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Friseur-Bruderschaft Helfer mit Scherenhänden in Magdeburg

Gedränge am Hauptbahnhof. Die Barber Angels machen alle drei Monate in Magdeburg Halt und helfen Bedürftigen. Doch auch sie brauchen Hilfe.

Von Martin Rieß 18.08.2019, 19:03

Magdeburg l Ein Friseursalon der besonderen Art hatte am 18. August 2019 Nachmittag am Hauptbahnhof in Magdeburg geöffnet. Mit ein paar Zelten hatten die Barber Angels in Magdeburg rund 150 Bedürftige eingeladen, sich frisieren zu lassen. Vier Mal im Jahr gibt es die entsprechenden Friseurtermine in Magdeburg – zwei Mal wie gestern unter freiem Himmel, zwei Mal in geschlossenen Räumen. Die Menschen, die das Angebot nutzen, haben von karitativen Einrichtungen Gutscheine für die Veranstaltung bekommen.

Neben 19 Friseuren haben am 19. August 2019 seitens der Barber Angels zwölf Helfer – sogenannte Orga-Angels – mit angepackt. Daneben auch etliche weitere Unterstützer, ebenfalls im ehrenamtlichen Einsatz: Das Technische Hilfswerk hatte Unterstützer und Material gestellt, mit dabei waren die Vereine Tieranker aus Magdeburg und Greenbike aus Oschersleben sowie die Bahnhofsmission. Unterstützt wurden die Akteure mit Lebensmitteln von Ronny Sand, der drei Schäfer’s-Backgeschäfte in Magdeburg betreibt, vom Elbelandhaus, vom Café Domschatz und vom Bralo House. Und organisatorisch hilft auch Matthias Malischewski von Easymedia mit.

Treibende Kräfte im Raum Magdeburg sind Cathrin und Niccoló Gruhn, die aus Schermen kommen und auch in Magdeburg einen Salon führen. Sie sagt: „Unser Ziel ist es, den bedürftigen Menschen ein wenig mehr Würde zu verleihen. Es geht auch darum, dass sie Selbstbewusstsein gewinnen, um wieder an der Gesellschaft teilhaben zu können.“

Er sagt: „Das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit sind besonders wichtig, wenn es darum geht, weitere Hilfsangebote zu nutzen oder beispielsweise sich auch bei einem potenziellen Arbeitgeber vorzustellen.“ Und nicht zuletzt geht es in vielen Fällen auch darum, die Menschen ein Stück aus der Einsamkeit herauszuholen, die oft mit der Armut einhergeht.

Die Initiatoren der Magdeburger Barber-Angels-Truppe, die seit anderthalb Jahren in Magdeburg aktiv ist, waren übrigens unter den von der Volksstimme und ihren Lesern geehrten Magdeburgern des Jahres 2018. Bereits damals hatte Friseurmeisterin Cathrin Gruhn über die Motivation, in der Barber Angels Brotherhood mit anzupacken, gesagt: „Wir möchten sie für ein paar Stunden aus ihrem harten Alltag herausholen und zeigen, dass sie nicht alleine oder gar vergessen sind.“

Doch die Friseure der Barber Angels brauchen selbst Hilfe. Niccoló Gruhn sagt: „Wir sind hier in der Region einfach zu wenige.“ Bislang fahren die Barber Angels oft weite Strecken, um an Aktionen teilzunehmen.

In Magdeburg beispielsweise waren gestern auch Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, aus Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen mit dabei. Und auch unter den Helfern war ein Mitstreiter, der eine 300-Kilometer-Reise von der bayerisch-thüringischen Grenze nach Magdeburg auf sich genommen hat.

