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Frauen-Handball Vergleich mit den Bad Boys bringt nichts

Die Handball-WM der Frauen wirft ihre Schatten. Die Volksstimme traf Bundestrainer Michael Biegler zum Interview.

Von Janette Beck 08.11.2017, 00:01

Herr Biegler, Sie arbeiten jetzt gut 20 Monate mit den Frauen zusammen und haben stets betont, wie viel Spaß Ihnen das macht und wie begeistert Sie vom Engagement der Spielerinnen sind. Macht sich da nicht langsam Wehmut breit, dass sich das „Projekt“, wie sie den Prozess der Vorbereitung auf die Heim-WM bezeichnet haben, zu Ende geht und der Abschied von den „Ladies“ naht?
Michael Biegler:
Ich gehe ja noch gar nicht. Die Arbeit macht mir nach wie vor extrem viel Spaß, und ich erwarte, dass das auch die restlichen Tage so bleiben wird. Ob ich, wenn am 17. Dezember wirklich alles vorbei ist, Tränchen verdrücken werde oder mich nur dreimal schütteln muss, wird man dann sehen.

Vieles hängt sicher auch vom Ergebnis ab. Die Erwartungen sind hoch, erst recht, weil es eine Heim-WM ist. Viele hoffen nach den guten Ansätzen bei der EM mit Rang sechs und den überzeugenden Auftritten gegen Vizeweltmeister Niederlande auf ein zweites Handball-Wintermärchen. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Dass eine Heim-WM nach einem guten Ergebnis schreit, ist doch klar. Und das ist auch unser eigener Anspruch. Ich würde mir wünschen, dass das Projekt und die damit verbundene Aufgabenorientiertheit für die Ladies weitergehen. Die ergebnisorientierte Leistung sollte indes vor allem an mir, dem Trainer, festgemacht werden. Ich habe die ganze Zeit über sehr fokussierte Spielerinnen erlebt, die viel Energie und Leidenschaft in das Projekt investiert haben. Die Mannschaft hat viel Potenzial, und das wird bei der WM längst noch nicht ausgeschöpft sein. Bei den Lehrgängen hatte ich teilweise 12 Perspektiv-Spielerinnen mit dazu genommen – ich muss sagen, wir haben auch tollen, förderungswürdigen Nachwuchs. Der Frauenhandball in Deutschland hat es verdient, über die WM hinaus weiter gefördert zu werden.

Umso mehr muss es  Sie doch enttäuscht haben, dass beim Doppelländerspieltag vor  kurzem nur die Männer bei ARD/ZDF im Fokus waren. Die Frauen blieben außen vor. War das so kurz vor der WM im eigenen Land nicht ein Stich ins Herz?
Das Thema Liveberichterstattung durch die öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalten ist nicht meine Baustelle. Meine Baustellen sind andere. Klar war ich traurig, weil die Ladies sich Aufmerksamkeit verdient haben und die Öffentlichkeit wahrnehmen sollte, mit wie viel Power, Energie und Fokussierung jede einzelne Spielerin an dem Projekt beteiligt ist. Aber im Grunde können wir uns nicht beschweren, das mediale Interesse ist schon deutlich angestiegen. Was mich viel mehr stört, ist der ständige Verweis auf die Männer. Wir sollten nicht nur mit Blick auf die mediale Präsenz, sondern generell aufhören, die Handball-Frauen mit den „Bad Boys“ zu vergleichen. Genauso wie unsere Männer aufhören sollten, sich mit den Fußballern zu vergleichen. Das bringt doch eh nichts. Das ist nur Verschwendung von Energie, denn die Entscheidungen werden woanders getroffen.

Bis dato ist nicht klar, ob die WM-Spiele live im Fernsehen zu sehen sind. Wäre ein erneutes Abschieben in den Livestream-Bereich oder gar ein totaler TV-Blackout nicht der Super-Gau für den deutschen Frauen-Handball und ein Armutszeugnis für einen WM-Gastgeber?
Da mache ich mir keine Sorgen. Die Signale, die ich diesbezüglich wahrnehme, sind positiv. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass unsere Spiele im Free-TV übertragen werden.

Sie sprachen von Baustellen, die es auf sportlichem Terrain noch bis zum WM-Start zu beackern gilt. Welche sind das?
Wir haben eigentlich in allen Bereichen noch Entwicklungspotenzial: Im Rückzugsverhalten, in der Deckung,  beim Gegenstoß/ schnelle Mitte, im Angriff und in der Chancenverwertung. Die Frage ist, wo schaffen wir bis zur WM die größte Entwicklung. Darauf müssen wir uns konzentrieren.

