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Landwirtschaft Streit um Ferkelkastration wird schärfer

Was Tierschützer begrüßen, stellt die Landwirte vor Probleme, denn die Ansprüche in Deutschland sind höher als im benachbarten Ausland.

27.09.2018, 23:01

Bad Sassendorf/Kopenhagen (dpa) l Für die einen ist es ein Ende der Ferkelqual, die anderen fürchten den Untergang ihres Berufes: Vom 1. Januar 2019 an dürfen in Deutschland keine Ferkel mehr ohne Betäubung kastriert werden. Verboten ist es eigentlich schon seit der Änderung des Tierschutzgesetzes 2013, aber der Gesetzgeber ließ die jahrhundertealte Praxis, männliche Ferkel mit einem kleinen Schnitt aus Bauernhand zu kastrieren, noch übergangsweise zu.

Eine Initiative des Landes Bayern, die Ausnahmegenehmigung noch zu verlängern, hatte der Bundesrat am Freitag abgelehnt. Ob die Agrarminister bei ihrem Treffen im westfälischen Bad Sassendorf das Ruder doch umwerfen, ist eher unwahrscheinlich – die Schweinebauern hoffen trotzdem drauf. Aus Sicht der Sauenhalter ist Bad Sassendorf so etwas wie die letzte Ausfahrt vor dem wirtschaftlichen Aus.

Um den von vielen als eklig empfundenen Ebergeruch zu vermeiden, der bei etwa 5 Prozent der Tiere vorkommt, werden männliche Mastschweine kurz nach der Geburt vom Bauern kastriert.

Früher dachte man, das ist ein kleiner Schnitt, da kommt das Tier schnell drüber hinweg. Heute verbietet das Gesetz, den Tieren vermeidbare Schmerzen zuzufügen. Warum also nicht einfach die konventionell gehaltenen Schweine ebenso betäuben wie die in der Biohaltung?

Die Antwort der konventionellen Bauern: Die Kosten sind hoch und es gibt nicht genügend Tierärzte für die vielen konventionellen Betriebe. Seit einigen Jahren werden zwei Alternativen diskutiert und ausprobiert: Einmal das Mästen von Ebern – die "Stinker" werden dann im Schlachthof von speziell geschulten Mitarbeitern aussortiert.

Und es gibt die Immunokastration, eine Art Impfung der Tiere gegen den Ebergeruch. Bei der Beurteilung der drei Alternativen gibt es auch innerhalb der Tierschutzszene und der Tierärzteschaft Unterschiede, aber im Großen und Ganzen sehen Tierschützer diese Methoden als Lösung.

In Dänemark und Schweden gibt es einen anderen Weg. Dort betäuben die Landwirte ihre Ferkel lokal und kastrieren sie, ohne einen Arzt heranzuziehen. Tierschützer feiern es als Sieg, dass die Ferkel überhaupt betäubt werden müssen. Dass die Bauern das selbst tun erledigen, wird nicht infrage gestellt. Es wurde sogar von Dyrenes Beskyttelse, Dänemarks größter und ältester Tierschutzorganisation, selbst ins Spiel gebracht.

Der Verband der dänischen Schweineproduzenten hat sich inzwischen gut mit der Regelung arrangiert. Die Schweinemäster haben sich selbst auferlegt, dass die Ferkel lokal betäubt werden müssen. Gesetzlich festgelegt ist das nicht, aber vom 1. Januar 2019 an bekommt man ohne Betäubung nicht mehr das Label "Danish". Bauern, die ihre Schweine selbst lokal betäuben wollen, dürfen das seit Anfang 2018, man muss vorher einen Kurs mit theoretischem und praktischem Teil belegen.

Durch die lokale Betäubung gehe die Heilung schneller und es gebe weniger Komplikationen, erklärte der Verband. Die Kastration durch eine Impfung zu ersetzen, sei prinzipiell möglich, setze aber Akzeptanz der Verbraucher voraus. Und das sei fragwürdig. Verwiesen wird auch auf eine Untersuchung an 55 Tieren, nach der eine Vollnarkose wegen der schwierigen Dosierung nicht geeignet sei.

Die Schweinezucht ist für Dänemark ein extrem wichtiger Wirtschaftszweig. 2016 wurde laut Landwirtschaftsministerium Fleisch für 30 Milliarden Kronen (rund 4 Milliarden Euro) exportiert.

In Schweden müssen die Ferkel seit 2016 vor der Kastration lokal betäubt werden. Auch hier machen das die Landwirte selbst nach einer entsprechenden eintägigen Ausbildung. In Norwegen ist die Stimmung etwas anders. Hier gilt die Betäubungspflicht sogar schon seit Herbst 2002, betäubt wird durch Tierärzte.

Tierschützer und Tierärzte fordern schon seit Jahren, ganz auf chirurgische Kastration zu verzichten. Die Betäubungspflicht könne nur ein erster Schritt sein. Die Tierschutzorganisation Dyrevern propagiert die Immunokastration.

Doch in Deutschland wird der dänische oder "vierte Weg" von Tierschützern und Tierärzten vehement abgelehnt. So sieht die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz in der Lokalanästhesie eine hochgradig schmerzhafte Behandlung, die die Tiere unnötig stresse. Auch aus Sicht der Bundestierärztekammer erfüllt die Methode nicht die Voraussetzungen des deutschen Tierschutzgesetzes, ebenso äußert sich der Deutsche Tierschutzbund.

Die Ablehnung der dänischen Lösung von Tierärzten und Tierschützern stößt wiederum auf scharfe Kritik der betroffenen Landwirte und der Fleischindustrie. Wie kann es sein, dass ein von Tierschützern in einem Land selbst vorgeschlagenes Verfahren von Tierschützern im Nachbarland abgelehnt wird?

"Eine Methode, die in Dänemark oder den Niederlanden die Akzeptanz der Verbraucher und der Politik hat, sollte diese Akzeptanz auch in Deutschland haben", sagt der Sprecher des deutschen Schlachthof-Marktführers Tönnies, André Vielstädte. Die deutschen Landwirte drohten im Vergleich mit ihren Kollegen aus den Nachbarländern ins wirtschaftliche Hintertreffen zu geraten.

Heinrich Dierkes, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), befürchtet ein massenhaftes Aufgeben der Sauenhalter und Ferkelerzeuger in Deutschland, sollte es nicht doch noch eine Fristverlängerung bei der Ferkelkastration geben.

Alle Alternativen zur betäubungslosen Kastration seien noch nicht ausgereift und bedürften weiterer Forschung, argumentiert er. Teurer als der "vierte Weg" seien sie obendrein, die Mehrkosten ließen sich auf dem derzeitigen Markt nicht hereinholen. "Was passiert am 1. Januar: Wir stigmatisieren die deutschen Tierhalter und nehmen Ferkel von dänischen Landwirten, die genau das tun, was wir nicht dürfen – das kannst du keinem Bauern erklären", sagt er.