Klar, auch die Magdeburger helfen an anderen Stellen mit: Sie waren beispielsweise beim Frisieren von bedürftigen Menschen in Hannover und Paderborn dabei und unterstützen die Berliner beim Aufbau der entsprechenden Strukturen. Cathrin Gruhn erläutert aber: „Wer eine solche ehrenamtliche Arbeit neben unserem oft anstrengenden Beruf leistet, der möchte sicher nicht immer so weite Strecken fahren müssen.“ Und ihr Mann ergänzt: „Wer so etwas zu oft macht, der kriecht irgendwann auf dem Zahnfleisch.“ Dabei investieren die Barber Angels nicht allein eigene Freizeit und ihr Können in die Termine. Sie bringen auch die fürs Frisieren und fürs Schminken notwendigen Materialien mit.

Daher möchten die beiden jetzt weitere Friseurinnen und Friseure gewinnen, die aus Magdeburg und Umgebung kommen. Ziel ist es, die Aktivitäten in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt möglichst mit ehrenamtlichen Mitstreitern aus der Region zu besetzen – aber auch, die Idee in anderen Städten des Bundeslands in die Tat umzusetzen.

Neben Friseuren sind auch weitere Helfer gefragt, die sich beispielsweise um die Vorbereitung und um die Versorgung der Besucher und der verschiedenen ehrenamtlichen Akteure kümmern. Cathrin Gruhn sagt: „Und selbstverständlich sind wir auch für jede Unterstützung an Sachspenden dankbar. Insbesondere benötigen wir jene Sachen, die in die Goody-Bags mit Hygiene- und Kosmetikartikeln für unsere Gäste gehören.“

Gefunden haben sich die Barber Angels im Jahr 2016 in Europa. Gegründet wurde der Club in jenem Jahr am 27. November von Claus Niedermaier aus Biberach gemeinsam mit befreundeten Kollegen. Ein Jahr später wurde aus dem Club ein gemeinnütziger Verein. An der Gemeinschaft beteiligen sich inzwischen mehr als 250 Friseure in fünf Ländern: in Deutschland, den Niederlanden. Österreich, der Schweiz und Spanien.

Derzeit wird ein entsprechendes Netzwerk in Frankreich aufgebaut. In diesem Jahr nahmen die Gründungsmitglieder der Barber Angels Brotherhood die höchste Auszeichnung der Vereinigung „Grand Prix Humanitaire de France“ (GPHF) am 11. Mai 2019 entgegen – die Goldmedaille am Bande. Diese hohe Auszeichnung wurde damit erstmals an einen Verein aus Deutschland vergeben.

Die Barber Angels frisieren in ihrer Freizeit ehrenamtlich Bedürftige. Tendenz steigend. Insgesamt wurden bereits über 300 Einsätze in Europa auf die Beine gestellt, zu denen sich mehr als 30 000 Gäste einfanden. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal der Engel mit den Scheren und ihrer Helfer, die auch die entsprechenden Zeichen in ihrem Emblem tragen, sind auch ihre schwarzen Lederwesten.

Dabei nutzen die Barber Angels auch ungewöhnliche Lokalitäten, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und um Spenden zu sammeln. So hatten 13 Barber Angels in diesem Jahr erstmals auf dem Wacken Festival Station gemacht. „Die Festival-Besucher standen täglich von 10-21 Uhr Schlange, um sich während der Konzerte Haare und Bärte gegen Spenden schneiden zu lassen, bunte Haarsträhnen einflechten zu lassen - und sich sogar Rückenhaare entwachsen oder Brusthaar-Tattoos gestalten zu lassen“, hieß es im Anschluss an das Heavy-Metal-Festival seitens des Vereins.

Neben dem ehrenamtlichen Engagement für die Gäste der Veranstaltungen sehen viele Barber Angels den Verein auch als gute Möglichkeit, sich mit Berufskollegen auszutauschen. Zum Teil entstehen auf diesem Weg Freundschaften. Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass man auch auswärts mit anpackt. Zudem werden von dem Verein für seine Mitglieder Schulungen organisiert. Weitere Informationen über die Barber Angels sind auf deren Homepage  und auf ihrem Facebookauftritt zu finden.