Ballett Alice tanzt im Pas de deux
„Alice im Wunderland“ erlebte am Nordharzer Städtebundtheater die umjubelte Uraufführung als Ballett.
Halberstadt l Ballettmeister Can Arslan, seine Ausstatterin Andrea Kaempf, der junge Ulmer Komponist und Pianist Basti Bund und Dramaturgin Susanne Range schufen in geradezu überbordender Spiellaune ein 70-minütiges modernes Ballett nach Lewis Caroll. Die episch breite Vorlage von 1865 „Alice im Wunderland“ übersetzten sie kongenial in wortloses Bühnengeschehen.
Dazu fand Arslan in der jetzigen Zeit eine Alltagshandlung, die traurige Realität widerspiegelt. Die Mutter spielt mit ihrem Smartphone, der Vater mit dem Laptop. Stundenlang. Am superlangen Tisch macht ihre Tochter Alice (Antonia Scheumann, eine der drei Tänzerinnen des Kinderballetts) derweil Hausaufgaben. Tristesse pur. Das Mädchen möchte lieber spielen, tanzen, ihrer Fantasie freien Lauf lassen, ihre Persönlichkeit entdecken. Dazu der Choreograph: „Ich erlebe immer mehr Menschen, die vor sich selbst fliehen, die ihre Zeit lieber mit dem Smartphone verbringen als mit Freunden und ihrer Familie.“ Diese schmerzhafte, ständig wachsende Beziehungslosigkeit ist das vielfach variierte Generalthema Arslans.
Die kleine Alice entweicht der Familie. Als erstem Lebewesen begegnet ihr ein wundersames weißes Kaninchen (Alexandre Delamare). Liebenswert, niedlich und verspielt. Es hoppelt, rennt, schlägt Haken, zappelt mit den Beinen. Und tanzt mit Alice einen Pas de deux. Eine ganz außergewöhnliche Körpersprache für einen Tänzer. Auch insgesamt brilliert das achtköpfige Ballett in 18 Rollen dieses Nonsensstückes. Vinicius Augusto Menezes da Silva ist Vater von Alice, Herzbube, Pilz und Baum. Er tanzt artistisch-kraftvoll auf hohen Stelzen und hebt dabei die Grinsekatze (die ausdrucksstarke Anna Vila). Die Kostüme sind eine Augenweide, und die Leistungen der Tänzer, Ankleider und Bühnentechniker bei den verrückt schnellen Umzügen und Umbauten auch!
Die kleine Alice taucht ein ins Wunderland. Sie ist auf der Reise zu sich selbst. Ihr erwachsenes Double (Shainez Atigui) begegnet ihr an mehreren Stationen. Sie erlebt eine bekiffte Raupe (Salvatore Cerulli), einen Typ Grapscher. Sie trifft auf einen verrückten Hutmacher (Jaume Bonnin), die weiße Königin (Masami Fukushima) und gerät in die Fänge der Herzkönigin (Federica Maila Vincifori). Einer grausamen Herrscherin über die Spielkarten. Eine absurde Gerichtsverhandlung noch, dann ist die kleine Alice entlassen zu ihrer Familie. Sie sitzt jetzt nah beisammen.
Die Musik des 29-jährigen Basti Bund macht es dem Choreografen leicht, Bewegungsabläufe auf den Punkt genau zu inszenieren. Bund komponierte bereits für das Opernhaus Magdeburg.
Insgesamt wird „Alice im Wunderland“ 16 Mal in drei Bundesländern gezeigt. Es gab in der Uraufführung keinen Szenenapplaus, wohl aber zum Schluss minutenlang Bravorufe und stehende Ovationen für eine verrückte, ganz außergewöhnliche Ensembleleistung.
Die nächsten Vorstellungen: am 22. November, 1. und 6. Dezember in Quedlinburg; am 24. und 29. November und am 8., 13., 17. und 25. Dezember in Halberstadt sowie am 26. Dezember in Salzwedel.