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Handball DHB-Reform: Wille ist da, Geld fehlt

Beim Deutschen Handballbund wird ums Geld gerungen. Präsident Andreas Michelmann bezieht im Volksstimme-Interview Stellung.

Von Anne Toss 21.11.2019, 00:01

Volksstimme: Herr Michelmann, mit der Strukturreform des Deutschen Handballbundes (DHB) sollen die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Bevor wir zu den strittigen Punkten kommen, erst einmal die Frage: Worauf konnte sich der Bundesrat des DHB denn Ende Oktober einigen?

Andreas Michelmann: Erstens wollen wir mit den Nationalmannschaften wieder an die absolute Weltspitze. Und das schaffen wir langfristig und konstant nur mit Investitionen in den Nachwuchs-Leistungssport. Bei den Männern sind wir relativ dicht an der Spitze dran, da fehlen uns ein paar Zehntel in der individuellen Entwicklung der Spieler. Bei den Frauen ist der Abstand zur Weltspitze aktuell noch größer.

Und was viele noch nicht im Blick haben, aber was 2024 höchstwahrscheinlich olympisch wird, ist Beach-Handball. Und unser Ziel ist ja, von den Olympischen Spielen 2024 mit vier Medaillen nach Hause zu kommen. Also müssen wir bei den Männern und Frauen in der Halle und bei den Männern und Frauen im Sand etwas unternehmen. Da gibt’s keine Diskussion.

Der zweite Punkt ist die Mitgliederentwicklung. Generell ist die Zahl der Mitglieder seit 2008 kontinuierlich gesunken. 2007 hatten wir zuletzt einen großen Schub, mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Da lagen wir bei über 800.000 Mitgliedern. Gerade liegen wir bei rund 750.000 Mitgliedern. Das bedeutet, auch hier müssen wir investieren. Darauf haben sich auch alle verständigt.

Und wir werden an der föderalen Struktur etwas ändern. Wir haben beim Handball ja nicht nur 16 Bundesländer, sondern 22 Landesverbände. Das steht schon seit 2017 fest, dass wir die Zahl der Landesverbände zuerst auf 16 und dann auf 12 reduzieren wollen. Jetzt habe ich ein Modell vorgestellt, dass zehn sogenannte Förderregionen vorsieht. Wir als DHB werden das Geld nur noch in diese zehn Regionen hineingeben und nicht mehr an jeden einzelnen Landesverband. Für den Osten bedeutet das zum Beispiel, dass Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen eine Förderregion bilden. Das ist unsere neue Struktur, die wir gemeinsam gewählt haben.

Das heißt ja, dass sich die Landesverbände in diese Struktur auflösen sollen. Da gibt es doch mit Sicherheit Widerstand?

Die Verbände müssen sich nicht zwangsläufig auflösen, denn an der föderalen Struktur zu rütteln, geht in Deutschland sowieso nur auf freiwilliger Basis. Wir wollen die Zusammenarbeit besser kanalisieren, denn es heißt zwar immer, jeder arbeitet mit jedem zusammen, aber am Ende arbeitet niemand zusammen. Jetzt steht wirklich fest, welche Regionen sich enger vernetzen. Wer diese Förderregion letztlich leitet, das organisieren die einzelnen Verbände. Und auch das Tempo dabei bestimmen sie selbst. Ich denke, dass die Verbände erfahren werden, dass es zum Beispiel einfacher ist, wenn es ein gemeinsames Entscheidungs-Gremium gibt, als wenn sich erst einmal drei Gremien koordinieren müssen.

Die Nationalmannschaften an die Weltspitze führen, die Mitgliederzahlen anheben – das klingt alles gut, aber auch sehr abstrakt. Wie will der DHB das konkret angehen?

Für die Mitgliederentwicklung sollen zum Beispiel 20 neue hauptamtliche Mitarbeiter eingestellt werden, also pro Förderregion zwei. Sie sollen vor Ort die Vereine unterstützen, speziell beim Thema Schule und Verein. Denn aufgrund der veränderten Schul-Struktur mit Ganztagsschulen musst du einfach in die Schulen rein, die Kinder am Nachmittag von sich aus in die Vereine zu bekommen, ist schwerer als früher.

Das Thema Schule und Verein ist ein weites Feld. Geht es da auch ein bisschen konkreter?

