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Ausstellung Früher war weniger Krieg

Gespräch mit dem Landesarchäologen Harald Meller vor Beginn der Ausstellung „Krieg“ des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle.

Von Uta Baier 28.10.2015, 23:01

Ihre nächste Ausstellung heißt „Krieg“ und zeigt ein Massengrab als „Antikriegsmonument“. Archäologische Ausstellungen haben selten eine politische Botschaft. Ihre schon?

Harald Meller: Es ist für mich als Museumsmann traurig, aktuell zu sein. Ich wollte, alle Kriege wären im Museum. Aber da das nun mal nicht so ist, wollen wir es so gut als möglich erklären.

Seit wann gibt es Kriege?

Am Beginn der geschriebenen Geschichte, also etwa 3000 v. Chr., ist der Krieg in seiner vollgültigen Ausprägung schon da. Da gibt es Armeen, Sturmleitern, Städte, die verteidigt werden. Aus dieser Sicht scheint es, als gehörte Krieg zum Menschsein dazu. Das erzeugt immer eine gewisse Ratlosigkeit. Wenn wir nach dem Ursprung des Krieges suchen, dann müssen wir früher suchen und das kann nur die Archäologie.

Und die Archäologie hat den Ursprung des Krieges gefunden?

Krieg ist eine organisierte Auseinandersetzung erheblichen Ausmaßes zwischen zwei größeren Gruppen mit Waffengewalt. Wenn wir uns auf diese Basisdefinition stützen, sehen wir, dass es in den ersten 99 Prozent der Menschheitsgeschichte keinen Krieg gab. Die Menschen hatten zwar Waffen und töteten sich auch gegenseitig – aber nicht in organisierten Aktionen. Das war individuelle Gewalt. Der eigentliche Krieg beginnt 10 000 vor Christus mit der Jungsteinzeit. Er beginnt, seit es feste Siedlungsplätze gibt, seit es etwas zu verteidigen und zu erobern gibt. Krieg beginnt mit Kämpfern, dann mit Kriegertum und mündet in Armeen und Soldaten, also Angestellten des Krieges.

Kriege zu führen, liegt demnach nicht in der Natur des Menschen?

Krieg ist ein kulturelles Phänomen. Da ist nichts Biologisches. Alles andere ist Unsinn. Es gibt Aggression, Revierverhalten, Mord, Grausamkeit – das ist kein Krieg. Organisierter Krieg ist eine Erfindung des Neolithikums, eine Erfindung komplexer Gesellschaften.

Was halten Sie von der Erklärung, dass der Mensch schlecht ist und deshalb immer wieder Kriege führt?

Der Mensch ist weder gut noch schlecht und Krieg ist nicht schicksalsgegeben. Er ist ein kulturelles Phänomen und wird von den Herrschenden eingesetzt. Philosophen haben Rechtfertigungen gesucht, doch Krieg ist uns nicht angeboren. Krieg ist erfunden.

Was könnten wir daraus lernen, wenn wir wissen, wie Kriege waren?

Die Frage ist natürlich immer, ob der Mensch aus der Geschichte überhaupt etwas lernt. Generell gehen die Philosophen, Staatsrechtler, Historiker, auch die Politiker davon aus, dass man aus der Geschichte lernt. Das kennzeichnet uns als hochentwickelte biologische Wesen. Wir machen eine schlechte Erfahrung – zum Beispiel, wenn wir auf eine heiße Herdplatte fassen – und wiederholen sie nicht. Aber schon das Privatleben zeigt, dass man manchmal Erfahrungen wiederholt. Wir wissen, dass Krieg etwas Schreckliches und Sinnloses ist und trotzdem wiederholen wir Krieg.

Können Sie anhand ihrer archäologischen Funde sagen, ob die Menschen immer gleich gelitten haben?

Nicht gleich, nein. Bei den ganz frühen Kriegen litt die Zivilbevölkerung erheblich, denn das waren keine Schlachten, sondern Überfälle. Oft ging es um Frauenraub. In der Bronzezeit gibt es dann eine Entwicklung hin zu Armeen. Wenn Ar­meen kämpfen, sterben vor allem Krieger, die Zivilbevölkerung leidet durch Plünderungen. Am meisten aber leidet die Bevölkerung in den modernen, den technisierten Kriegen. Die Opferzahlen drehen sich erstmals um: Es gibt mehr zivile Opfer als tote Soldaten. Denken Sie nur an den Zweiten Weltkrieg.

Werden die Erkenntnisse der Ausstellung den Blick auf die historische Schlacht bei Lützen verändern?

Sie werden den Blick dramatisch verändern, weil wir mit dem Massengrab den normalen Beteiligten zeigen. Bei jeder Geschichtsdoku im Fernsehen hat man das Gefühl, dass es im Krieg immer noch ein heroisches Moment gibt. Wenn Sie das Massengrab von Lützen ansehen, dann sehen Sie nur Leid. Es muss schrecklich gewesen sein. Die Kämpfer sind von alten Verletzungen, von Hunger und Krankheit gezeichnet. Die laufen nicht heroisch in die Schlacht, die humpeln.

Und kämpften doch weiter.

Sie kämpften und hofften zu überleben, doch sie endeten tot, geplündert und nackt auf einem matschigen Feld, wo sie Tage später von Bauern bestattet wurden. Die Bauern von Lützen, die diese Menschen mit Holzspaten bestatteten, legten den letzten Toten quer über alle anderen – symbolisch als gekreuzigten Christus. Mir ist kein stärkeres Mahnmal gegen den Krieg bekannt.

"Krieg - eine archäologische Spurensuche" im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle, 6. November 2015 bis 22. Mai 2016. Katalog: Theiss-Verlag, 29,95 Euro in der Ausstellung, im Buchhandel 39,95 Euro.