-Mark Verlust. Für viele Produkte bricht der Markt weg. Die Technologie der Unternehmen ist veraltet und belastet die Umwelt.

Nach der Wende zerlegt die Treuhandanstalt das Kombinat, privatisiert oder schließt einzelne Betriebe. Von 28 000 Beschäftigten bleiben etwa 9000 übrig. Wolfgang Popp, heute 63 Jahre alt, erlebt stürmische Tage. „Die Massenentlassungen haben sehr geschmerzt“, sagt der damalige Leiter der Rechtsabteilung der Leuna-Werke.

Ein Meilenstein in der Geschichte von Leuna war am 25. Mai 1994 der symbolische Baustart für die neue damals fünf Milliarden D-Mark teure Raffinerie durch den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der auf einem Feld in Spergau zur Schippe griff. Das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt galt damals als das größte der Nachkriegszeit.

Popp, seit 1978 am Standort tätig, sieht Anfang der 1990er Jahre, wie der Industriegaseproduzent Linde auf dem Gelände neu baut, er begleitet die Ansiedlung des belgischen Polyamid-Herstellers Domo und den Neubau der Total-Raffinerie, das Herzstück des Standortes, die aus russischem Rohöl vor allem Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sowie Heizöl herstellt. Rund zwei Milliarden D-Mark Subventionen wurden vom Steuerzahler beigesteuert. Auch an deutsche Politiker sollen dabei Schmiergelder gezahlt worden sein. Das ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Insgesamt investierte die Chemieindustrie in Leuna mehr als neun Milliarden D-Mark in den Standort, der heute als Vorreiter der Chemieparks geworden ist, von denen es bundesweit von Ludwigshafen bis Bitterfeld knapp 40 gibt.

März 2016: Christof Günther sitzt an seinem Schreibtisch im Verwaltungsgebäude der Infraleuna. Die Infrastrukturgesellschaft ist 1996 gegründet worden und ist als Dienstleister für Energieversorgung und Logistik im Chemiepark zuständig – ein Betreibermodell, das mehrfach von anderen Standorten kopiert wurde. „Dieses Konzept ist prägend geworden für die ganze Chemiebranche“, sagt Günther, der seit 2012 Geschäftsführer von Infraleuna ist.

Günther verwaltet Leuna auf dem Höhepunkt der 100-jährigen Geschichte. Im Chemiepark sind rund 9000 Mitarbeiter tätig. Rund zehn Milliarden Euro Umsatz werden jährlich erzielt. Moderne Anlagen prägen den Standort, Unternehmen stellen Produkte her, die weltweit gefragt sind.

„In Leuna werden auch heute wieder die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit eines hochmodernen Industriezweigs sichtbar“, sagt Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Die Geschichte von Leuna nach der Wiedervereinigung sei für das Bundesland Sachsen-Anhalt ein Glücksfall.