Die genauen Aufgaben legen die Förderregionen selbst fest. Wir haben gesagt: Sagt ihr uns doch mal, wofür wollt ihr diese Mitarbeiter einsetzen? Es kann ja sein, dass die in Mecklenburg ganz andere Aufgaben haben als in Westdeutschland. Teilweise haben wir gerade 70-Jährige, die es gut meinen, in die Schulen gehen und versuchen, Kinder zum Handball zu bringen. Es ist doch logisch, dass das nur bedingt erfolgreich ist. In Baden-Württemberg gibt es ein System mit Bufdis (Bundesfreiwilligendienst/Anm. d. Red.). Aber das sind zum Teil fragile Systeme. Wenn es zum Beispiel die Bufdi-Förderung nicht mehr gibt, dann bricht das Konstrukt wieder zusammen. So kannst du sagen, du hast zwei Leute, die Ehrenamtliche vor Ort unterstützen und die Vereine darin fit machen, wie sie am besten in die Schulen kommen. Die Erfahrung sagt: Du kriegst es mit nichts so gut hin, wie mit klug eingesetztem Personal.

Wo würden Sie da in Sachsen-Anhalt Stellschrauben sehen, an denen diese neuen Mitarbeiter ansetzen könnten?

Ich würde die ganz genau an der Schnittstelle zwischen Schule und Verein einsetzen. Das ist im Moment am erfolgversprechendsten. Basketball ist an den Schulen ja viel aggressiver, die machen ganz schön Ballett. Eine Regionalliga-Mannschaft wird hier regelrecht verpflichtet, an die Schulen zu gehen. Hier sind wir also auch in Konkurrenz mit anderen Sportverbänden. Da gibt es einen Wettbewerb, in dem wir aufholen müssen.

Und was sind die konkreten Vorstellungen mit Blick auf den Nachwuchs-Leistungssport?

Das Ziel ist es, dass wir als DHB 15 Trainerinnen und Trainer anstellen. Sechs für die Leistungszentren der Frauen, sieben für die Männer und zwei für den Beach-Handball. Bei den Frauen müssen wir als DHB in Form von Nachwuchsleistungszentren stärker einspringen, da die Bundesliga-Clubs hier noch nicht so stark aufgestellt sind wie in der Männer-Bundesliga. Die talentiertesten Mädchen müssen also zu diesen Zentren. Die werden wohl in Hamburg, Dortmund, Leipzig, im Frankfurter Raum sowie Stuttgart und München sein.

Bei den Jungs ist der Plan dagegen so, dass die Trainer zu den Clubs gehen. Salopp gesagt, müssen diese Trainer die Jungs nur noch ein bisschen besser machen. Die sind ja schon top, aber das letzte Zehntel ist eben das Schwerste. Also brauchst du qualitativ herausragende Trainer, damit die den Jungs noch mehr beibringen können, als sie in ihren Vereinen sowieso schon beigebracht bekommen.

Und beim Beach-Handball ist es so: Wir müssen dorthin, wo wir die Infrastruktur haben. Im Norden ist das Hamburg, im Westen Witten-Herdecke, im Osten Aschersleben oder Halle und im Süden wahrscheinlich München oder Stuttgart. Dann haben vier Zentren. Zusätzlich dazu wollen wir die Lehrgangsfrequenzen verdichten und darüber den Anschluss an die Weltspitze schaffen. Mit der männlichen U18 haben wir ja beispielsweise 2018 eine EM-Gold-Medaille gewonnen. Wir sind da also auf einem guten Weg.

Nur: Personal kostet Geld. Und bei der Finanzierung gibt es erheblichen Gegenwind, denn die Mitglieder sollen zur Kasse gebeten werden. Hat sich da etwas getan?

Bislang noch nicht. Der einzige, wirklich strittige Punkt, ist weiterhin die Art und Weise der Finanzierung. 2017 haben wir als Losung Nummer eins ausgegeben, dass wir alle der DHB sind. Und daran muss ich immer wieder erinnern, denn das heißt, dass mal der eine, mal der andere mehr gibt – damit wir insgesamt erfolgreich werden.

Welche Summe braucht der DHB denn für diese Vorhaben?

Ungefähr drei Millionen Euro.

Sie sind Verfechter des Modells der Lizenzgebühr. Was sind die Vorteile?

