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Langzeitarbeitslos Experte fordert "sozialen Arbeitsmarkt"

Länger als ein Jahr ohne Job? Arbeitgeber winken ab, stellen Langzeitarbeitslose kaum ein. Was lässt sich dagegen tun?

17.09.2016, 08:50

Halle (dpa) l Arbeitsmarktexperten schlagen Alarm: Für Menschen, die länger arbeitslos sind, müssten neue Möglichkeiten der Beschäftigung geschaffen werden. Dazu gehören diejenigen, die aufgrund ihres Alters, ihrer Gesundheit und Qualifikation bisher keine Chance am Arbeitsmarkt hatten. So sei es trotz umfangreicher Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagenturen und Jobcenter und auch mit Hilfe staatlicher Programme im Land nicht gelungen, den Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit spürbar zu senken, sagte der Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Kay Senius.

Er fordert deshalb einen neuen, sogenannten sozialen Arbeitsmarkt für die Langzeitarbeitslosen, die auch mit verschiedenen Weiterbildungsmaßnahmen und langfristiger Unterstützung nicht in stabile Beschäftigungsverhältnisse am Arbeitsmarkt integriert werden können. In Sachsen-Anhalt sind rund 40 Prozent aller Arbeitslosen mehr als ein Jahr ohne Job.

"Wir beißen uns am Arbeitsmarkt die Zähne fest, wenn wir für diese Menschen keine reale Teilhabe am Berufsleben ermöglichen", warnte Senius. So sind 40 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Sachsen-Anhalt bereits zwei bis fünf Jahre ohne Job, 13 Prozent noch länger. Laut Senius fand rund 12 Prozent der Langzeitarbeitslosen, die in Sachsen-Anhalt ihre Arbeitslosigkeit im August beendeten, eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt. Die anderen begannen eine Maßnahme, Weiterbildung oder meldeten sich wegen Arbeitsunfähigkeit ab.

Generell hätten Menschen, bei denen Verschiedenes zusammenkomme, wie fortgeschrittenes Alter, gesundheitliche Einschränkungen und geringe Qualifikation, kaum Chancen auf einen Job bei guter Bezahlung. Über einen "sozialen Arbeitsmarkt" könnten diese Langzeitarbeitslose zum Beispiel gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten in Kommunen oder Helfertätigkeiten in Firmen übernehmen, so etwa bei der Betreuung älterer Menschen. "Das Ganze muss aber stabil und dauerhaft ausfinanziert sein", sagte Senius. Eine Möglichkeit sieht er darin, Hartz-IV-Mittel für die Finanzierung eines sozialen Arbeitsmarktes zu verwenden.

"Wir zahlen ALG II, also könnten wir den Menschen auch die öffentliche soziale Beschäftigung finanzieren", sagte Senius. Das Programm "Soziale Teilhabe" der Bundesregierung sei ein Schritt in die richtige Richtung, solche Programme sollten dauerhaften Charakter bekommen. In Sachsen-Anhalt waren im August 105.647 Menschen arbeitslos, davon bezogen 81.300 Männer und Frauen Hartz IV.

Die Erfahrungen des einstigen bundesweiten Pilotprojekts "Bürgerarbeit" hätten in Sachsen-Anhalt gezeigt, dass die Nachfrage von Langzeitarbeitslosen nach Arbeiten im kommunalen und gemeinnützigen Bereich wie in Vereinen groß war. Das galt regional vor allem in strukturschwachen Regionen wie dem Landkreis Mansfeld-Südharz.

Laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wollen 39 Prozent der Arbeitgeber in Deutschland keinen Bewerber einstellen, der länger als ein Jahr arbeitslos ist, 16 Prozent der befragten Arbeitgeber gar keinen Arbeitslosen. Hinzu kommt laut Senius, dass mehr als ein Viertel der Langzeitarbeitslosen in Sachsen-Anhalt über 55 Jahre alt ist und sie häufig gesundheitliche oder mobile Einschränkungen sowie Defizite in der Bildung oder auch beim Berufsabschluss haben.

Fast ein Drittel der Langzeitarbeitslosen (29 Prozent) habe keine abgeschlossene Ausbildung. Auf Dauer könne es sich die Gesellschaft nicht leisten, diesen Menschen die Arbeitslosigkeit zu finanzieren statt ihnen eine sinngebende Arbeit über neue Beschäftigungsformen zu ermöglichen, sagte er. "Die Mehrzahl der Menschen will arbeiten und sich nicht in die Arbeitslosigkeit verdrücken", sagte Senius.