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Besser als Woodstock? Das Weltkulturfestival in Indien

Deutsche Flaggen am heiligen indischen Fluss Yamuna. Hunderttausende sind zum angeblich größten Kulturfestival der Welt gekommen. Auch ein deutscher Europaabgeordneter und ein Ex-Bundesligatrainer.

Von Doreen Fiedler, dpa 10.03.2016, 23:01

Neu Delhi (dpa) - Die Luft über dem heiligen indischen Fluss Yamuna vibriert - mehr als 8500 Musiker spielen unter freiem Himmel. Flöten, Tablas, traditionelle Sitars und Vinas. Es soll das größte Orchester der Welt sein, auf dem angeblich größten Kulturfestival des Globus.

Zum 35. Geburtstag der spirituellen Organisation Art of Living sind - nach Angaben des Veranstalters - 1,2 Millionen Menschen in der indischen Hauptstadt Neu Delhi zusammengekommen.

Es ist ein bildgewaltiges Spektakel. Drei Tage lang treten mehr als 35 000 Künstler auf: wirbelnde Derwische aus der Türkei, Alphorn-Bläser, Samba-Tänzer, chinesische Sänger. In Dirndl und Lederhosen schwingen auch mehr als 100 Deutsche ihre Hüften. Ein deutscher Chor intoniert die Hymne der Europäischen Union.

Inmitten des Getümmels bewegt sich auch der Europaabgeordnete Jo Leinen von der SPD. Wir Menschen werden künstlich geteilt durch Politik, Religion, Macht, sagt er am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Dabei haben die Menschen alle die gleichen Sehnsüchte: in Frieden zu leben, gut zu leben.

Hinter der Organisation Art of Living, die den Weltfrieden zu ihrem Ziel erklärt hat, steht Sri Sri Ravi Shankar, einer der bekanntesten Gurus Indiens. Er hat nicht nur in der aufstrebenden, aber zusehends strapazierten Mittelschicht des Milliardenlandes zahlreiche Anhänger. Er findet mit seinen Atemübungen und Anti-Stress-Methoden auch immer mehr Anhänger im Ausland. 300 Millionen Menschen auf der ganzen Welt soll er erreichen.

Zu dem Weltkulturfestival kommen sehr verschiedene Menschen zusammen, der frühere Bundesligatrainer Christoph Daum ist da - aber auch mehr als Hundert Menschen aus Pakistan - dem Erzfeind Indiens. In diesen Tagen sollen alle Brüder und Schwester sein. Vasudhaiva Kutumbakam, ruft Ravi Shankar den jubelnden Menschen zu, ein Satz in der historischen Priestersprache Sanskrit, er bedeutet: Die Welt ist eine Familie. Dann meditieren alle gemeinsam.

Mira Fels aus Hannover war schon vor fünf Jahren dabei, als Ravi Shankar im Berliner Olympiastadion den Geburtstag seiner Organisation zelebrierte. Damals kamen rund 25 000 Menschen. Das hier ist ein bisschen sehr viel größer, sagt sie staunend. Die Organisation will viele Rekorde brechen: Die 365 Meter lange und 12 Meter hohe Bühne soll die größte der Welt sein; das Orchester mit 8500 Musikern die meisten Mitglieder haben.

Fels hörte sich bei einer gleichzeitigen Konferenz auch Vorträge von Spitzenkräften aus Politik und Wirtschaft an, die sich für den Frieden einsetzen. Die Menschen bekriegen sich überall auf der Welt, weil sie keinen inneren Frieden in sich tragen, sagt Fels. Sie ist beeindruckt, dass hinduistische Heilige mit Religionsgelehrten des Buddhismus, des Islam, des Judentums und des Christentums zusammenkommen. Wie im Märchen, sagt sie.

Doch die hinduistische Göttin Yamuna des gleichnamigen Flusses, auf dessen Sandbänken das Festivalgelände inmitten der Hauptstadt Neu Delhi errichtet wurde, konnte anscheinend nicht beschwichtigt werden. Immer wieder prasselten Regen und Graupel auf die Besucher nieder, bis diese sich unter Stühlen und Plakaten versteckten. Doch kaum kam die Sonne heraus, jubelten die Menschen dem Regenbogen zu.

Für einige Umweltschützer waren die Gewitter aber womöglich die Rache der Flussgöttin. Sie hatten im Vorfeld beklagt, Flora und Fauna der Flussaue seien beim Planieren des Festivalgeländes zerstört worden. Der Platz ist direkt neben dem Okhla Vogelschutzgebiet, beschwerte sich etwa der Naturfotograf Anand Arya. Er reichte eine Petition ein, um das Festival zu stoppen.

Das zuständige Umwelttribunal erklärte, durch die Errichtung von Straßen, Rampen, Bühnen und Brücken in der Schutzzone sei die Vegetation zerstört worden. Aufgehalten haben die Richter das Festival - das politische Unterstützung aus allen Lagern hatte - nicht mehr. Aber sie verhängten Strafen gegen die Stiftung sowie mehrere Behörden. Weitere Auflage: Nach dem Ende des Festivals muss das Gelände zum Biodiversitätspark werden.

Ob das geschehen wird, ist aber zumindest fraglich. Denn der Fluss ist ohnehin seit Jahren quasi tot, da die Abwässer aus Neu Delhi fast ungeklärt eingeleitet werden. Außerdem sagt Ravi Shankar, seine Arbeiter hätten nicht einen einzigen Baum gefällt, sondern höchstens vier Bäume gestutzt. Wir werden die Umwelt nie beschädigen, behauptet er.

Günter Conrad, ein Unternehmensberater aus Frankfurt, versteht die ganze Aufregung um den Veranstaltungsort nicht. Bei einem ähnlichen Festival vor zehn Jahren im südindischen Bangalore sei alles sauberer verlassen worden als zuvor. Dann schaut er wieder über die bunte Menschenmenge, die durch den Schlamm stapft. Und sagt entzückt: Woodstock ist nichts dagegen.

Urteil des National Green Tribunal zum Weltkulturfestival

Programm des Weltkulturfestivals

Petition gegen Weltkulturfestival

German Polka at World Culture Festival