Ich will eigentlich gar nicht so sehr über das Lizenzmodell sprechen, weil die Landesverbände diesem Konzept aktuell skeptisch gegenüberstehen. Aber für mich ist das das transparenteste Verfahren. In Frankreich gibt es so ein Modell schon. Dort zahlt jeder, der aktiv mit dem Handball zu tun hat – also Spieler, Schiedsrichter, Zeitnehmer, Trainer etc. – an seinen Kreis, den Landesverband und den französischen Handballverband. Aber der Betrag geht eben gesammelt an die Dachorganisation und diese verteilt das Geld an die einzelnen Ebenen. Und die Aktiven bekommen dafür im Gegenzug ihre Lizenz. Jeder weiß, an wen er was bezahlt hat. Die Franzosen bekommen so acht Millionen Euro zusammen, weil jeder an den französischen Handballverband 15 Euro bezahlt. Außerdem wissen sie somit auch genau, wie viele Aktive sie haben. Das wissen wir ja gar nicht. Wir rechnen es nur über die Mannschaften hoch, die im Spielbetrieb sind.

Bei uns ist es so: Keiner weiß derzeit genau, was er bezahlt. Die Handballer wissen wohl noch, was sie an ihren Verein bezahlen, aber wieviel davon an den Landesverband und an den DHB geht, wissen nur noch die Wenigsten. So, wie es die Franzosen machen, ist es viel transparenter.

Wenn die Mehrheit aber ein anderes Modell wünscht, dann kann man auch ein anderes wählen. Nur müssen eben alle wissen: Wenn ich mehr Trainer, mehr Mitarbeiter einstellen will, kosten die auch Geld. Manche tun immer so: Wenn das Lizenzmodell nicht kommt, dann kommt die Beitragserhöhung nicht. Das ist falsch! Sie wird nur anders umgelegt.

An der Basis ist der Eindruck entstanden, dass vor allem der einfache Handballer deutlich mehr geben soll, um die Spitze zu finanzieren. Zehn Euro im Jahr sollen diese nämlich bezahlen, um ihre Spielberechtigung zu erhalten. Warum ist das Ihrer Meinung nach angemessen?

Man kann rechnen, wie man will: Der einfache Handballer zahlt im Moment 87 Cent Jahresbeitrag an den DHB. Ich weiß, dass sie etwas an ihren Verein bezahlen und an ihren Landesverband. Aber bei uns kommen pro Handballer jedenfalls 87 Cent im Jahr an, das sind insgesamt ungefähr 650.000 Euro. Wenn man jetzt von diesem extrem niedrigen Beitrag auf eine meiner Meinung nach realistische Zahl geht, ist das natürlich eine gigantische Steigerung. Deshalb muss man doch fragen: Eine gigantische Steigerung von was? Wir reden von zehn Euro im Jahr, das ist nicht einmal ein Euro im Monat. Selbst in Sachsen-Anhalt stürzt das niemanden ins soziale Elend. Ich habe das mal ausgerechnet. Bei unserem Durchschnittsverdienst hier sind das 0,01 Prozent vom Jahreseinkommen. Das kann man überleben. Man kann natürlich auch ein Problem daraus machen.

Aber was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass das Geld der Breite überhaupt nicht zugutekommt, sondern eben nur den Spitzen-Handballern? Denn die zusätzlichen Trainer werden ja gezielt für die Leistungssportler eingesetzt und nicht für die Amateure.

Aber es ist doch nachweislich so, dass gerade die Breite am meisten von den Erfolgen der Spitze profitiert hat. Mitgliederzuwachs hatten wir immer dann, wenn die A-Nationalmannschaft sportlichen Erfolg hatte.

Außerdem: Wir setzen die Trainer ein, um die deutschen Spieler besser zu machen. Denn für den DHB ist es wichtig, eine starke Nationalmannschaft zu haben. Bis 2016 hatten wir ja das Problem, dass die Bundesliga durchaus stark war, aber international unsere Nationalmannschaft diesen Stellenwert nicht hatte. Dem Verein ist es egal, ob Magnus Rod zehn Tore wirft oder Franz Semper, nur um jetzt beispielhaft zwei Namen zu nennen. Aber wir wollen doch eher, dass Semper die Tore wirft, weil er für Deutschland aufläuft. Das heißt: Diese Typen müssen besser werden und das müssen wir rechtzeitig angehen. Und wenn die Landesverbände, die Vereine bis hin zum letzten Spieler sagen können, dass sie stolz auf unsere Nationalmannschaft sind, dann ist das ein Gefühl, dass man schlecht in Geld messen kann. Aber eben in der Mitgliederentwicklung. Da schließt sich meiner Meinung nach der Kreis.

Der sportliche Erfolg schlägt sich auf Mitgliederzahlen nieder, dieses Plus bringt wiederum mehr Geld in die Vereine. Aber der einzelne Handballer geht gefühlt leer aus …

So gesehen hat der Einzelne erst einmal nichts davon. Das stimmt. Aber es haben alle etwas davon, die Handball spielen wollen, denn dafür brauchst du erst einmal sieben Leute. Wenn du dadurch in der Stadt und erst recht auf dem Land wieder eine Mannschaft zusammenbekommst, können eben auch die kleinen Kinder wieder Handball spielen. Der Einzelne profitiert nicht, aber darum ist Handball ja eine Mannschaftssportart.

