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Beseeltes Grün

Von Ulrich Schacht 10.06.2010, 05:16

Dass der Mensch eine Seele hat, wird kaum einer bestreiten, obwohl noch kein Mensch die Seele des Homo sapiens im Sinne eines festumrissenen, im Körper lokalisierbaren Organs gefunden hat. Auch deshalb spekulieren und streiten seit Alters her Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler und Psychologen einen nicht enden wollenden Kampf um das Phänomen, das den einen bewiesene Realität, den anderen reine Fiktion ist. Der Bogen reicht von Vorsokratikern wie Heraklit, der um 500 vor der Zeitrechnung lebte und der Seele einen Sinn (Logos) zuschrieb, "der sich selbst mehrt", bis hin zu dem großen kritischen Rationalisten des 20. Jahrhunderts Karl R. Popper.

Zusammen mit dem australischen Neurologen und Medizinnobelpreisträger John C. Eccles veröffentlichte er 1977 die berühmte, diskursiv angelegte Studie "Das Ich und sein Gehirn". Sie stellt den Versuch dar, das klassische Leib-Seele-Problem der Philosophie mit Hilfe neuronaler Spitzenerkenntnisse auf eine Wissensebene zu heben, die der reinen Spekulation entkommt, ohne in einem platten materialistischen Dementi zu enden. Seele, so könnte man heute vielleicht sagen, das ist ein komplexes Kraftfeld im Menschen, das ihn in einem reichen Sinne empfindsam sein lässt und nicht roh reduziert, ein geistiges Vermögen, das sein materielles Sein in ein unendlich größeres transzendiert. Von einer "Seele von Mensch" spricht die Alltagsweisheit, wenn ein guter Mensch auftritt.

Was so dem Menschen zugesprochen wird, gilt vielen aber auch als dem Tier zu eigen. Dass Tiere eine Seele haben, oder mindestens zu den beseelten und deshalb empfindsamen Wesen zählen, dürfte kaum mehr strittig sein. Der Appell des Arztes und Theologen Albert Schweitzer, "Ehrfurcht vor dem Leben!" zu haben, ist nur von diesem Punkt der Weltbetrachtung aus verständlich, aber auch logisch, wenn man der Welt, wie er, einen göttlichen Grund abliest, der alles, was zu ihr gehört, letztlich qualifiziert. Aber gilt das auch für Pflanzen? Für Gräser, Blumen, Büsche und Wälder?

Es gibt inzwischen sogar den "Blumenflüsterer", der darauf schwört, dass ein gutes Balkon-Gespräch mit Geranien eine Art geistiger Dünger sei. Allerdings ist das denn doch eine Behauptung, die eher unter Spintisiererei verbucht wird. Was nichts daran ändert, dass ein Buch erschienen ist, das schon im Titel von "Klugen Pflanzen" (C. Bertelsmann) spricht und im Untertitel Informationen darüber ankündigt: "Wie sie locken und lügen, sich warnen und wehren und Hilfe holen bei Gefahr."

Wer glaubt, dabei kann es sich nur um billige Sensationshascherei handeln, irrt. Vielmehr liegt mit diesem Buch des TV-Moderators und Tierfilmers Volker Arzt eine der spannendsten Wissenschaftsreportagen seit langem vor. Volker Arzt ist durch die Welt gereist und hat sich kundig gemacht, was Pflanzenforscher an neuestem Wissen über ihre Spezies und deren Strategien, sich zu behaupten, zusammengetragen haben.

Herausgekommen ist dabei, dass das Grün dieser Erde in seiner Vielfalt zwar nicht über ein Gehirn verfügt, aber dennoch über Potenziale, die es auf raffinierte und deshalb intelligent anmutende Weise mehr sein lassen als eine amorphe Chlorophyllmasse. Wie sich Pflanzen verteidigen gegen Angriffe aus der Tierwelt, zum Beispiel von Lemmingen, indem sie sich unverdaulich machen und so den Angreifer mit gefülltem Magen verhungern lassen oder sich, wie amerikanische Akazien, eine Ameisenschutztruppe halten, das ist nicht nur verblüffend. Das sorgt auch für eine produktive Irritation, die in den großartigen Gedanken mündet, dass selbst das Grün dieser Welt zu ihrem wahrhaft beseelten Teil gehört.