Kolumne Aufbau Ost-West
In meiner Nähe wohnt Udo. Der Mann ist ein Macher, wie man so sagt. Er ist gut über die Wende gekommen und steht heute genauso fein wie damals da. Wenn nicht besser. Udo ist Geschäftsführer einer Abfallbeseitigungs- und Recyclingfirma. In Ostzeiten leitete er den VEB Dienstleistungsbetrieb. Blieb also der Branche treu.
Mit Udos Berufswesen habe ich insofern zu tun, als er sich meines Abfalls annimmt. Hausmüll, Papiertonne, Sperrmüll. Ist ja alles bekannt. Wobei das Kapitel Sperrmüll für Udo neu ist, da es in der DDR weder den Begriff gab noch stellten die Leute alte Sessel und Teppiche raus. Schränke wurden im Ofen verbrannt. Zerschlissene Sessel und Sofas an den Waldrand gestellt. Mit dem Thema Sperrmüll werden die Bewohner heute zweimal im Jahr konfrontiert.
Erinnert wird man an diesen Termin schon in der dunklen Nacht. Zaghaft zuerst und ich merke die Veränderung, indem mein Bett zu zittern beginnt. Das Tablettenröhrchen rollt auf dem Nachtschrank hin und her. Im Haus stürzt etwas um oder fällt von den Wänden herab. Da ich nicht mehr schlafen kann, stehe ich auf und gehe ans Fenster. Im Halbdunkel erkenne ich einen Transporter, der vor dem Haus gegenüber hält.
Sehe dazu einen Sessel, Teppiche, Stehlampe und ein klobiges Stück, dessen Verwendung ich nicht richtig erkennen kann. Hat mein Nachbar an der Straße aufgehäuft. Sperrmülltag, begreife ich sofort. Abfuhr von allem, was nicht in die Mülltonne passt.
Als das Auto hält, wird der Motorenlärm durch einen neuen Krach abgelöst. Zwei Männer sind ausgestiegen und machen sich an den Besitz des Nachbarn heran. Nehmen einen Teppich, rollen ihn aus und werfen ihn dann uneingerollt zurück. Der Sessel scheint sie regelrecht zu ärgern, denn sie geben ihm einen Fußtritt, als hätten sie das Recht auf ein besseres Teil. Um nicht völlig umsonst gekommen zu sein, drehen sie sich von einer Stehlampe die Glühbirne heraus. Dann Abfahrt.
Aus Erfahrung weiß ich, dass das nur der Auftakt ist. Den ganzen Tag nun kurven Transporter durch das Dorf. Fahren im Schritttempo an den Müllbergen vorbei, halten hier und da. Lassen liegen, nehmen auch etliches mit, dessen weitere Verwendung nur schwer einleuchten will. Und mehr noch weiß ich. Der Sperrmülltag verlängert sich. Wird von Udo ein Tag angehängt und noch einer. Eine regelrechte Sperrmüllwoche zu guter letzt. Da mich dieses ständige Wachwerden nervt und die wachsende Unordnung auf den Straßen stört, passe ich Udo mal ab und mache mir Luft.
Aber Udo wäre nicht der bekannte Macher, wenn er durch einen wie mich seine gute Laune verlöre. "Sieh das mal unter einem betriebswirtschaftlichen Aspekt", sagt er bestens gelaunt. "Merkst du nicht, wie alles langsam weniger wird. Und wenn wir als Firma Geduld haben, liegt nur noch da, was laut Satzung nicht zum Sperrmüll zählt und gar nicht da liegen darf. Das rührt meine Firma nicht an. Das holen die Leute notgedrungen wieder rein."
Und noch etwas trägt zu Udos guter Laune bei. Ob ich mir mal die Autonummern der Transporter angesehen hätte, fragt er. Dann wüsste ich Bescheid. Hannover, Hamburg, Osnabrück. Die Kürzel kannte man ja. "Aufbau Ost also!", stelle ich fest. Ob das denn überhaupt kein Ende nahm! Oder etwa Aufbau West?
Martin Meißner ist Schriftsteller in Sachsen-Anhalt.