Eine Alternative, die vorgeschlagen wurde, ist der sogenannte Sportgroschen. Also ein Aufschlag auf die Tickets der 1. und 2. Bundesliga. Was halten Sie davon?

Das ist eine charmante Idee aus Sicht des einfachen Handballers. Sollen doch die Profis das über die Zuschauer bezahlen. Nur: Wenn wir wollen, dass die Bundesliga-Clubs erfolgreich sind, auch mal wieder in Köln beim Champions League Final Four vertreten sind und gleichzeitig eine Nachwuchs-Arbeit machen, von der auch unsere Nationalmannschaft profitiert, dann können wir die Clubs nicht ohne Ende melken. Die wissen, dass sie ihren Beitrag leisten müssen, aber sie können nicht alles bezahlen. Und klar ist doch auch, dass sich die Liga-Verbände fragen: Warum sollen wir als Bundesliga die Mitgliederentwicklung des DHB fördern? Davon haben sie ja gar nichts davon. Die Clubs können mit Schweden und Norwegern spielen, dafür brauchen sie nicht mehr als 750.000 Mitglieder.

Was können Sie dieser Argumentation entgegenhalten?

Wir brauchen in Deutschland die gesellschaftliche Verankerung, deshalb ist neben der Spitze die Breite für uns auch so wichtig, damit wir nach wie vor mit Handball im Land vertreten sind.

Und die Profi-Klubs wissen genau, dass sie davon profitieren. Zum einen hat jemand, der in seinem Leben schon einmal Handball gespielt hat, eine ganz andere Beziehung dazu, einmal Zuschauer zu werden. Außerdem ist das DHB-Team als einzige Handball-Mannschaft in der Lage, mehr als zehn Millionen Zuschauer vor den Fernseher zu holen. Das schafft ja kein Verein. Im Moment spielen wir auch bei jedem Länderspiel vor ausverkaufter Kulisse – sogar, wenn es gegen die Schweiz geht. Das ist ja teilweise irre. Das merken die Vereine also schon, dass der DHB höllisch an Tempo aufgenommen hat.

Der DHB hat sozusagen an “Gewicht“ zugelegt?

Ja. Vor fünf Jahren haben die Landes- und Ligaverbände den DHB noch geprügelt und jetzt laufen wir schneller als sie. Wir haben mit einem Budget von 6,5 Millionen Euro angefangen, liegen jetzt bei 11,5 Millionen. Wir hatten 28 Mitarbeiter, haben jetzt 52. Da muss auch mehr kommen und es kommt mehr. Die Impulse geben im Wesentlichen jetzt auch wir. Und die Landesverbände, die uns vorher getrieben haben, sind jetzt eher die, die sagen: Das geht uns aber etwas zu schnell. Nur, um weiterzukommen müssen wir den nächsten Schritt machen, und ich bin mir sicher, dass wir ihn machen.

Den nächsten Schritt machen – ist damit auch der Bau einer DHB-Zentrale gemeint?

Das habe ich von dieser Diskussion ganz bewusst abgekoppelt. Sonst heißt es sofort: Die wollen sich mit dem Geld ja nur ihr Haus des Handballs finanzieren. Daher bleibe ich konsequent dabei: Die erste Investition ist eine in Köpfe. Die Zweite wäre dann eine in Stein und Beton. Aber das ist die nächste Stufe, deshalb werden wir auch eins zu eins nachweisen, dass wir das Geld, das wir jetzt einnehmen, genau für die genannten Punkte verwenden.

Jetzt arbeiten Sie also erst einmal in AGs weiter, gerade um auch die Finanzierung zu klären. Deutet sich da ein Kompromiss an und bis wann soll eine Lösung vorliegen?

Es wird sich ein Kompromiss ergeben. Vielleicht gibt es ein Misch-Modell. Aber da möchte ich nicht vorgreifen.

Am 20. März soll das Erarbeitete beschlussreif sein, denn im Mai steht der nächste Bundesrat an und da soll es beschlossen werden. Und es bleibt auch dabei: Ab dem 1. Januar 2021 soll die Strukturreform in Kraft treten.

Sie selbst sind Teil der AG Finanzen. Es gibt mit Sicherheit einfachere Themengebiete …

Der kriminellste Punkt ist Chefsache, das gehört sich dann eben so. (lacht)