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MotorenfirmaVEM kämpft sich durch Krisen

Erst die Finanzkrise, dann der Ukraine-Krieg - VEM Motors in Wernigerode musste Durststrecken überstehen. Jetzt soll es vorwärts gehen.

30.01.2017, 23:01

Wernigerode l Wenn Rüdiger Strümpel durch die Werkshalle in Wernigerode geht, wird er von jedem freundlich gegrüßt. Der 59-jährige Geschäftsführer ist ein Urgestein bei VEM Motors, 1974 hat er als Lehrling im Elektromotorenwerk angefangen und hat dann, wie er sagt, eine „Schornstein-Karriere“ gemacht – bis an die Spitze des Betriebs.

VEM baut Elektromotoren, die in Walzwerken, Chemieanlagen, in Lüftungssystemen von Straßentunneln und auf Kreuzfahrtschiffen zum Einsatz kommen. Stolz ist Strümpel etwa darauf, dass VEM in den vergangenen Jahren Antriebe für AIDA-Schiffe liefern durfte. Auf den Edel-Kreuzern wurden sie in Pumpensystemen, Feuerlösch- und Klimaanlagen verbaut.

In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen, das in Wernigerode 430 Mitarbeiter beschäftigt, allerdings eine enorme Durststrecke durchstehen müssen. „Bis heute haben wir uns von der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 noch nicht richtig erholt“, erzählt Strümpel. „Über Nacht“ seien damals Projektaufträge weggebrochen. „Walzwerke wurden nicht mehr gebaut, neue Chemieanlagen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt“, so der VEM-Geschäftsführer.

Als wäre dies nicht genug, sah sich das Unternehmen seit 2012 mit sinkenden Aufträgen aus Osteuropa konfrontiert – vor allem wegen des Krieges in der Ukraine. „Unser Russlandgeschäft ist eingebrochen, auch mit Maschinenbauern in der Ostukraine können wir seither nicht mehr zusammenarbeiten“, erzählt Strümpel. Die Folge: Zwischen 2008 und 2016 hat sich der Jahresumsatz von VEM Motors fast halbiert, er ist von 120 auf 64 Millionen Euro zurückgegangen.

Auf die dramatische Entwicklung musste VEM auch mit Blick aufs Personal reagieren. „Zwischen 2010 und 2016 haben wir in Wernigerode rund 100 Stellen sozialverträglich abgebaut“, berichtet Strümpel. Überwiegend sei es gelungen, Jobs abzubauen, die ohnehin durch altersbedingte Personalabgänge frei wurden. In manchen Fällen seien Abfindungen gezahlt worden.

Umbrüche und Krisen sind allerdings weder für Strümpel, noch für das Unternehmen etwas Neues, manch unruhige Zeiten galt es bereits zu meistern. An diesem Dienstag wird der Betrieb 70 Jahre alt, auch wenn er zu DDR-Zeiten Teil eines großen Kombinats war. Mit der Wiedervereinigung erlebte das Elektromotorenwerk, das seinerzeit 3000 Menschen beschäftigte, schon einmal einen großen Umbruch. Zwischen 1993 und 1995 führte die Treuhand eine harte Sanierung durch, viele Jobs gingen verloren.

Der Betrieb hatte aber eine realistische Chance, zu überleben, da Elektromotoren bereits vor der Wende in Westdeutschland als DDR-Exportgüter verkauft wurden. „VEM war bekannt, das machte den Neustart leichter“, erzählt Strümpel rückblickend. Dennoch habe es Probleme gegeben, die überwunden werden mussten.

Zu DDR-Zeiten wurden vor allem Normmotoren gefertigt. Diese waren überall einsetzbar, weil sie nach vorgegebenen Standards konstruiert wurden. Der Nachteil: Nach der Wende konnte auch jeder andere Wettbewerber solche Motoren fertigen, VEM musste schnell lernen, speziellere Antriebe zu entwickeln und auf dem Markt zu verkaufen. Hinzu kam, dass VEM im Westen zunächst das Image eines Billig-Anbieters hatte und viele Kunden Zweifel hegten, ob der Betrieb überhaupt langfristig am Markt eine Chance haben würde.

Das änderte sich erst 1997 grundlegend. Die finanzkräftige Merkle-Gruppe übernahm damals das Werk in Wernigerode und weitere Betriebe, die einst zum Kombinat gehörten, und schmiedete daraus die VEM-Gruppe, die heute an vier Standorten insgesamt 1760 Mitarbeiter beschäftigt. Die damalige Übernahme ist aus Sicht von Rüdiger Strümpel „die Initialzündung“ für die dann wieder erfolgreiche Entwicklung gewesen.

Strümpel ist zuversichtlich, dass sein Unternehmen auch die gegenwärtige Durststrecke hinter sich lassen wird. Dabei helfen soll ein neues Betriebskonzept. Künftig wird VEM die Elektromotoren nicht mehr in Serie fertigen, sondern auf Einzelmontage umstellen. „Unsere Kunden bestellen im Schnitt nur noch 1,3 Motoren, da macht eine Einzelfertigung mehr Sinn“, erklärt Strümpel.

VEM werde sich zudem von einem Systemanbieter weiterentwickeln. Künftig baut das Unternehmen dann nicht mehr nur die Motoren, es wird auch die dazugehörigen Getriebe gleich für den Kunden montieren. „Auf die Weise bieten wir spezifische, maßgeschneiderte Lösungen an“, so Strümpel. Begriffe wie „Industrie 4.0“ mag der VEM-Geschäftsführer zwar nicht, aber vernetztes, digitales Arbeiten wird es künftig auch in seinem Betrieb verstärkt geben, insbesondere im Bereich Logistik. „Wir wollen Aufträge und Teile künftig digital erfassen und managen.“

Viel Arbeit wartet daher im Jubiläumsjahr auf Strümpel und seine Belegschaft. Wie schnell VEM seine Durststrecke hinter sich lässt, wird auch von der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Bereits heute exportiert VEM rund 40 Prozent seiner Motoren ins Ausland. Strümpel hofft vor allem, dass sich die Beziehungen zu Russland bald wieder normalisieren, die Sanktionen fallen. „Wir haben ein Vertriebsbüro in Moskau, so dass wir dort relativ schnell wieder aktiv werden könnten.“

Potenzial hätten aus seiner Sicht auch Geschäfte in China und im Iran. In Deutschland rechnet der Geschäftsführer allerdings weiter mit einem „knüppelharten Wettbewerb“. „Unsere Produkte sind qualitativ hochwertig und im Premiumsegment angesiedelt“, erklärt er. „Deshalb greifen die Kunden vor allem dann auf uns zurück, wenn sie sichergehen wollen, dass die Motoren auch nach Jahren noch einwandfrei funktionieren.“ Im Sommer will Rüdiger Strümpel anlässlich des 70-jährigen Jubiläums ein Fest veranstalten. Vielleicht kann er dann seinen Mitarbeitern schon wieder von größeren Erfolgen berichten.