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Ausstellung Sachsen-Anhalts frühe Bewohner

Die Schau "Barbarenmacht" erweitert die Dauerausstellung des Landesmuseums Halle.

Von Uta Baier 07.11.2019, 23:01

Halle l Ob Speerspitzenhagel, Sichelkreisel, freistehendes Mammut oder die sinnlich-mystische Inszenierung des Himmelsscheibenfundes – die Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle funktioniert für den Gelegenheitsbesucher ebenso wie für den regelmäßigen. Denn das theatralisch-effektvolle Prinzip der Gestaltung macht den Museumsrundgang durch die Dauerausstellung nicht nur zur lehrreichen Entdeckungstour sondern auch zu einem besonderen Seherlebnis. Aber auch die schönste Dauerausstellung kann nach mehrmaligem Besuch langweilig werden. Zwar schätzen manche Besucher das Immer-Gleiche und freuen sich, auch nach Jahren der Museumsabstinenz das Lieblingsstück am gleichen Ort wiederzufinden. Doch ohne Veränderungen und Ergänzungen funktionieren die wenigsten Museen heute noch.

In Halle gibt es jetzt Veränderung durch Erweiterung. Die neue Abteilung heißt „Barbarenmacht“ und präsentiert auf 180 Quadratmetern Funde aus Spätantike und Völkerwanderungszeit in einer stilisierten germanischen Versammlungshalle. Diese 180 Quadratmeter können durch den Besucher um viele Ausstellungsquadratmeter vergrößert werden, wenn er die beleuchteten Schubladen unter den Vitrinen herauszieht oder viele kleine Türchen öffnet. Das kennt man bereits aus anderen Ausstellungsteilen, und es macht ganz offensichtlich nicht nur Kindern Spaß, die versteckten Zusatzinformationen in den Schubkästen zu erkunden und immer detailliertere Informationen zu den Originalen zu bekommen.

Zu denen gehören beispielsweise das Fürstengrab von Gommern und Funde aus vier Adelsgräbern aus Leuna, die in gewohnt übersichtlicher, edler Präsentation zu sehen sind. Insgesamt versammelt der neue Ausstellungsteil Funde von mehr als 50 Orten in Sachsen-Anhalt und angrenzenden Regionen aus Spätantike und Völkerwanderungszeit (3. bis Mitte 5. Jahrhundert nach Christus). Neben Waffen, Gebrauchsgegenständen und Schmuck aus Gold, Silber, Glas und Bronze stammen aus dieser Epoche auch deformierte Schädel, die den stilbildenden Einfluss zen­tral­asia­ti­scher Eigenarten auf die früheren Bewohner Sachsen-Anhalts dokumentieren. Sie zeigen Schädel von Frauen, die durch Bandagierungen in der Kindheit nach hinten oben verformt wurden. Solche Funde wurden in Gräbern in Obermöllern und Lützen im heutigen Burgenlandkreis gefunden. Und auch wenn es eine schmerzfreie Methode modischer Anpassung gewesen sein sollte, wie in der Ausstellung zu lesen ist, erscheinen diese Schädel als Ausdruck brutalster Machtausübung und Anpassung an eine fremde Kultur.

Manche Ausstellungen bieten seit einiger Zeit spezielle Tastmodelle für sehschwache Besucher. Solche Tastmodelle sind jedoch bei allen Besuchern beliebt, denn sie ermöglichen, das hinter Glas Präsentierte, das unerreichbar Kostbare – in Kopie – berühren zu können. Die Bedeutung einer solchen haptischen Erfahrung wird in der Regel von Ausstellungsmachern völlig unterschätzt. Sie wundern sich höchstens, dass erwachsene Besucher Objekte trotz Barrieren und Verboten anfassen (müssen).

Die Hallenser wissen um solche Wünsche und haben die kleine bronzene Kultfigur aus der Wüstung Wallendorf (heute Orlinsghausen, ein Ortsteil von Sömmerda) vervielfältigt und als Griff für Schubladen und Türchen genutzt. Das mag banal klingen, ist jedoch eine schöne Idee, die auf mehreren Ebenen funktioniert: Sie macht ein Berührungserlebnis dieses einzigartigen Fundes, der als „früheste germanische Skulptur eines menschlichen Körpers in anatomischer Wiedergabe aus dem mitteldeutschen Raum“ gilt, möglich. Sie unterstreicht die Bedeutung dieses kleinen Objektes, das in seiner Vitrine schnell übersehen werden könnte. Und sie zeigt, was mit allzu häufig reproduzierten Objekten passieren kann: Sie werden banale Dekoration.

Halle, Landesmuseum für Vorgeschichte, Di-Fr 9-17 Uhr, Sa-So 10-18 Uhr.

Zum neuen Dauerausstellungsbereich erscheint das Begleitheft „Barbarenmacht. Spätantike und Völkerwanderungszeit“, Hrsg.: Harald Meller, 11 Euro.