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Alexander Kluge „Lieber Trump als Bomben“

Alexander Kluge wird 85 Jahre alt. Volksstimme-Volontärin Juliane Just sprach mit dem Filmemacher in seinem jetzigen Wohnort München.

13.02.2017, 23:01

In Ihrem Buch „Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945“ schildern Sie das Verhalten verschiedener Personen, als Bomben auf die Stadt fallen. Inwiefern hat Ihnen das Schreiben des Buchs geholfen, diese Eindrücke zu verarbeiten?

Alexander Kluge: Die Aufarbeitung kam bei mir sehr spät. Als mein Vater 1979 starb, ist der Tag der Bombardierung für mich erst plastisch geworden. Also 30 Jahre später. Kinder haben während eines Bombenangriffs kein großes Bewusstsein. Ich hatte Angst. Ich habe auch gebetet. Ich war mit meinem Vater und meiner Schwester im Keller, als die Bombe fünf Meter entfernt von uns einschlug. Die Menschen im Nachbarhaus, die ebenfalls im Keller saßen, waren tot. In dem Moment dachte ich daran, dass ich das am Montag meinen Mitschülern erzählen kann oder dass ich die Klavierstunde um 14 Uhr versäume. Man hat also ganz unpassende Gedanken, aber gleichzeitig hat man Angst. Es läuft alles durcheinander. Ich kann das Geräusch der Bombe schwer beschreiben, aber es ist bis heute da. Trotzdem versteht man es erst 30 Jahre später. Dieses Durcheinander treibt einen ein Leben lang an. Das Aufschreiben war auf der Gefühlsebene unheimlich wichtig.

Sie haben Jura studiert und sind als Autor und Filmemacher tätig. Wie passen das rationale Denken eines Juristen und das kreative Denken eines Schriftstellers zusammen?

Wenn man sich in der Medienwelt durchsetzen will, braucht es juristisches Unterscheidungsvermögen. Ein Jurist fragt: Wer will was von wem aus welchem Grund? Als Schriftsteller oder Filmemacher geht man auf das Besondere ein: ich suche nach Rätseln. Warum nicht von verschiedenen Perspektiven auf die Welt schauen? Viele Menschen haben ein Multiinteresse. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, mehr als eine Sache zu machen. Nehmen wir das Beispiel der Sprache. In Halberstadt spricht man in der Altstadt Plattdeutsch, in der Oberstadt eine Art Sachsen-Anhaltisch. Dort leben die Menschen also intuitiv bereits zweisprachig. Alle tragen in ihrer Phantasie eine Mehrsprachigkeit in sich. Wir können also mehrere Möglichkeiten ausprobieren.

Ihre Geschichtensammlung „Chronik der Gefühle“ geht davon aus, dass Gefühle überall existieren. Haben sich die Trump-Wähler von Gefühlen leiten lassen?

Gefühle spielten auch bei der Wahl für Trump eine sehr starke Rolle. Dass das mit Verstand geschehen sein soll, kann ich kaum glauben. Und ein Ausfluss der Vernunft ist es auch nicht. Der sogenannte Rostgürtel in den USA brachte die endgültige Entscheidung. Dort leben vielerorts Leute in einer Art Industriewüste und halten es in ihrem unmittelbaren Leben kaum aus. Sie müssen mit sich selbst auskommen und diszipliniert bleiben – wegen der Nachbarn, wegen sich selbst, wegen des schlechten Gewissens. Sie können sich nicht rühren und eigentlich würden sie die Wirklichkeit gern abwählen. Das können sie vor Ort nicht, also wählen sie im Washingtoner Himmel einen, der so frech ist, wie sie gern wären – ob er recht hat oder nicht, ob Kindskopf oder Klardenker. Bei diesen Menschen sind ganz klar Gefühle im Spiel.

Handelt Trump auch selber gefühlsorientiert?

Ich halte ihn nicht für berechnend. Wenn einer im Weißen Haus, einem Ort, der so gefährlich ist wie die Kommandozentrale in einem Kernkraftwerk, wie ein Kind Eisenbahner spielt, dann ist das hochgefährlich. Aber es bleibt wichtig zu verstehen, dass Menschen den Falschen wählen. Gefühle sind unbestechlich und sie gehorchen nicht.

Was können die Europäer aus dieser Wahl lernen?

Ich betrachte diese Situation anders. Als Autor bin ich nicht der Oberrichter über die Verhältnisse. Ich entscheide nicht, ich beschreibe. Ich sage, dass Europa darauf angewiesen ist mit großem Selbstbewusstsein wieder auf Augenhöhe zu kommen – zum Beispiel mit Amerika. Wir müssen die Digitalisierung erst lernen. Da ist die Gegenseite uns weit davongerannt. Dann denke ich sofort an die Geschichte vom Hasen und Igel. Wir müssen Igel sein und uns davorsetzen. Was Silicon Valley tut, wird auch endlich sein - lassen wir sie rennen. So ist die Denkweise, wenn man Geschichten erzählt.

Sie haben 23 Filme gedreht und zahlreiche TV-Kulturmagazine. Trotzdem sagen Sie, Ihr Hauptwerk seien Ihre Bücher.

Die Bücher sind geduldig. Man kann gründlich sein. Meine Geschichten sind immer sehr kurz, aber sie lassen sich sammeln. Mit Büchern bin ich direkt verbunden mit allen Zeiten, die es gibt. Wenn man künstlerisch tätig ist, ist das immer ein Dialog. Man redet mit den anderen. In meinem Kopf arbeiten andere. Das ist das, was mir am Buch gut gefällt. Was mir nicht gefällt, ist, dass man mit Büchern keine Musik machen kann und dass sie sich nicht bewegen wie der Film. Wenn ich also einen Film mache, ist es, als würde ich ein Buch schreiben. Es geht mir um das Geschichtenerzählen, gleich in welcher Form.

Was ersinnen Sie derzeit für Ihr Publikum?

Halberstadt wird ab Mai zu Gast in Venedig sein. Ein berühmter US-amerikanischer Lyriker hat für meine Werke gedichtet: „Halberstadt brennt, die langsamste Musik der Welt“. Die Ausstellung wird von mehreren Kunstschaffenden gemacht, von dem renommierten bildenden Künstler Thomas Demand, von der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und von mir. Der Titel heißt: „Das Boot ist leck. Der Kapitän log.“ Dort kommt meine kleine Stadt in eine gute Gesellschaft. Halberstadt und Venedig waren schon einmal 1204 miteinander verknüpft. Da nahm der Bischof von Halberstadt mit den Venezianern am lateinischen Kreuzzug teil und entnahm Byzanz den Schatz, der heute als Halberstädter Domschatz gilt. Ich finde es ganz schön, wenn wir diese beiden Städte in Form einer Ausstellung neu zusammenbringen.

An Ihrer Neugier wird sich auch nach Ihrem 85. Geburtstag wohl nichts ändern.

Ich habe inzwischen auch Kinder, die 30 Jahre alt sind, und Hoffnung auf Enkelkinder. Diese jüngeren Menschen treiben einen an. Bis zu meinem 13. Lebensjahr war ich in Halberstadt und habe mich seitdem nicht verändert. Der Körper ist älter, aber in mir ist dasselbe, was 1945 da war. Die Gefühle sind dieselben, nur die Gedanken sind durch die Erfahrung erweitert. Trump hatten wir damals nicht, wir hatten Bomben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Dann lieber Trump. Weiterhin werde ich oft und gern in meiner Heimatstadt sein. Das wird immer so sein, dort habe ich unmittelbare Erfahrungen gesammelt. Die Maße der Welt sind für mich in Halberstadt.