Mit Anne Hubinger wird Ihnen eine Schlüsselspielerin im Rückraum fehlen. Wie schwer wiegt der Ausfall der Ex-Magdeburgerin, und wer rückt aus der zweiten Reihe nach?
In der Tat ist das ein sehr schmerzvoller Ausfall, auch weil wir Anne in der WM-Vorbereitung darauf fokussiert und ihr die Sicherheit gegeben hatten, dass sie unsere Nummer eins im rechten Rückraum ist. Dementsprechend hatte sie auch viele Spielanteile. Trotzdem, wir müssen für solche schwerwiegenden Ausfälle prinzipiell Lösungen finden, und die Spielerinnen hinter Anne sind gefordert. Friederike Gubernatis, die nachnominiert wurde, hat erfreulicherweise auch sofort Motivation und Lust signalisiert, am Projekt mitzuarbeiten. Zudem kann auf dieser Position mit Isabell Klein auch eine erfahrene Spielerin aushelfen. Und mit Alicia Stolle und Jennifer Rode  stehen junge Spielerinnen der zweiten Reihe parat. Alternativen sind also da.

Mit welchen konkreten Zielen schicken Sie Ihr Team bei der WM ins Rennen?
Der Anspruch, der dem ganzen Projekt zugrunde liegt, ist das Erreichen der Finalrunde in Hamburg. Das setzt allerdings auch einen Entwicklungsprozess der Mannschaft voraus. Wir gehen die Zielsetzung deshalb auch dreigeteilt an. Die Aufgabenorientiertheit bleibt also erhalten. Es macht keinen Sinn, den zweiten Schritt vor dem ersten  zu gehen, oder den dritten vor dem zweiten. Es geht los mit der Gruppenphase. Da warten ständig neue Aufgaben auf uns und wir müssen unser spielerisches Profil mehrfach umstellen: vom afrikanischen auf asiatischen und europäischen Handball. Ist das geschafft, geht es mit der K.o.-Runde und dem Achtel- und Viertelfinale quasi wieder von vorne los. Und in der Finalrunde in Hamburg werden die Karten zu dritten Mal neu gemischt.

In Leipzig, wo die Vorrunde und möglicherweise das Viertelfinale ausgetragen werden, sowie Magdeburg, wo das Achtelfinale stattfindet, sind auf dem Weg nach Hamburg weitere wichtige Stationen. Was erwarten Sie vom Heim-Publikum im Handball-Osten?
Ich denke, die Zuschauer werden uns genauso unterstützen, wie wir es bei den Länderspielen zuletzt in Magdeburg und in Berlin erlebt haben. Ich war sehr glücklich über den Zuspruch, den das Team dort erhalten hat. So etwas ist einfach bombastisch für die Ladies, denn das hilft uns weiter. Daher ein dickes Dankeschön an die Fans. So kann sich die Mannschaft weiterentwickeln und lernen, wie man in großen Hallen agieren muss. Wie in Magdeburg ist auch das Publikum in Leipzig fachkundig und begeisterungsfähig. Das hilft uns mit Sicherheit weiter.

Zusätzlich motivieren könnte sicher auch eine finanzielle Anerkennung. Sprich – winkt den Ladies beim Erreichen ihrer Ziele eine Erfolgsprämie?
Ich kenne keine Details. Ich weiß nur, dass die Kapitänin und der Mannschaftsrat mit dem DHB zusammen gesessen und darüber verhandelt haben. Aber was genau dabei herausgekommen ist, weiß ich nicht. Was ich in diesem Zusammenhang aber sagen möchte, ist, dass der DHB den Ladies nach der EM, obwohl nichts ausgehandelt war, eine Prämie hat zukommen lassen. Da habe ich als tolles Zeichen der Wertschätzung für die gezeigten Leistungen gesehen.

Versüßt Ihnen der DHB auch persönlich der Abschied mit einem Sonder-Honorar?
Solche Fragen beantworte ich grundsätzlich nicht.

Sind zum Abschluss dennoch zwei persönliche Fragen erlaubt? Die erste: Ihre Familie, die nach wie vor in Großwallstadt lebt, bekommt Sie dieser Tage selten zu Gesicht. Werden Ihre Frau Katja und Tochter Jule während der WM an Ihrer Seite sein und Sie durch das Turnier begleiten?
Das wird schwierig, ich habe ja kaum Zeit für sie. Außerdem muss Jule, die in der 3. Klasse ist und übrigens auch Handball spielt, weiter zur Schule und zum Training. Unser Plan sieht vor, dass meine beiden Mädels und eine befreundete Familie am ersten WM-Wochenende mal nach Leipzig kommen. Und dann werden wir weiter sehen.

Die zweite Frage wäre: Wenn Sie nach Magdeburg, Ihrer alten Wirkungsstätte, zurückkehren, welche Pflichtbesuche sind da fällig?
Ich habe wirklich viele schöne Erinnerungen an meine Zeit in Magdeburg. Und es gäbe einige, die ich gerne besuchen würde. Wenn es denn die Zeit erlaubt, schaue ich immer zuerst bei „Reini“ Schütte, dem ehemaligen Mannschaftsleiter des SCM, und bei Jeannette Bauer in der Geschäftsstelle des Vereins vorbei. Das muss einfach sein.

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